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Febris ballaballa

Stefan Nestler6. Juni 2008

In Europa grassiert das EM-Fieber. Die sich abrupt ausbreitende Krankheit macht nicht vor Landes-, Geschlechts-, Alters- oder sozialen Grenzen halt. Eine Einführung in die fußball-bedingte Verhaltensstörung tut Not.

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Fußball-Kuchen in Japan, davor ein Schild "Fußballfieber". (Quelle: AP)
Irgendwann sieht man nur noch Bälle: Fußball-Kuchen in JapanBild: AP

Die Symptome des EM-Fiebers, in der medizinischen Fachsprache Febris ballaballa genannt, sind eindeutig und unverwechselbar: Obwohl der Kranke meist in einem Fernsehsessel sitzt, wirkt er hyperaktiv. Nervös tippt er mit dem Zeigefinger der einen Hand auf die Sessellehne und versucht, mit der anderen das Bierglas ruhig zu halten. Er neigt sich häufig vor, als ob er kurzsichtig wäre, um sich dann im nächsten Augenblick wieder in den Sessel zurückfallen zu lassen. Im günstigsten Fall hat er inzwischen das Bierglas abgestellt und zur Chips-Tüte gegriffen, deren Inhalt sich gleichmäßig über und neben den Sessel verteilt.

Scharlachrot, verschwitzt und bissig

Nonne hängt Spanien-Fahne an den Balkon. (AP Photo/J.M. Garcia)
Das EM-Fieber macht vor niemandem HaltBild: AP

Von außen betrachtet wirkt der Kranke wie ein Chamäleon, das seine Gesichtsfarbe dem Spielstand anpasst: scharlachrot bei Unentschieden oder knapper Führung, leichenblass bei einem Rückstand. In unregelmäßigen Abständen bricht Schweiß aus, der sich von den Achselhöhlen aus auf alle Körperregionen ausbreitet. Der Fiebernde neigt zu unkontrolliertem Fußstampfen, zu Schreikrämpfen oder zum verzweifelten Biss in Textilien aller Art, die in Reichweite sind.

Der an Febris ballaballa Leidende wird von seiner Krankheit vollständig vereinnahmt. Kontakte zu Gesunden unterbleiben, Ehen und Beziehungen anderer Art werden daher unter Umständen auf eine harte Probe gestellt. Wohl fühlt sich der Fiebernde nur unter seinesgleichen. Denn reden kann er drei Wochen lang nur über ein Thema: die EM.

Nur Blumengießen und Kaffeekochen

Das sollten auch Arbeitgeber berücksichtigen. Der Kranke dämmert an seinem Arbeitsplatz vor sich hin, zählt im Stillen nur die Stunden bis zum Anpfiff des nächsten Spiels. Verantwortungsvolle Tätigkeiten sollten ihm unter allen Umständen für die Zeit des Turniers entzogen werden. Blumengießen oder Kaffeekochen geht gerade noch.

Febris ballaballa ist nicht therapierbar. Entsprechende Versuche sollten unbedingt unterbleiben. EM-Entzug etwa kann zu schwerwiegenden psychischen Schäden führen. Kleiner Trost: die Krankheit verschwindet so plötzlich, wie sie gekommen ist: nach drei Wochen, nach Abpfiff des Endspiels.