Mit Fachwerk gegen Erdbeben
15. September 2008Zusätzlich fehlen durch das starke Bevölkerungswachstum etwa eine Million Wohnungen pro Jahr und es gibt zu wenige Arbeitsplätze. Drei Probleme, die ein Projekt der Bergischen Universität Wuppertal und der Technischen Universität Isfahan verringern möchte: Der Bau erdbebensicherer Häuser.
Erdbebensicher aber unattraktiv
Vorbild für das erdbebensichere Musterhaus, das 78 iranische Studentinnen und Studenten des Bauingenieurwesens in Wuppertal aufgebaut haben, sind deutsche Fachwerkhäuser. Diese sind durch die diagonalen Stützpfeiler besonders erdbebensicher, weil sie als einzige auch horizontale Erdbewegungen ausgleichen können. Trotzdem war diese Art zu bauen erst einmal gewöhnungsbedürftig. "Für uns sind Häuser, bei denen man das Gerüst sieht, hässlich“, meint Pejman Peyvandi. Ein großes Problem im Projekt. Denn ob erdbebensicher oder nicht – hässliche Häuser kauft keiner.
Der Kunstfaktor
Einige iranische Studentinnen hatten Fachwerkhäuser in Weindörfern an der Mosel besucht und die Schnitzereien und Malereien auf den Balken bewundert. Das brachte sie auf die Idee, Zierleisten mit typisch persischen Mustern zu entwerfen und über die Balken zu schrauben. So wäre das Gerüst nicht nur verdeckt, sondern das Haus gleichzeitig noch geschmückt. "Wir haben das Haus so gestaltet, dass es den iranischen Menschen gefällt. Dafür haben wir diese besonderen Malereien ausgewählt. Sie stammen aus dem 16. Jahrhundert und heißen 'slimi'“, erklärt Faezeh Zarfashani.
Bauen ohne Korruption
Auch wenn die nicht verputzten Balken für iranische Augen ungewohnt sind, haben sie doch einen großen Vorteil: Jeder kann sehen, ob das Gerüst vollständig ist und alles so gebaut wurde, wie bestellt. Korruptionssicher also, weil nicht einfach an wichtigen Bauteilen gespart werden kann. Projektleiter Professor Georg Pegels weiß, dass dies nicht allen gefällt: “Natürliche Feinde haben wir genug. Alle Bauunternehmen, die sehen, dass Korruption da nicht mehr funktioniert. Deswegen bin ich auch immer wieder froh, wenn ich im Flugzeug nach Deutschland sitze."
Von der Schule lernen
Nächstes Jahr sollen im Iran zehn bis 20 Schulen in Fachwerksbauweise errichtet werden. Gleichzeitig sollen diese Schulen auch als Schulungsgebäude für Eltern und Interessierte dienen, um die neue Art des Bauens vorzustellen. Eine Start-Up-Firma in Isfahan mit iranischen und deutschen Mitarbeitern liefert das Gerüst, qualitätsgeprüft und montagefertig. Wenn das Gerüst steht, können viele Menschen dabei mitwirken, das Haus fertig zu bauen. Mauern müssen eingefügt, Rohre und Leitungen verlegt werden. "Kaputt machen können sie dann nichts mehr", meint Georg Pegels. Gleichzeitig werden neue Jobs geschaffen für fachlich nicht ausgebildete Menschen. "Die iranischen Studenten und Studentinnen sind zwar wissenschaftlich sehr gut, aber von der praktischen Arbeit am Bau haben sie keine Ahnung. Deswegen sind die ideal für uns, um zu zeigen, dass auch Laienkräfte so ein Haus aufbauen können."
Konflikte verhindern
600.000 junge Menschen finden im Iran pro Jahr keine Wohnung, müssen im Haus der Eltern bleiben oder dorthin zurück. Die Unzufriedenheit mit dieser Situation wächst. Ein gewaltiges Konfliktpotential, meint Professor Pegels. "Stellen Sie sich vor, eine Million Iraner gehen auf die Straße und ruft: Wir sind das Volk. Davor haben die Machthaber Angst. Also werden sie etwas von dem Ölgeld in den sozialen Wohnungsbau leiten müssen." Das hat auch der iranische Bauminister erkannt und unterstützt das Projekt.
Die deutsche Antwort
Marokko und China haben ebenfalls Interesse angemeldet. Auch die Kooperation mit dem Iran wird fortgeführt. Ab 2009 kommen jährlich etwa 40 Studierende aus dem Iran zum Bauingenieurstudium nach Wuppertal. Nach drei Jahren in ihrer Heimat schließen sie das letzte Studienjahr dann in Wuppertal ab. Georg Pegels hofft, dass dieses Kooperationsprojekt für den Iran auch ein besonderes Zeichen ist. "Amerika hat seine Antwort auf den 11. September gegeben. Jetzt gibt es mehr und nicht weniger Terrorismus. Der amerikanischen Antwort möchte man eine deutsche Antwort entgegenstellen, die dazu führt, dass die Leute in den kritischen Ländern Wohnungen und Arbeit bekommen. Denn Menschen, die Wohnung und Arbeit haben, sind selten anfällig für Extremismus."