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Europa Hautnah

Mirko Schwanitz5. April 2007

Ob in Verona, Moskau oder Paris - wo immer der bulgarische Plovdiver Knabenchor bei Festivals auftritt, immer räumt er erste Preise ab.

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Bild: AP

Zahlreiche bulgarische Solisten, die inzwischen an namhaften europäischen Opernhäusern arbeiten, haben ihre ersten musikalischen Schritte im Knabenchor von Plovdiv gemacht. Doch kaum jemand weiß, unter welch erbärmlichen Bedingungen dieser Chor sich seine Leistungen erarbeitet. Eine Reportage von Mirko Schwanitz.

Porträt des Plovdiver Knabenchors

Ein Konzertsaal in Verona. Auf der Bühne der Knabenchor "Stafka Blagoeva" aus dem bulgarischen Plovdiv. Vor dem Festival kannte ihn niemand von den Veroneser Zuschauern. Doch nach nur zwei Auftritten ist klar, die Jungen dort oben können sich mit den besten Knabenchören Europas messen - den Wiener Sängerknaben, den Leipziger Thomanern oder dem Dresdner Kreuzchor.

"Ich heiße Milka Toledova und leite den Plovdiver Knabenchor seit
etwa 25 Jahren. Ich weiß, dass es uns fast niemand glaubt, aber es
ist so, dass ich mich an kein Festival erinnern kann, auf dem wir
nicht den ersten Preis errungen haben."

Die zehnte Etage eines Plattenbaus in Plovdiv, der zweitgrößten
Stadt Bulgariens. Toschko Kitin, 12 Jahre alt, macht sich auf zur
Schule. Der Weg ist weit. Vor den Plattenbauten am Stadtrand türmt und sich der Müll auf und es riecht nach verbrannten Gummireifen.

"Einmal kam jemand in die Schule und hörte sich an wie wir singen
können. Der sagte zu mir, dass ich eine gute Stimme habe. Das war in der zweiten Klasse. Seitdem singe ich im Plovdiver Knabenchor. Nach dem Schulschluss, fahre ich gleich zur Chorprobe."

Der Chor probt im düsteren Kulturhaus der Gewerkschaften. 30 Jungen auf einem knarrenden Holzpodest. Das Mobiliar wirkt alt, abgenutzt. Nur die Urkunden an der Wand leuchten: Erste Preise in London, Paris, Moskau, Athen und - Verona. Doch es könnten wesentlich mehr sein. Chorleiterin Milka Toledova


"Das Hauptproblem in Bulgarien ist das Einkommen der Familien. Wir bekommen viele Einladungen aus Deutschland, Frankreich, Italien, die wir nicht annehmen können, weil wir Teilnahmegebühren und Unterkunft oft selbst bezahlen sollen. Doch auch wenn die Unterkunft nur 20 Euro kostet, ist das unerschwinglich für unsere Eltern, deren Monatslohn gerade einmal 150 Euro beträgt."

Die bulgarischen Politiker schmücken sich gern mit der Kultur ihres
Landes. Doch nur wenige haben begriffen, das deren Förderung und
Erhaltung Geld kostet. Wie man unter diesen Bedingungen überhaupt internationales Niveau halten kann, ist für Toshkos Mutter dennoch
kein Rätsel.

"Die Jungen kommen nach der Schule oft völlig müde hier an. Doch
Frau Toledova schafft es immer wieder, das die Jungen alles um sich herum vergessen. Es beeindruckt mich, wie sehr die Chorleitung von dem Erfolg der Jungen überzeugt sind."

Tatsächlich sind Absolventen des Chores überall in Europa als
Solisten tätig - so an der Berliner, der Wiener oder Baseler Oper.
Und viele verdanken es der Kunst von Chorleiterin Toledova, dass sie
soweit gekommen sind.


"Ich glaube, die Erklärung ist ganz einfach: Die Kinder spüren meine
Liebe für sie, für die Kunst. Deshalb sind sie selbst mit ganzem
Herzen dabei."