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Exklusiv: Wie Schiffe ungestraft Öl im Meer entsorgen

Nina Werkhäuser | Naomi Conrad | Julia Bayer | Max Bernhard
22. März 2022

Tausende Schiffe verschmutzen die Weltmeere mit ölhaltigem Abwasser. Auf hoher See bleiben diese Vergehen meist unentdeckt - mit dramatischen Folgen für die Umwelt. Eine DW-Recherche.

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Symbolbild I Containerschiff
Schiffe transportieren gut 90 Prozent aller Waren - und verschmutzen dabei die Meere Bild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

"Anfangs hat es mich belastet", erzählt der junge Schiffsingenieur der DW. Mehrfach hat er miterlebt, wie ölverschmutztes Wasser von seinem Schiff direkt ins Meer gepumpt wurde. Dass das illegal ist, hat er auf der Marineschule gelernt. Doch auf hoher See schere sich kaum jemand um diese Regeln, berichtet der Seemann über eine instabile Telefonleitung.

Wir erreichen ihn Tausende Kilometer von Berlin entfernt. Er bittet uns darum, seine Identität aus Sicherheitsgründen geheim zu halten. Ebenso den Namen des großen Tankschiffs, auf dem er zur See fährt.

Wenn illegal ölhaltiges Wasser ins Meer abgelassen werde, dann meistens im Schutz der Dunkelheit, erzählt er. Das passiere regelmäßig. "Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, so traurig das auch ist", sagt er mit leiser Stimme. Als junges Crewmitglied riskiere er seinen Job, wenn er sich gegen seine Vorgesetzten auflehne.

Whistleblower und Satellitenbilder

Das Einleiten von Öl und ölhaltigem Wasser ins Meer ist seit Jahrzehnten verboten. Doch viele Fracht- und Containerschiffe umgehen dieses Verbot systematisch, um Zeit und Geld zu sparen - mit verheerenden Folgen für die Umwelt. Das belegt eine Recherche der DW mit dem investigativen Netzwerk Lighthouse Reports und acht weiteren europäischen Medienpartnern.

Die monatelange Recherche stützt sich auf Berichte von Whistleblowern und Experten. Sie beschreiben, mit welchen Tricks die Crews die Vorschriften auf hoher See umgehen. Die Analyse von Satellitenbildern belegt, dass illegale Öleinleitungen durch Handelsschiffe weltweit an der Tagesordnung sind. Nur ein Bruchteil der Fälle wird entdeckt und strafrechtlich verfolgt.

Symbolbild I Öl I Umweltverschmutzung
Reichert sich viel Öl im Meer an, etwa nach Havarien, können Teerklumpen an die Strände gespült werdenBild: Jack Guez/AFP

Die Welthandelsflotte wächst

Die globale Dimension des Problems zeigt sich bei einem Blick auf die Welthandelsflotte, die in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen ist. Heute befördern mehr als 55.000 Fracht- und Containerschiffe Heizöl, Getreide, Smartphones oder Kleidung über die Weltmeere. Gut 90 Prozent aller Waren werden auf dem Seeweg transportiert. Ohne die Handelsschifffahrt, heißt es, würde die Hälfte der Menschheit verhungern und die andere Hälfte erfrieren.

Moderne Containerschiffe können bis zu 400 Meter lang sein. Beim Betrieb ihrer riesigen Maschinen entsteht sogenanntes Bilgenwasser, das sich im Rumpf des Schiffes in einem Tank sammelt. Es ist ein umweltschädliches Gemisch aus Wasser, Motor- und Schmieröl, Treibstoffen und Reinigungsmitteln. Ein einziges Schiff kann täglich mehrere Tonnen dieser toxischen Flüssigkeit produzieren.

Die Aufbereitung von Bilgenwasser ist vorgeschrieben

Die internationalen Vorschriften sind eindeutig: Bevor es in Meer geleitet wird, muss das Bilgenwasser aufbereitet werden. Das geschieht mithilfe eines sogenannten Ölabscheiders, der das Öl vom Wasser trennt. Für große Schiffe ist er Pflicht. So schreibt es die International Maritime Organization (IMO) seit den 1970er Jahren vor.

Jeder Liter Bilgenwasser, der nach der Aufbereitung ins Meer gepumpt wird, darf nur noch eine sehr geringe Restmenge Öl enthalten. Der übrige Ölschlamm muss an Bord gelagert und später im Hafen entsorgt werden. Die Mengen muss die Crew in einem Öltagebuch genau dokumentieren. Doch dieses, berichten Insider, lasse sich leicht manipulieren.

Ein Verbrechen, das Geld spart

In der Praxis umgehen viele Schiffe die vorgeschriebene Aufbereitung und pumpen das Bilgenwasser ungefiltert ins Meer. So sparen sie Zeit und Geld: Es fallen weder Gebühren für die Entsorgung im Hafen an noch verliert der Reeder kostbare Stunden beim Transport der Waren. Das erhöht die Gewinnmargen.

Die Praxis der illegalen Entsorgung auf hoher See haben fünf Whistleblower der DW und ihren Medienpartnern bestätigt. Sie wurden auf verschiedenen Container- oder Frachtschiffen Augenzeugen dieser illegalen "Bilge-Dumps".

Ökologische Katastrophe

Wird Bilgenwasser ungefiltert im Meer entsorgt, hat das dramatische Folgen für das Ökosystem: Das darin enthaltene Öl schädigt Kleinstlebewesen, von denen sich größere Tiere ernähren. Über Muscheln und Fische kann es in die Nahrungskette gelangen und auch Menschen schaden.

Andere im Bilgenwasser enthaltene Substanzen, etwa die giftigen Metalle Blei und Cadmium, sind ebenfalls schädlich für die Umwelt. Das Problem, sagen Wissenschaftler, sei nicht ein einzelner "Bilge-Dump", sondern die hohe Zahl der Fälle, die zu einer kontinuierlichen Anreicherung der Schadstoffe im Meer führe.      

Betrug mithilfe einer tragbaren Pumpe

Wie genau die vorgeschriebene Aufbereitung des Bilgenwassers an Bord umgangen wird, haben mehrere Whistleblower der DW beschrieben: Mithilfe einer kleinen, tragbaren Pumpe wird das Bilgenwasser in einen anderen Tank umgefüllt, zumeist in den Abwassertank. "Das ist sehr einfach", erklärte einer der Seefahrer. "Sie können diese Pumpe in fünf Minuten zusammenbauen und dann in fünf Minuten wieder abbauen und verstecken."

Wie Schiffe das ölige Bilgenwasser illegal entsorgen

Im Schutz der Nacht werde das umweltschädliche Gemisch aus dem Abwassertank dann ins Meer gepumpt, berichteten die Seeleute. Das senke das Risiko, entdeckt zu werden - sei es durch Satellitenbilder, durch Schiffe oder Überwachungsflugzeuge, wie sie etwa über der Nord- und Ostsee im Einsatz sind. 

"Viele schwarze Schafe"

Aus Angst, sie könnten ihren Job verlieren, baten alle Whistleblower um Anonymität. Die DW konnte ihre Berichte daher nicht vollständig überprüfen. Zentrale Aspekte ihrer Schilderungen, die sie unabhängig voneinander getätigt haben, stimmten jedoch überein.

Sie deckten sich auch mit den Erkenntnissen von Experten wie Christian Bussau, Meeresbiologe bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace. "Wenn man das zum Beispiel im Ärmelkanal bei schönstem Wetter am helllichten Tag machen würden, hätte man sofort die Wasserschutzpolizei am Hacken", sagt Bussau, der sich seit mehr als 25 Jahren mit der Ölverschmutzung in Nord- und Ostsee befasst. "Wenn die Schiffe das aber bei schlechtem Wetter, bei Sturm oder nachts erledigen, haben sie gute Chancen, unbemerkt davonzukommen." Es gebe "viele schwarze Schafe auf hoher See".

Weldon Pumpe
Das Foto eines Whistleblowers: Mithilfe dieser Pumpe wurde das Bilgenwasser am Ölabscheider vorbeigeleitetBild: Privat

Aufklärung mit Satellitenbildern

Ölverschmutzungen auf hoher See sind zwar schwer zu entdecken, doch mit Satellitenbildern lassen sie sich aufspüren. Die Ölspuren, die Schiffe hinterlassen, sind oft mehrere Kilometer lang. Ihre charakteristische Form lässt sich aus dem Orbit gut erkennen.

Auf die Auswertung solcher Satellitenbilder hat sich die US-amerikanische Umweltschutzorganisation SkyTruth spezialisiert und sie mit den Ortungsdaten von Schiffen kombiniert. Basierend auf den Daten von SkyTruth konnten die DW und ihre Partner zwischen Juli 2020 und Dezember 2021 mehr als 1500 mutmaßliche illegale Öl-Einleitungen weltweit identifizieren.

Infografik - Mögliche Ölverschmutzung durch Containerschiffe? - DE

Nach Schätzungen von SkyTruth könnte die Menge an ölhaltigem Wasser, die auf diese Weise in die Ozeane geleitet wird, jährlich mehr als 200.000 Kubikmeter betragen. Das ist etwa fünfmal mehr als bei der Ölkatastrophe von 1989, als der Tanker Exxon Valdez im Prinz-William-Sund vor Alaska auf Grund lief.

Allerdings decken die Satelliten nur einen Bruchteil der Weltmeere ab, so dass die tatsächliche Zahl der möglichen Verschmutzungen wahrscheinlich deutlich höher liegt.

Warnsystem der Europäischen Union 

Auch die europäischen Behörden haben den Kampf gegen die Ölverschmutzung aufgenommen. Zuständig ist die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA). Sie wertet ebenfalls Satellitenbilder aus, macht ihre Daten aber nicht öffentlich. Die Strafverfolgung überlässt sie den Mitgliedsstaaten.

Möglicher Ölteppich vom Radarsatelliten Sentinel 1 entdeckt
Eine Aufnahme des Radarsatelliten Sentinel 1 zeigt eine mögliche Ölspur von mehreren Kilometern LängeBild: Copernicus SentinelHub

Erkennt die EMSA eine mögliche Ölverschmutzung auf einem Satellitenbild, erhält der betroffene Küstenstaat nach spätestens 30 Minuten eine Warnmeldung. Er kann dann ein Flugzeug oder Boot losschicken, um die Angaben zu überprüfen.

Seit 2007 hat die EMSA mit ihrem Programm "CleanSeaNet" mehr als 44.000 mögliche Öleinleitungen in europäischen Gewässern entdeckt. Doch das System hat Schwachstellen: Auf die entsprechenden Warnmeldungen reagierten viele Mitgliedstaaten zu langsam. So wurden 2019 nur 30 Prozent aller Warnmeldungen überhaupt vor Ort überprüft, davon nur fünf Prozent innerhalb der kritischen Zeitspanne von drei Stunden. Danach beginnt das Öl, sich im Wasser zu verteilen. 

Keine abschreckenden Strafen

Nach Ansicht von Maja Markovčić Kostelac, der Geschäftsführerin der EMSA, "kommt es immer noch regelmäßig zu illegalen Einleitungen von Öl und anderen umweltschädlichen Stoffen in europäischen Gewässern". Nur eine kleine Zahl der Verstöße werde aufgeklärt und strafrechtlich verfolgt. Die verhängten Bußgelder sind dabei wenig abschreckend - in Deutschland liegen die Strafen oft bei nicht viel mehr als 15.000 Euro. 

Die USA gehen einen anderen Weg: Hier winken Whistleblowern hohe finanzielle Belohnungen, wenn sie ein "Bilge-Dumping" in US-Gewässern melden und der Fall anschließend vor Gericht landet. Die Geldstrafen können mehrere Millionen Dollar betragen.

Die Whistleblower bekommen, auch wenn sie keine US-Staatsbürger sind, bis zur Hälfte dieser Summe. Ein solches Anreizsystem könnte auch für Europa ein Modell sein - und die Hemmschwelle deutlich erhöhen, die Meere bedenkenlos mit ölhaltigem Wasser zu verschmutzen.

3D-Animation: Martyna Marciniak

Mitarbeit: Ayu Purwaningsih und Georg Matthes

Max Bernhard freier Mitarbeiter