1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Gabriel prescht vor

7. August 2012

Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat eine gemeinsame Finanz- und Steuerpolitik in der Eurozone verlangt, um ein Auseinanderbrechen der Eurozone zu verhindern. Über Verfassungsänderungen sollen die Bürger abstimmen.

https://p.dw.com/p/15kgZ
SPD-Chef Sigmar Gabriel (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa

 In einer Fiskalunion könne "man auch verantworten, dass man sich gemeinschaftlich gegen die ausufernden Zinsen wehrt", fügte Gabriel mit Blick auf eine gemeinsame Schuldenhaftung hinzu. Der SPD-Chef betonte, dass weitere Schritte zur politischen Integration am Ende nicht möglich seien, "ohne dass wir das Volk dazu befragen". Denn für eine echte Fiskalunion müsse auch Deutschland Teile seiner nationalen Souveränität abgeben.

In der "Berliner Zeitung" hatte er sich zuvor den Vorschlag der Philosophen Jürgen Habermas (Artikelbild) und Julian Nida-Rümelin sowie des Ökonomen Peter Bofinger zu eigen gemacht, einen Verfassungskonvent einzuberufen, der Vorschläge für Grundgesetzänderungen erarbeiten soll, über die dann in einem Referendum abgestimmt werden solle. Die drei Professoren hatten diese Idee in einem Papier  für die Programmdiskussion der Sozialdemokraten formuliert.

In dem Zeitungsinterview hatte Gabriel auch für eine offene
gemeinschaftliche Haftung für die Schulden aller Euro-Staaten bei
gleichzeitiger strenger gemeinsamer Haushaltskontrolle geworben. Der SPD-Chef bestritt die Auffassung, es handele sich um eine Kurskorrektur in der Europapolitik.  Er selbst und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hätten schon seit Monaten immer wieder eine gemeinsame Steuer- und Wirtschaftspolitik in Europa angemahnt.

ARCHIV - Jürgen Habermas, Sozialphilosoph und Soziologe der "Frankfurter Schule", aufgenommen im August 1981 in seinem Haus in Starnberg. Vor aktuellen Fragen hat sich Habermas nie gedrückt. Der bekannteste lebende Denker Deutschlands bezieht Stellung. Das theoretische Hauptwerk des Philosophen und Soziologen galt seit den 70er Jahren der Frage, über welche Form des "Diskurses" eine Gesellschaft demokratisch organisiert werden kann. Er hat damit das geistige Klima der Bundesrepublik bis heute nachhaltig geprägt. Am Donnerstag (18.06.2009) wird der Philosoph und Soziologe 80 Jahre alt. Foto: Roland Witschel dpa (zu dpa-Themenpaket "«Staatsphilosoph» Jürgen Habermas wird 80" vom 17.06.2009) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Deutschland Jürgen Habermas in StarnbergBild: picture alliance/dpa

Kritik und Zustimmung

Für eine von der Bundesregierung kategorisch abgelehnte Schuldenteilung über Eurobonds oder einen Schuldentilgungsfonds treten unter anderem Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Italiens Regierungschef Mario Monti ein. Dadurch könnte das Auseinanderbrechen der Währungsunion verhindert werden. Zugleich würde der Reformdruck aber sinken. Davor warnen auch die Professoren um Habermas und begründen damit die Notwendigkeit zu einer europäischen Haushaltskontrolle, für die die nationalen Parlamente Souveränität an Brüssel abgeben müssten.

Die schwarzgelbe Regierungskoalition in Berlin ließ kein gutes Haar an den Vorschlägen des Chefs der größten Oppositionspartei. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle meinte, Gabriel entlarve sich mit seinem Vorpreschen für eine Vergemeinschaftung der Schulden in Europa selbst. "Geld ausgeben, das man nicht hat, und dann andere dafür zahlen lassen, war schon unter Rot-Grün ein falsches Rezept." Der Vorschlag zeige, dass die SPD eine Schuldenunion wolle, erklärte Brüderle. Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) nannte Gabriels Vorschlag eine Verschleuderung von Volksvermögen. Das SPD-Konzept führe dazu, dass die Mittelmeerländer weniger Sparanstrengungen unternähmen, weil andere die Zeche zahlten.

Zustimmung kam dagegen von den Grünen. Deren Vorsitzende Claudia Roth sagte der "Frankfurter Rundschau", sie begrüße die Annäherung der SPD an grüne Positionen. Europa müsse jetzt konstruktiv weitergedacht werden. Zur Sicherung des europäischen Projekts sei ein breiter Konsens für ein integriertes, demokratisches und soziales Europa notwendig. Nationale Ressentiments ließen dagegen Europa vor die Wand fahren. 

Berlin/ Die Bundesvorsitzende der Gruenen, Claudia Roth, spricht am Montag (23.04.12) in Berlin auf einer Pressekonferenz. Die Gruenen halten den Vorstoss von Unionsfraktionschef Volker Kauder im Streit ueber das Betreuungsgeld fuer unsinnig und unfinanzierbar. Kauders Vorschlag, zusaetzlich zum Betreuungsgeld die Rentenleistungen fuer Eltern von vor 1992 geborenen Kindern zu erhoehen, sei nur ein "Mittel zu falschen Zweck", sagte Gruenen-Vorsitzende Claudia Roth am Montag in Berlin. Das Vorhaben wuerde nach Expertenschaetzung sieben bis acht Milliarden Euro kosten, mahnte sie. Wo das Geld herkommen solle, lasse der CDU-Politiker offen. Ausserdem entstehe dadurch kein einziger Kita-Platz zusaetzlich. Dabei sei der Ausbau der Kindertagesstaetten dringend noetig. (zu dapd-Text) Foto: Maja Hitij/dapd
Claudia RothBild: dapd

Referendum nicht dringlich 

Auch bei einigen deutschen Ökonomen stieß Gabriels neuer Ansatz auf Zustimmung. So sagte der Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts, Kai Carstensen, zu "Handelsblatt online": "Wenn dann die Mehrheiten in Europa für eine Haftungsunion stimmten, wären die notwendigen zwischenstaatlichen Transfers demokratisch legitimiert." Der Direktor des arbeitgebernahen "Instituts der deutschen Wirtschaft", Michael Hüther, erklärte, Gabriel habe recht, dass eine weitergehende Fiskalunion mit strengen Regeln für die Haushaltskontrolle nicht auf der Basis des bestehenden Grundgesetzes möglich sei. Allerdings bedeute das ein zeitaufwendiges Verfahren, weshalb der Vorschlag "kein Lösungsbeitrag zur gegenwärtigen Krise" sei.

Nach Auffassung der Bundesregierung liegt eine mögliche Volksabstimmung über die Europapolitik in weiter Ferne. Vize-Regierungssprecher Georg Streiter sagte: "Erst einmal muss sich ja die Europäische Union einig werden, was sie will und wie sie zu einer stärkeren politischen Union kommen will." Bundeskanzlerin Angela Merkel habe mehrfach erklärt, dass man Schritt für Schritt vorgehen müsse, um das Fehlen einer politischen Union wettzumachen.

gmf/wl/SC (dpa, dapd, rtr, afp)