Ferien auf dem Schulhof | Alltagsdeutsch – Podcast | DW | 03.07.2012

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Alltagsdeutsch – Podcast

Ferien auf dem Schulhof

Deutsche Schüler haben fast sechs Wochen Sommerferien. Die meisten verreisen, allein oder mit Eltern. Aber nicht alle können sich Urlaubsreisen leisten. Die Alternative ist, Ferien in der eigenen Stadt zu machen.

Sprecher:
Kein Schüler würde wahrscheinlich freiwillig hierherkommen, schon gar nicht mitten in den Sommerferien. Der Schulhof der Bachgrundschule im Dortmunder Stadtteil Wickede ist komplett asphaltiert und wirkt nicht sehr einladend. Doch jetzt, in der schulfreien Zeit, steht hier ein blau-gelbes Zirkuszelt. Man hört heitere Musik und fröhliches Stimmengewirr. Beinahe 100 Kinder haben ihren Spaß in dem Zelt oder auf Hüpfburgen. Einige stehen mit leuchtenden Augen geduldig in einer Reihe, um sich das Gesicht kunstvoll schminken zu lassen. Der Duft von frisch gebackenen Waffeln und Zuckerwatte liegt in der Luft. Auf dem Schulhof findet wieder einmal eine Woche lang der sogenannte "Ferienspaß in Wickede" statt. Marvin und Raphael sind zwar schon 18 Jahre alt, aber sie kommen trotzdem hierher – und zwar schon seit zehn Jahren, jeden Sommer. Früher haben sie hier in den Ferien Fußball gespielt, inzwischen begleiten sie ihre jüngeren Geschwister. Marvin findet solch ein Betreuungsprogramm in den Ferien aus einem bestimmten Grund ganz wichtig:

Marvin:
"Die meisten besaufen sich halt sinnlos und schlagen dann Scheiben ein wegen Alkohol. Man wird aggressiv und alles, oder man schlägt sich untereinander. Also, gibt's hier viel so diese Cliquen halt untereinander. Und, weil es gibt einfach nichts Besseres zu tun, was die machen. Dann Drogenkonsum und so is' viel."

Sprecher:
Die Jugendlichen in dem Dortmunder Stadtteil, die nicht verreist sind, haben in den Ferien wenig Alternativen. Die freie Zeit füllen viele dann, indem sie sich Alkohol besorgen und so viel trinken, bis sie sich selbst nicht mehr im Griff haben. Sie besaufen sich sinnlos. In diesem Zustand werden sie aggressiv und prügeln sich – oft dann untereinander, da fast jeder zu einer bestimmten Jugendgruppe gehört, einer Clique. Das "Ferienspaß"-Angebot bietet eine willkommene Abwechslung, die Freizeit sinnvoll zu nutzen. Allerdings haben nicht nur Jugendliche ihren Spaß, sondern auch Väter oder Opas:

O-Töne:
"Ja, für meine Kinder ist das wunderbar. [Und für Sie?] Na ja, auch. Man wird wieder Kind. / Ja, das, was ich machen kann in meinem Alter noch, das geht auch noch. Das mache ich dann auch. Bauklötze bauen, Popcorn essen, Zuckerwatte essen – das geht noch."

Sprecher:
Die beiden Männer, die mit ihren Kindern beziehungsweise Enkeln hier sind, genießen es, selbst mal wieder Kind zu sein. Sie tun Dinge, die sie als Erwachsene eigentlich nur in ihrer eigenen Kindheit getan haben – wie Michael. Er ist geschieden und arbeitet als Selbstständiger in der Telekommunikationsbranche. Doch jetzt in den Sommerferien hat er für drei Wochen alle Termine abgelehnt, um seine beiden Kinder zu betreuen. Die jonglieren gerade mit Plastiktellern auf einer Stange. Untätig sein ist hier nicht angesagt. Männer und Frauen, die allesamt das Rentenalter erreicht haben, reichen Fruchtsäfte zur Stärkung. Auch Gemüse und Obst gibt es, in kleine Stücke geschnitten und kostenlos. Denn Geld ist bei vielen Familien in dem Stadtteil knapp, sagt Sigrid, die im Rollstuhl sitzend ihre Enkel begleitet:

Sigrid:
"Ja, also, ich seh's ja hier bei meiner Familie. Der Papa studiert, die Mama ist die ganzen Jahre zu Hause gewesen. Da bleibt für Urlaub und so kein Geld über, ne. Und ich finde immer, wer da drunter leidet, sind die Kinder, ne."

Sprecher:
Sigrids Enkelkinder haben einen Vater, der studiert, und eine Mutter, die nicht arbeitet, die wegen der Kinder zu Hause geblieben ist. In der Alltagssprache ist es gebräuchlich, selbst wenn es sich nicht um eigene Familienangehörige handelt, die Begriffe Papa und Mama zu benutzen, um ein Familienmodell zu umschreiben. Auf dem Schulhof sitzen viele Eltern an Tischen, die von den Veranstaltern des Ferienprogramms aufgestellt wurden. Organisiert wird das Programm von der Stadt Dortmund und von Rentnern, die sich im Sozialverband der "Arbeiterwohlfahrt" – der AWO – engagieren. Die "Arbeiterwohlfahrt" ist einer der größten Sozialverbände in Deutschland. Sie kümmert sich unter anderem um sozial schwache Menschen, Behinderte und auch um die Pflege alter Menschen. Voller Begeisterung und mit Stolz beobachtet derweil Antje, wie ihre zehnjährige Tochter gerade vor Publikum bei einem Wettbewerb einen Hula-Hoop-Reifen um die Hüften kreisen lässt. Wer am längsten den Reifen schwingt, ohne dass er zu Boden fällt, kommt eine Runde weiter. Antje hat zwei Kinder unterschiedlichen Alters. Für beide gibt es entsprechende Angebote, für jeden ist was dabei. Die Mutter hat deshalb abends nicht mehr viel Arbeit mit den Kleinen.

Antje:
"Wir gehen 17 Uhr nach Hause, dann ausziehen, baden und dann schlafen se ein. Das ist 'n echt geiles Dingen hier. Der Kleine is' vier, die große is' zehn. Und es ist für jeden was dabei. Und dafür, dass sie es selbst auf die Beine stellen, ist es einfach geilwenn ich das so sagen darf. "

Sprecher:
Antje ist sehr begeistert von diesem Ferienangebot und drückt diese Begeisterung aus, indem sie das vor allem in der Jugendsprache sehr verbreitete Adjektiv geil verwendet – obwohl es ihr eigentlich ein bisschen unangenehm ist, denn sie entschuldigt sich mit dem Halbsatz "wenn ich das so sagen darf." So findet Antje es ganz toll, einfach geil, dass die Stadt Dortmund und der Sozialverband der AWO so etwas mit freiwilligen Helfern veranstaltet, es selbst auf die Beine stellt. Auch andere sind begeistert:

O-Töne:
"Für die Kinder is' das toll, und für uns Mütter ist es auch recht entspannt. Man kann sich also schon hier hinsetzen, 'nen Kaffee trinken. Is' schön, is' sehr schön. / Ja, also, die haben ja Mittagessen bekommen. Die haben dazu 'n Nachtisch. Dann haben se noch 'ne Waffel – und das kostet einen Euro. Ich bitte Sie! Das ist 'ne tolle Sache."

Sprecher:
Diese beiden Mütter genießen es, dass ihre Kinder sehr gut betreut werden und sie selbst sich während dieser Zeit auch etwas vom Stress des Alltags entspannen können. So erhalten die Kinder zum Beispiel für sehr wenig Geld ein komplettes Mittagessen. Dafür kann man zuhause selbst nicht kochen. Das drückt eine der beiden Mütter mit dem Ausruf aus: "Ich bitte Sie!" Möglich ist dies allerdings hauptsächlich wegen des Engagements des AWO-Teams. Das Besondere bei ihm: Es besteht nur aus Rentnern und Rentnerinnen. Sie kochen auch täglich frisch für ihre kleinen Feriengäste und deren Begleitung: Heute gibt es Fischstäbchen, Spinat, Kartoffelpüree und als Nachtisch Schokoladenjoghurt oder ein Eis. Eine dieser Rentnerinnen ist Gretel. Der zierlichen Frau mit der roséfarbenen Küchenschürze sieht man nicht an, dass sie schon 76 Jahre alt ist. Die frühere Bibliotheksassistentin erzählt mit einem Leuchten in den Augen, was sie am "Ferienspaß" so mag:

Gretel:
"Die Kinder zu betreuen, fängt schon damit an, dass ich ihnen zuhöre, dass ich Zeit für sie habe und dass die das Gefühl haben, sie sind bei uns herzlich willkommen. Das ist das Allerwichtigste."

Sprecher:
Gretel will den Kindern für die Zeit, die sie an der Aktion teilnehmen, das Gefühl vermitteln, dass jemand für sie da ist und auf sie eingeht, ihnen zuhört. Gretel hat sich früher bei der SPD engagiert. Doch ihrer Meinung nach wurde in der sozialdemokratischen Partei mehr geredet als gehandelt. Bei der Arbeiterwohlfahrt konnte sie hingegen sofort zupacken. Sie und weitere trotz ihres Alters noch sehr aktive, rüstige Rentner organisieren die eine Woche Ferienspaß in Dortmund-Wickede. Von morgens acht Uhr bis abends um sieben sind die Ruheständler für die Kleinen im Einsatz. Alle sind zwischen 70 und 86 Jahre alt. Die AWO-Mitglieder haben das Geld für das Essen selbst gespendet oder bei Wohltätigkeitsveranstaltungen gesammelt. Gretel ist sehr zufrieden mit ihrem sozialen Engagement:

Gretel:
"Ohne für Menschen da zu sein, wär's für mich kein Leben. Ich bekomme mehr zurück, als ich selbst gebe. Die Kinder können außer Fernsehen oder Computer nicht mehr spielen, keine Freizeitbeschäftigung, die man in Eigenleistung bringt. Und das Essen: Mama kocht eher in der Mikrowelle. Wir erleben das immer wieder, wie gut das Essen schmeckt, weil es eben frisch gekocht ist und nicht aufgewärmt."

Sprecher:
Gretel macht es Freude, sich ehrenamtlich zu engagieren, weil sie anderen damit helfen kann. Diese freuen sich über die Hilfe und zeigen das auch. Gretel bekommt also für sich persönlich im übertragenen Sinn mehr zurück, als sie selbst gibt – nämlich das Gefühl, jemand anderen glücklich gemacht zu haben. Gretel sieht die Zeit, die sie mit den Kindern verbringt, auch als Gelegenheit, ihnen das zu bieten, was sie zuhause oft nicht bekommen. Dazu gehört, mit ihnen Spiele zu spielen, die sie selbst erfinden – wie sie sagt in Eigenleistung – sowie für sie frisch zubereitetes Essen zu kochen. Denn viele Mütter kaufen tiefgefrorene Fertiggerichte, die sie in der Mikrowelle erwärmen, entweder weil es Zeit spart oder kostengünstiger ist. Der Einsatz für die Kinder hält jung, sagt Gretel. Allerdings fehlen inzwischen immer mehr Helfer. Einige aus dem Team sind verstorben und Jüngere, also die heutige Elterngeneration, wolle sich einfach nicht ehrenamtlich für das Allgemeinwohl betätigen, ist Gretels Erfahrung. Zumindest eine Ausnahme scheint es aber doch zu geben: Antje. Sie ist fest entschlossen, zu helfen, mit anzupacken:

Antje:
"Da sollte man eventuell 'n bisschen mit anpacken können. Also, es tut mir ja nicht weh, oder? Ich hab' gesagt: 'Ich helf' nächstes Jahr'."




Fragen zum Text

Jemand, der keinen Stress hat, ist …
1. angespannt.
2. abgespannt.
3. entspannt.

Hört jemand einem anderen zu, dann hat er redensartlich …
1. das Ohr auf dem rechten Fleck.
2. ein offenes Ohr.
3. keine Tomaten auf den Ohren.

Wird etwas organisiert, wird es …
1. auf die Füße gebracht.
2. auf die Beine gestellt.
3. auf den Kopf gestellt.


Arbeitsauftrag
Beantworte folgende Fragen einmal mit "Ja" und einmal mit "Nein" und setze den Satz fort, indem du eine passende Begründung verwendest:

1. Besaufen sich alle Jugendlichen sinnlos?
2. Soll ein Jugendlicher/eine Jugendliche zu einer Clique gehören?
3. Wird jeder einmal zum Kind?
4. Ist es sinnvoll, dass Mama wegen der Kinder zuhause bleibt?
5. Soll sich jeder ehrenamtlich engagieren?


Autorinnen: Karin Jäger; Beatrice Warken
Redaktion: Ingo Pickel

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