FinCEN Files: Sind Sanktionen sinnlos?
24. September 2020Die USA machten den ersten Schritt. Als Syrien immer brutaler gegen die eigene Bevölkerung vorging, verhängte Präsident Barack Obama im April 2011 Sanktionen gegen Vertreter des Regimes. Darunter Mahir al-Assad, den Bruder des Präsidenten Baschar al-Assad. Wer für Bluttaten verantwortlich ist, dem sollte es unmöglich gemacht werden, Handel mit der Welt zu treiben und sein Geld rund um den Globus zu verschicken.
Die EU zog kurz darauf nach und schnell wurden die Sanktionen ausgeweitet. Der Zugang des Regimes zu Waffen, zu Rohstoffen und zum internationalen Finanzmarkt sollte blockiert werden. Solche gezielten Sanktionen gelten als Mittel der Wahl, um Druck auszuüben auf Despoten und ihre Handlanger.
Rubel zu Dollar, Dollar zu Kunst
Doch greifen sie überhaupt? Daran gab es immer wieder Zweifel. Die FinCEN Files zeigen erneut: Sanktionen lassen sich umgehen, mit Hilfe der richtigen Banken und einem Netzwerk aus Tarnfirmen.
Die geleakten Geheimberichte von Banken an das US-Finanzministerium zeigen etwa, dass der Putin-Vertraute Arkady Rotenberg trotz Sanktionen der USA und der EU gegen ihn persönlich über eine Firma namens Advantage Alliance Geld bei der Barclays Bank in London geparkt haben soll. Geld, mit dem er dann im großen Stil Kunst auf Auktionen gekauft haben soll. Darunter ein Werk des belgischen Surrealisten René Magritte im Wert von 7,5 Millionen US-Dollar.
Trickserei in Traditionshäusern?
Die Investigativteams der FinCEN-Recherche, darunter Journalisten von Buzzfeed News, NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, zeigen zudem, dass die britische Standard Chartered Bank Kunden bei verbotenen Geschäften mit dem Iran geholfen haben soll. Von 2013 bis 2017 soll die Bank demnach den Verdacht auf Bruch von US-Sanktionen beiseite geschoben und Hunderte Millionen US-Dollar durchgewunken haben.
Und auch die Sanktionen gegen Syrien dürften laut FinCEN Files unterlaufen worden sein. Die Bank of New York Mellon soll als so genannte Korrespondenzbank für ein auf Malta ansässiges Unternehmen namens Petrokim 224 Millionen US-Dollar transferiert haben. Darunter Transaktionen, von denen Personen profitiert haben könnten, die im Rahmen der Syrien-Sanktionen auf schwarzen Listen standen.
Die Bank ist am Zug
Warum schaffen die staatlichen Stellen es nicht, dies zu verhindern? "Es gibt einfach nicht genug Personal dafür in den zuständigen Behörden. Sie können nicht jeden Fall verfolgen", sagt Sascha Lohmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Der Politikwissenschaftler in der Forschungsgruppe Amerika hat sich intensiv mit der US-Behörde FinCEN beschäftigt.
Die US-Regierung hat deshalb alle US-Banken zum Bericht über Verdachtsfälle verpflichtet und kann diese auch anweisen, bestimmten ausländischen Banken Dienstleitungen wie etwa Korrespondenzkonten nur eingeschränkt anzubieten oder gänzlich zu verwehren, um damit deren Zugang zum US-Dollar zu kappen. Der Ball liegt also im Feld der Banken, die bei Verstößen mit Strafen rechnen müssen. Der Wissenschaftler spricht von einem "risiko-basierten Ansatz" zur Prävention von Geldwäsche und Sanktionsumgehung. "Damit Banken von sich aus sagen: 'bestimmte Regionen, bestimmte Geschäftspartner sind für uns so gefährlich, dass wir ganz die Finger von ihnen und ihren möglichen Geschäftspartnern lassen.'"
In vielen Fällen funktioniere das auch, deshalb sei es "zunächst einmal überraschend zu sehen, wie viele zum Beispiel russische Geschäftspartner von kremlnahen Politikern, die in Europa oder den Vereinigten Staaten auf schwarzen Listen geführt werden, immer noch Geld hin- und herschieben können."
Von Angst und Gier getrieben
Die FinCEN Files hätten sie nicht überrascht, sagt dagegen Saskia Rietbroek. Als Direktorin der "Vereinigung Zertifizierter Sanktionsspezialisten" berät sie Banken und andere Unternehmen, die Hilfe bei der Einhaltung von Sanktionsregeln suchen. "Das waren nicht die ersten und es werden nicht die letzten Banken sein, die in Sanktionsvermeidung involviert sind", sagt Rietbroek der DW.
Diejenigen Bankmitarbeiter, die in den "Compliance"-Abteilungen für die Einhaltung der Regeln verantwortlich sind, würden sich mit voller Kraft dafür einsetzen. "Sie wollen das Richtige tun, das erlebe ich zumindest bei unseren Mitgliedsfirmen so. Sie glauben an ihre wichtige Rolle im Kampf für nationale Sicherheitsinteressen und gegen den Terrorismus." Doch auf der anderen Seite des Flurs säßen Banker, die den Profit im Blick hätten. "Das ist ein stetiger Kampf zwischen Geschäftsinteressen und Compliance", so Rietbroek. "Die Banken leben zwischen Angst und Gier."
Das Häuten der Zwiebel
Rietbroek verweist aber auch darauf, dass es immer schwieriger werde, die Sanktionsregeln einzuhalten. "Bis vor ein paar Jahren ging es nur um Nordkorea und Kuba. Mit denen konnte man kein Geschäft machen und daran hat man sich gehalten", sagt sie. Diese breit angelegten Sanktionen trafen jedoch vor allem die Bevölkerung und weniger die Herrschenden. Seit einigen Jahrzehnten setzen insbesondere die UN, USA und die EU deshalb auf so genannte gezielte Sanktionen, die sich vor allem gegen Einzelpersonen richten.
"Wenn man sich etwa heute Russland anschaut, dann stehen eine Menge Oligarchen mit vielfältigen Geschäftsinteressen auf den Listen", sagt Rietbroek. "Und da kann man nicht einfach alle Konten schließen. Man muss prüfen, was legal ist und was verboten."
Gehe nicht über Los
Habe eine Bank den Verdacht, dass ein Kunde Illegales vorhabe, dann müsse sie im Rahmen einer "erweiterten Sorgfaltspflicht" weiter nachforschen. "Aber das ist manchmal, als würde man eine Zwiebel schälen. Man geht Schicht um Schicht die Scheinfirmen durch. Ich habe Schaubilder gesehen, die die Verbindungen zwischen Briefkastenfirmen und Einzelpersonen zeigten: groß wie Tischtücher waren die." Diese Arbeit koste also viel Zeit und Expertise. Nicht jede Bank sei dazu bereit. "Manchmal sagt man den Leuten: Wenn ihr auf den ersten Blick nichts findet, dann winkt es durch."
Bislang wurden derartige Verstöße überwiegend mit Geldstrafen geahndet. Wenn sich jedoch wirklich etwas ändern soll, dann müssten für bewusste Regelverstöße jedoch auch Bankmitarbeiter ins Gefängnis wandern. "Und zwar nicht die Compliance-Prüfer in den Banken. Meistens sind es nämlich Leute von der Leitungsebene, die sie unter Druck setzen."
Zwischen Worten und Waffen
Man könne sowieso nicht alle illegalen Geldtransfers verhindern, sagt Francesco Giumelli von der Universität Groningen in den Niederlanden. Der Politikwissenschaftler hat zum Erfolg von Sanktionen geforscht. "Diese Probleme bei der Implementierung sind nicht neu", sagt Giumelli im Gespräch mit der DW. Die FinCEN Files brächten nur weitere Belege dafür zutage, dass das System anfällig sei.
Man müsse jedoch auch die symbolische Wirkung von Sanktionen bedenken. "Um zukünftige Sanktionen zu vermeiden, verzichten Akteure auf bestimmte Verhaltensweisen. Das ist der wahre Wert von Sanktionen - nicht, Geldflüsse zu unterbinden." So werden Sanktionen wohl auch in Zukunft genutzt werden - sowohl, um nationale Interessen durchzusetzen, als auch zur Abschreckung vor autokratischem Verhalten und Menschenrechtsverstößen wie etwa in Syrien.
"Es geht nicht nur darum, Verhalten zu beeinflussen", sagt dazu Sascha Lohmann von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Es geht auch um strategische Kommunikation gegenüber relevanten Dritten und darum, eigene Selbstbilder aufrechtzuerhalten." So wolle die europäische Staatengemeinschaft etwa nicht tatenlos dem zusehen, was in Belarus passiert. Auch wenn Sanktionen wieder und wieder unterlaufen werden: "Es wird wohl auch weiterhin das Mittel der Wahl bleiben", sagt Lohmann, "weil man nicht viele andere Möglichkeiten hat zwischen Worten und Waffen."