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Europa Interview

Mirjam Stöckel8. Juni 2007

Damit Kinder auch in Wirklichkeit möglichst gut geschützt werden, hat die EU-Kommission vor einigen Monaten eine eigene Strategie dafür vorgelegt. Die wird derzeit von den anderen EU-Institutionen geprüft.

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Bild: European Communities

Hiltrud Breyer ist Abgeordnete der Grünen im Europaparlament und nicht nur selbst zweifache Mutter, sondern in ihrer Fraktion auch zuständig für Kinderrechte. Sie arbeitet mit an der Stellungnahme des Parlaments zu den Kommissionsvorschlägen – und Mirjam Stöckel hat mit ihr gesprochen.

DW: Frau Breyer, es heißt ja immer wieder, Kinder sind die Zukunft. Ist Europa aus Ihrer Sicht ein Paradies für Kinderrechte im Vergleich auch zu anderen Regionen der Welt?

Hiltrud Breyer: Leider nicht. Die EU-Kommission hat zwar jetzt eine Befehlung zu Kinderrechten vorgelegt. Aber leider ist es sehr viel Lyrik. Es finden sich dort viele Lippenbekenntnisse und kaum konkrete Maßnahmen. Der einzige konkrete Vorschlag ist das Kindersorgentelefon, das finde ich auch sehr positiv. Aber ansonsten sind es vor allem Leerstellen und das möchten wir gerne geändert wissen.

Was wären denn ihre dringendsten Wünsche für mehr Kinderrechte in Europa – drei Stichworte!

Drei Stichpunkte wären: ökologische Kinderrechte – endlich die Schadstoffe an den Kindern zu orientieren. Zweitens, dass wir die Mädchen mit Migrationshintergrund nicht vergessen. Sprich: Kopftuchverbot in Grundschulen, kein Verbot für diese Kinder, am Sportunterricht teilzunehmen, Sexualkunde, Klassenfahrten. Ich finde, Bildung ist ein ganz wesentlicher Aspekt, gerade auch für Mädchen aus Familien mit Migrationshintergrund. Und der letzte Punkt: dass wir auch horizontal die Gesetzgebung verankern.

Was heißt das?

Dass wir ein Kinder-Mainstreaming in Gesetzen zu verankern. Dass beispielsweise, wenn eine Straße geplant wird, auch konkret überlegt wird: Ist es in der Nähe einer Schule? Wie könnte sie sich auswirken auf die Sicherheit von Kindern? Oder dass es beispielsweise bei öffentlichen Gebäuden eine Barrierefreiheit gibt. Dass wir also – wenn wir Gesetze erlassen – uns auch die Frage stellen: Wie wirken sie sich konkret auf Kinder aus?

Welche Änderungen schlagen Sie konkret im Hinblick auf Mädchen vor?

Da liegen mir vor allem die Mädchen mit Migrationshintergrund am Herzen. Da muss es unser Anliegen sein, dass Mädchen an Sportunterricht, Sexualkundeunterricht, Klassenausflügen gleichberechtigt teilnehmen können. Aber eine Neuerung – und ich hoffe, das Parlament wird das auch breit unterstützen – ist, zu sagen: Wir wollen gerne eine Empfehlung geben, dass es mindestens für Mädchen im Grundschulalter keinen Zwang mehr geben darf für Kopftücher. Also ein konkretes Kopftuchverbot. Wir wissen, diese Mädchen werden sehr früh gezwungen, Kopftücher zu tragen, damit sie diese späte nicht mehr ablegen. Echte Wahlfreiheit ist überhaupt nicht gegeben.

Würde das heißen, dass die EU den Mitgliedstaaten vorschreibt, ein Gesetz zu erlassen, wonach in Zukunft kein türkisches Mädchen an einer Grundschule mehr ein Kopftuch tragen darf?

Es wird die EU vielleicht nicht das Recht haben, ein Gesetz zu erlassen. Aber ich denke, wenn sie diese Empfehlung für alle Mitgliedsstaaten gibt, hätte das einen wesentlichen Signalcharakter in Deutschland darüber nachzudenken: Muss das Recht auf Kindheit nicht für alle Kinder gelten?

Welche Länder in Europa sind denn aus Ihrer Perspektive besonders kinderfreundlich?

Wir haben es wirklich erlebt, dass in Schweden mehr gemacht wird für Kinder, dass Österreich eines der führenden Ländern war, was die Bekämpung der Genitalverstümmelung angeht. Wir sehen gerade an den skandinavischen Ländern, dass natürlich auch die Geburtenrate höher ist. Und Europa lebt ja auch ein bisschen von der Vielfalt zu gucken, was in anderen Ländern gemacht wird.

Wo steht Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern?

Ich finde, dass sich Deutschland leider unter den letzten befindet. Und gerade die sichtbaren Möglichkeiten, Kinderrechte auch zu verbessern, bei der Verkehrsplanung stärker zu berücksichtigen – da lässt es vieles vermissen. Und ich finde, dass wir gerade jetzt viel mehr tun müssen um zu signalisieren: Kinder sind uns wichtig. Das heißt aber auch, dass wir lernen müssen von anderen Mitgliedsstaaten.

Wie kann Europa in diesem Bereich auf nationale Gesetzgebung Einfluss nehmen?

Ich denke, dass Europa Schrittmacher sein könnte. Und wir sprechen ja auch von Werten und ich finde, dass gerade Kinderrechte auch ein Wert in der Europäischen Union sein müssen. Was wir ganz klar ins Zentrum rücken sollten.

Aber ist es nicht eigentlich Aufgabe der Mitgliedsstaaten, für Kinderrechte zu sorgen?

Es ist Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Aber ich finde, auch der Europäischen Union steht es gut an – gerade wenn sie davon spricht, dass wir eine Wertegemeinschaft sind – dass wir wirklich auch die Rechte von Kindern viel mehr ins Zentrum stellen sollten.