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Literatur

Buchmessenchef Juergen Boos im Interview

Sabine Kieselbach
12. Oktober 2020

Die Frankfurter Buchmesse 2020 findet als "Special Edition" statt. Was verbirgt sich hinter dieser Formel? Buchmessenchef Juergen Boos im DW-Interview.

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Ein Schild in einem Schaufenster, auf dem steht "Frankfurter Buchmesse 14 18 Otk2020 Special Edition".
Die Frankfurter Buchmesse 2020 findet vom 14. bis zum 18. Oktober 2020 stattBild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture-alliance

Deutsche Welle: Juergen Boos, Sie haben lange an den Plänen festgehalten, die Frankfurter Buchmesse in abgespeckter Form und als eher europäische Messe abhalten zu können. Coronabedingt musste die Messe, wie wir sie kennen, am Ende doch abgesagt werden und wird nun als eine überwiegend digitale Buchmesse stattfinden (vom 14.-18.10.2020). Wie müssen wir uns das vorstellen?

Juergen Boos: Die Messe wird tatsächlich in der Festhalle stattfinden, und es wird Veranstaltungen in der Stadt geben, aber die Messehallen bleiben leer. Deshalb mussten wir neben diese dezentrale Messe ein umfangreiches digitales Konzept setzen, das auf der einen Seite die Bedürfnisse des Handels, des Rechtehandels berücksichtigt, aber natürlich auch das Buch und die Autoren in den Mittelpunkt stellt. Wir haben ein digitales Buchfest auf die Beine gestellt, und ein virtuelles Sendezentrum aufgebaut, durch das wir aus der Frankfurter Festhalle heraus in die ganze Welt senden werden.

Juergen Boos in dunklem Sakko lächelt und schaut zur Seite (Foto: Michael Debets/picture-alliance/Pacific Press).
Juergen Boos, Direktor der Frankfurter BuchmesseBild: Michael Debets/picture-alliance/Pacific Press

Wird die Buchmesse jemals wieder so sein wie zuvor?

Ich denke, ja, jedenfalls wird sie sehr ähnlich sein. Wir werden jetzt ausprobieren, was digital funktioniert - wie funktionieren die wirtschaftlichen Transaktionen, wie die digitale Interaktion mit dem Publikum? Was sich bewährt, werden wir im nächsten Jahr natürlich weiter benutzen. Aber ja, wir werden uns wieder physisch treffen, denn sonst geht die Kreativität, der Zufall, das Vertrauen, das eine persönliche Begegnung aufbaut, verloren.

Kann man denn jetzt schon abschätzen, was möglicherweise verloren ist?

Für die Branche sind in diesem Jahr die Chancen eben dieser Art der persönlichen Begegnung verloren gegangen. Es betrifft ja nicht nur Frankfurt, sondern auch Leipzig, die Begegnung mit dem Publikum, mit dem Autor. Hier in Deutschland hat auch die LitCologne nicht stattgefunden, international nicht die Fachmessen in London oder Bologna. Peking war bisher international, aber in diesem Jahr war die Messe dort rein lokal, beziehungsweise auch virtuell. Wir haben eine große Sehnsucht danach uns wiederzutreffen.

Frankfurter Buchmesse 2019: Ein Gang in einer Messehalle voller Menschen, links und rechts Regale mit Büchern und Trennwände (Foto: picture-alliance/W. Minich).
2019 waren die Frankfurter Bücherhallen gefüllt wie noch nie. 2020 bleiben sie leer.Bild: picture-alliance/W. Minich

Die Messe hat sich auch in den vergangenen Jahren vor Corona geändert, ist anderen Sparten gegenüber offen geworden. Wie geht es in Zukunft weiter?

Schon vor über 20 Jahren haben wir uns dem Film geöffnet, denn Filmstoffe sind eigentlich Buchstoffe. In den letzten Jahren kam die Entwicklung der elektronischen Bücher durch die E-Books und E-Reader. Dann kamen in den letzten zwei, drei Jahren sehr massiv die Audiobooks, nachdem es möglich war, die Inhalte zu streamen. Abomodelle sind in die Welt gekommen. Jetzt haben wir Unternehmen wie Netflix, die auch dringend Inhalte brauchen. Und das Buch steht immer in der Mitte, wodurch sich der Kreis derjenigen, die sich in Frankfurt treffen, erweitert hat.

Sie hatten letztes Jahr einen Besucherrekord und knapp 7500 Aussteller. Wie können die Verlage ihre Neuerscheinungen in diesem Jahr präsentieren?

Letztes Jahr war für uns ein Rekordjahr, wir hatten so viele Fachbesucher und so hohe Publikumszahlen wie nie zuvor, und wir waren internationaler denn je. Was dann passierte, konnten wir natürlich nicht voraussehen. Aber wir hatten uns schon vor Jahren darauf eingestellt, dass vieles auch digital erzählt und virtuell erledigt werden kann. Jetzt mussten wir das beschleunigt aufnehmen.

Wir haben einerseits eine Rechteplattform geschaffen, aber wir haben tatsächlich auch Möglichkeiten geschaffen, dass sich die Verlage international in der digitalen Welt präsentieren können. Dass wir alle Kanäle benutzen, Fernsehen, Youtube, Instagram, alle vorhandenen sozialen Medien. Das mussten wir mit sehr viel Professionalität, mit sehr viel externer Unterstützung in wenigen Monaten auf die Beine stellen. Und jetzt geht's endlich los!

Die Messe versteht sich auch als Plattform für Menschenrechte und die Freiheit des Wortes, sie hat Diskussionen aufgegriffen oder sogar initiiert. Wie wollen Sie das ersetzen?

Wir haben auch ein dezidiert politisches Programm, das wir zusammen mit dem Auswärtigen Amt aufbauen, das nennt sich "Der Weltempfang", und den konnten wir tatsächlich ins Digitale übertragen, indem wir viele politische Diskussionen schon vorher produziert haben.

Ich habe lange überlegt, welche Botschaften wir mit der Eröffnung senden wollen, die tatsächlich in der Festhalle stattfinden wird. Und ich habe David Grossman eingeladen, einen Schriftsteller, den wir sehr bewundern, weil er auch ein dezidiert politischer Schriftsteller ist. Der kann natürlich nicht aus Israel anreisen, wir werden ihn digital zuschalten. 

Der Deutsche Buchpreis wird immer am Vorabend der Eröffnung der Buchmesse verliehen, diesmal auch digital. Welche Rolle spielen Preise für die Branche?

Ich denke Preise und Preisverleihungen als Ereignis sind wichtig, um auf das Buch, auf das Erzählen aufmerksam zu machen. Ein Preis schafft Öffentlichkeit, und er bestätigt den Autor, die Autorin, ist Ansporn weiterzuschreiben. Der Deutsche Buchpreis und auch der Friedenspreis, der am Ende der Buchmesse in der Paulskirche stattfinden wird, sind besonders bedeutend. Aber auch die vielen kleinen Preise, die in dieser Woche noch verliehen werden, wie zum Bespiel der Litprom-Preis für eine Autorin aus Afrika, Asien oder Lateinamerika, der einzige seiner Art, sind sehr wichtig.

Kommen wir nochmal auf den Deutschen Buchpreis. Ich weiß aus den vergangenen Jahren, dass sich der Preisträger (oder die Preisträgerin) nach der Auszeichnung auf der Messe kaum bewegen konnte, weil alle auf ihn einstürmten. Diese Aufmerksamkeit in den Medien und bei potenziellen Lesern während der Messetage geht jetzt verloren. Wodurch haben Sie das ersetzt?

Die Messe ist diesmal die ganze Welt, sie ist nicht limitiert auf die 300.000 Besucher der Vergangenheit. Wir haben verschiedene Formate geplant mit der BuchpreisträgerIn, tatsächlich in der Festhalle mit Publikum, aber genauso auch digital. Wir hoffen, dass wir darüber eine ähnliche Öffentlichkeit schaffen, vielleicht sogar eine größere.

Sind Sie in diesem Jahr überhaupt dazu gekommen, eines der Bücher auf der Shortlist oder auf der Longlist des Deutschen Buchpreises zu lesen?

Nein, ich habe mich am Anfang sehr auf Kanada fokussiert, weil Kanada als Gastland im Mittelpunkt stand. Aber eigentlich war dies ein Jahr der Gespräche, ich habe mit Autoren, mit Verlegern, mit Übersetzern aus der ganzen Welt gesprochen. Darüber, wie es ihnen geht, was ihre Sicht auf die aktuelle Situation ist, und vor allen Dingen darüber, wie es weitergehen kann. Ich habe an vielen digitalen Diskussionen teilgenommen, um immer wieder zu überlegen, was mit uns gerade jetzt in dieser Zeit passiert.

Die Fragen stellte Sabine Kieselbach.