Keine Geheimnisse
16. Januar 2014Schon seit mehreren Monaten, seit im Sommer die NSA-Spionage-Affäre hohe Wellen schlug, verhandeln die EU-Staaten untereinander über ein Anti-Spionage-Abkommen. Es soll das gegenseitige Abhören und Bespitzeln von Politikern und normalen Bürgern verhindern. "Die EU-Kommission unterstützt ausdrücklich die Bemühungen der Mitgliedstaaten, untereinander ein Anti-Spionage-Abkommen auszuhandeln", sagte Mina Andreeva, die Sprecherin von EU-Justizkommissarin Viviane Reding in Brüssel. Eine einheitliche Haltung würde die Position gegenüber den USA stärken. "Sie würde es der EU ermöglichen, in dieser wichtigen Frage des Datenschutzes von Privatpersonen gegenüber dem Rest der Welt mit einer Stimme zu sprechen", so Andreeva.
Verhandlungen der Bundesregierung, aber auch der französischen Regierung mit den USA über ein so genanntes "No-spy-Abkommen" haben bislang kein Ergebnis gebracht. Anfang der Woche war bekannt geworden, dass sich die US-Behörden offenbar weigern, ein solches Abkommen abzuschließen. Jetzt wollen die Europäer wenigstens vereinbaren, eigene Bürger nur noch nach voriger Absprache und zur Terrorabwehr auszuhorchen, heißt es in Medienberichten.
Briten stellen sich quer
Der Bundesnachrichtendienst (BND) versuchte in bislang drei Verhandlungsrunden im Auftrag von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit europäischen Gemeindiensten ein "Anti-Spionage-Abkommen" auszuhandeln. Doch der Norddeutsche Rundfunk und die "Süddeutsche Zeitung" berichten, dass der britische Geheimdienst GCHQ kein förmliches Abkommen, sondern höchstens eine politische Erklärung akzeptieren will.
Der britische Geheimdienst ist der einzige europäische Dienst, der zu einer exklusiven Geheimdienst-Allianz der USA gehört. Nach Angaben des Informanten Edward Snowden schöpft der GCHQ in großem Umfang Daten europäischer Bürger ab, um sie an die amerikanischen Dienste weiterzugeben. Der Europa-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff kritisierte im Gespräch mit der Deutschen Welle dieses Verhalten. "Ich glaube, dass die Briten in ihrem Verhalten noch weitaus kritikwürdiger sind als die Amerikaner. Denn das, was die Amerikaner tun, mag uns nicht erfreuen, es verstößt aber nicht gegen Völkerrecht. Das, was die Briten tun, verstößt eindeutig gegen Europarecht." Die europäischen Grundlagen-Verträge verpflichten alle 28 EU-Mitgliedsstaaten zur Wahrung der Grundrechte aller EU-Bürger. Dazu gehört auch der Datenschutz.
Parlament und Kommisson drängen auf Datenschutz
Das Europäische Parlament, die EU-Kommission und die Minister der EU-Mitgliedsstaaten verhandeln schon seit Jahren über ein umfassendes Datenschutzabkommen, das auch die Standards für anstehende Verhandlungen mit den USA setzen soll. Bislang hat der Ministerrat aber eher gebremst. Der grüne Europa-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht forderte in einer Debatte am Mittwochabend (15.01.2014) die Mitgliedsstaaten auf, schneller zu handeln. "Wir bestehen seit über zwei Jahren auf einem einheitlichen Datenschutz-Gesetz für Europa. In dieser Zeit sind die zuständigen Minister im Rat nur im Kreis herumgelaufen und haben langwierig diskutiert." Sie hätten sich nicht einmal untereinander auf eine gemeinsame Position zum Datenschutz einigen können, sagt Albrecht.
Das Parlament erwägt die Aussetzung mehrerer Abkommen zum Datenaustausch mit US-Behörden und Unternehmen in den USA, um Druck auf die amerikanische Seite auszuüben. Vage Anti-Spionage-Abkommen würden keinen effektiven Schutz bieten, so der Europa-Abgeordnete. Bis zum Sommer 2014 müssten nun Lösungen auf den Tisch, forderte EU-Kommissarin Viviane Reding. Sie hatte den Mitgliedsstaaten noch zum Jahreswechsel einen politischen "Winterschlaf" vorgeworfen.
Austausch der Geheimdienste findet seit Jahren statt
Nach dem Willen der Bundesregierung sollen die europäischen Dienste vereinbaren, sich gegenseitig nicht auszuspionieren und auch Wirtschaftsspionage zu unterbinden. Allerdings gibt es schon seit den 1990er-Jahren einen intensiven Austausch von Erkenntnissen der großen Geheimdienste untereinander.
2002 wurde ein Verbindungsbüro in der Nähe von Paris eingerichtet, in dem Daten zur Abwehr von Terroristen ausgetauscht wurden. Dieses "Joint Situation Centre" wurde über die Jahre zum "EU Intelligence Analysis Centre" (EU INTCEN) ausgebaut. Seit 2011 gehört das gemeinsame europäische Geheimdienst-Analyse-Zentrum zur Behörde der europäischen Außenministerin Catherine Ashton in Brüssel. In diesem Zentrum werden nach Angaben der EU auch geheime und sensible Daten ausgetauscht und ausgewertet. Chef der rund 70 Mitarbeiter ist der ehemalige finnische Geheimdienst-Direktor Ilkka Salmi.
Von INTCEN bis zum "Berner Klub"
Das Geheimdienst-Analyse-Zentrum könnte zur Keimzelle eines eigenen EU-Geheimdienstes werden. Den jedenfalls hat die Justiz-Kommissarin Viviane Reding seit Sommer 2013 schon mehrfach gefordert. Bis zum Jahr 2020 sollte, so Reding in Interviews im November, ein eigener EU-Spionagedienst geschaffen werden, um ein Gegengewicht zur NSA bilden zu können. Reding räumte ein, dass dazu die europäischen Verträge geändert werden müssten. Bislang ist die Arbeit der Geheimdienste ausschließlich Sache der Nationalstaaten.
Die Geheimdienste Europas arbeiten bereits im so genannten "Berner Klub" zusammen. In dieser losen Arbeitsgemeinschaft sind die Inlands-Geheimdienste der 28 EU-Staaten vertreten, aus Deutschland also der Verfassungsschutz. Auch Norwegen und die Schweiz entsenden Vertreter. Die Existenz dieser informellen Runde hatte das Schweizer Bundesamt für Polizei schon vor Jahren ganz offiziell in einer Pressemitteilung bestätigt. Der "Berner Klub" hatte seine Arbeit nach den Terroranschlägen auf Züge in Madrid im Jahr 2004 verstärkt.