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EZB-Chefvolkswirt wirft hin

10. September 2011

Mitten in der Euro-Schuldenkrise erklärt der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Jürgen Stark, seinen Rücktritt. Die Finanzmärkte reagieren mit deutlichen Kurseinbrüchen. Ein Nachfolger ist schon im Gespräch.

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Der scheidende Chefvolkswirt der EZB, Jürgen Stark (Foto: dpa)
Der scheidende Chefvolkswirt der EZB, Jürgen StarkBild: picture alliance/dpa

Der 63-jährige Jürgen Stark trete aus "persönlichen Gründen" als Chefvolkswirt und Direktoriumsmitglied der Zentralbank zurück, teilte die EZB am Freitag (09.09.2011) in Frankfurt am Main mit. Starks reguläre Amtsperiode hätte am 31. Mai 2014 geendet. Bis zur Berufung eines Nachfolgers - voraussichtlich gegen Jahresende - will Stark der EZB noch zur Verfügung stehen. Als Nachfolger wird in Berlin der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Jörg Asmussen, gehandelt.

Streit um Anleihen-Käufe

Euro-Skulptur vor der EZB-Zentrale in Frankfurt am Main (Foto: dpa)
Stühlerücken im EZB-DirektoriumBild: picture alliance/dpa

Nach übereinstimmender Auffassung von Beobachtern ist Starks Schritt Folge von Differenzen zwischen dem Deutschen und seinen Kollegen in der EZB-Spitze über die Bekämpfung der Schuldenkrise. Stark galt - wie auch der im Frühjahr zurückgetretene Bundesbankchef Axel Weber - als Kritiker der Ankäufe von Anleihen kriselnder Euro-Staaten durch die EZB. Die Zentralbank hatte das im Mai 2010 zur Stützung Griechenlands begonnene Programm im August weiter fortgeführt und auch Papiere Italiens und Spaniens aufgekauft.

Die Notenbank hat inzwischen Anleihen im Volumen von 129 Milliarden Euro aus kriselnden Staaten in ihren Büchern. In Frankfurt am Main ist es ein offenes Geheimnis, dass Stark und der neue Bundesbank-Präsident Jens Weidmann im vergangenen Monat im EZB-Rat gegen das Ankaufprogramm gestimmt haben. Offizielle Informationen dazu gibt es nicht, das Gremium tagt geheim.

Sorgen um Euro-Stabilität

Kritiker sehen in dem Kauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank eine unzulässige Vermischung von Geld- und Finanzpolitik. Im Endeffekt drucke die EZB Geld, um Schulden zu finanzieren. Dadurch würde die Inflation angeheizt. Befürworter weisen daraufhin, dass durch die Aufkäufe der Spekulation mit Staatspapieren ein Strich durch die Rechnung gemacht wird und den Schuldenstaaten durch niedrigere Zinsen die Möglichkeit gegeben wird, sich günstiger zu refinanzieren.

EZB-Präsident Jean-Claude Trichet dankte Stark "von ganzem Herzen für den außergewöhnlichen Beitrag zur europäischen Einigung über viele Jahre". Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bedauerte den Rücktritt Starks. "Die Bundesregierung nimmt das mit Bedauern und mit Respekt zur Kenntnis", sagte Schäuble am Rande des G7-Treffens am Freitag in Marseille dem ZDF.

EZB-Chef Trichet (Mitte) - hier bei der Verleihung des Karlspreises 2011 mit Kommissionspräsident Barroso (li) und Aachens OB Philipp (Foto: dapd)
EZB-Chef Trichet (Mitte) - hier bei der Verleihung des Karlspreises 2011 mit EU-Kommissionspräsident Barroso (li) und Aachens OB PhilippBild: dapd

Schäuble kündigt Personalvorschlag an

Er kündigte zugleich an, dass Deutschland einen "guten Vorschlag" für die Nachfolge Starks im EZB-Direktorium unterbreiten werde. Namen nannte der CDU-Politiker nicht. "Die Bundesregierung wird zügig eine geeignete Persönlichkeit für die Nachfolge vorschlagen, sagte Schäuble nach dem Treffen der G7-Finanzminister und -Notenbankchefs. Nach übereinstimmenden Agenturberichten aus Berlin will Bundeskanzlerin Angela Merkel Schäubles Staatsekretär Jörg Asmussen als Kandidat vorschlagen.

Offiziell werden die Mitglieder des EZB-Direktoriums vom Europäischen Rat ernannt. Merkel selbst betonte in einer in Berlin verbreiteten Erklärung, Stark stehe für eine Stabilitätskultur, die den Bürgern der Eurozone diene und der sich die Bundesregierung dauerhaft verpflichtet fühle. Der 1966 geborene Asmussen ist Sozialdemokrat und wurde 2008 vom damaligen SPD-Finanzminister Per Steinbrück zum Staatssekretär berufen. Nach dem Regierungswechsel 2009 ließ Schäuble ihn im Amt.

Auch Bundesbank-Präsident trat zurück

Staatssekretär Asmussen (Foto: dpa)
Staatssekretär AsmussenBild: picture alliance/dpa

Stark ist nach Axel Weber bereits das zweite deutsche Mitglied des EZB-Rats, das in diesem Jahr vorzeitig seinen Rücktritt erklärt. Weber hatte sein Amt als Bundesbankpräsident im Februar aus Protest gegen die Anleihekäufe und das Krisenmanagement in der Eurozone niedergelegt. Bis dahin war er als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge Trichets gehandelt worden, dessen Amtszeit im Dezember endet. Nachfolger des Franzosen wird der Chef der italienischen Zentralbank, Mario Draghi.

Auf den Finanzmärkten führte der Rücktritt des "geldpolitischen Falken" Stark zu schweren Turbulenzen. An der Börse in Frankfurt am Main fiel der Leitindex DAX um vier Prozent auf 5.189,93 Punkte. Dies ist die tiefste Notierung seit Juli 2009. Auch die Aktienmärkte in London, Paris und Mailand verzeichneten Verluste. Der Euro sackte auf den tiefsten Stand seit Februar 2011.

Autor: Michael Wehling (dpa/rtrr/dapd/afp)

Redaktion: Sabine Faber