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Europa Hautnah

Silke Oekonomopolous30. März 2007

In unserer Reportage blicken wir diese Woche nach Zypern: Die Spaltung der Insel in griechischen und türkischen Teil ist jetzt mehr als 30 Jahre her – die davon betroffenen Menschen leiden darunter bis heute.

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Bild: AP

45.000 türkische Zyprer mussten 1974 in den Norden emigrieren, umgekehrt 200.000 griechische Zyprer in den Südteil der Insel. 2000 Menschen kamen dabei ums Leben, genauso viele werden bis heute vermisst. Einige Zyprer könnten aber bald erfahren, was mit ihren Familienmitgliedern passiert ist. Silke Oekonomopulos hat eine griechisch-zyprische Familie besucht.

Toula Kouloumas steht in der Tür ihres kleinen Hauses. Willkommen, sagt sie herzlich. Ihre graumelierten Haare sind mit einem Reif zurückgesteckt. Sie ist ganz in schwarz gekleidet. Toula lebt in einer Flüchtlingssiedlung, nahe der Hauptstadt Nikosia. Die Häuser gehören der Regierung, sie wurden nach der Teilung der Insel für griechisch-zyprische Familien gebaut, die aus dem Norden vertrieben wurden.

Leben im Provisorium

Toula zog 1977 mit ihren vier Kindern ein. Über die Jahre ist das Haus gemütlich geworden, im Garten leuchten Zitronen und Mandarinen an den Bäumen, ihr Sohn Marios hat die Küche gerade frisch renoviert. Doch für die heute 68-jährige Mutter bleibt es ein Provisorium.

Sie wartet auf bessere Zeiten, wartet auf die Rückkehr in ihr Heimatdorf im Norden, wartet aber vor allem auf eines: auf die Rückkehr ihres geliebten Mannes. "Es ist, als wäre nicht viel Zeit vergangen, 1974 ist wie gestern. Ich habe noch immer Hoffnung, ich werde nie aufhören zu warten und ich glaube, dass er zurückkommt."

Vermisst seit 1974

Das letzte Mal wird Nikos Kouloumas im August 1974 lebend gesehen. Die Türkei hält den Norden besetzt, fast 40 Prozent der Insel. Die dort lebenden griechischen Zyprer müssen ihre Häuser verlassen und werden in Grenzdörfern zusammengetrieben.

Nikos' Sohn Marios erzählt: "Die türkischen Offiziere haben den Frauen befohlen, in die Kirche zu gehen, um für die dort gefangenen Männer zu kochen. Meine Mutter ging freiwillig, um meinen Vater zu sehen und ihm zu sagen, dass mit der Familie alles ok ist. In der Kirche suchte sie meinen Vater und fragte die anderen, wo er sei. Sie sagten ihr, dass in der letzten Nacht ein paar türkische Soldaten dort gewesen wären und sechs Männer mitgenommen hätten. Sie sollten im türkisch-zyprischen Dorf nebenan arbeiten. Seither wird mein Vater vermisst."

Marios kommt mit seinen Geschwistern und der Mutter in ein Flüchtlings-Camp im Süden, der Republik Zypern. Sie warten auf den Vater - doch sein Platz bleibt leer - bis heute erinnern allein alte Fotos an ihn. "Das ist mein Vater mit seinem Bruder und seiner Schwester, das wurde vor unserem Haus im Norden, in Kythrea aufgenommen."

Ehemänner, Brüder, Väter... auf der griechisch-zyprischen Seite werden bis zum heutigen Tag rund 1500 Menschen vermisst, bei den Zyperntürken sind es 500, die für immer verschwanden.

Chancen auf Gewissheit

Die Aufarbeitung der Geschichte ist schwierig, auch wenn sich die Zusammenarbeit beider Inselteile in der Vermissten-Frage verbessert habe, sagt der Vorsitzende des Vermisstenverbandes, Nikos Theodosiou. Inzwischen wurden die menschlichen Überreste von 220 griechischen und 90 türkischen Zyprern exhumiert, zur Zeit laufen DNA-Analysen, schon in den nächsten Monaten könnten die ersten Opfer identifiziert sein.

Dennoch: Die Freude über den Fortschritt ist verhalten. Nikos Theodosiou. "Ja, die DNA-Analysen sind ein Anfang, wir sagen immer, es ist ein positiver Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen aber auch erste Schritte unternehmen, was die Erkundungen über das tatsächliche Schicksal der Vermissten betrifft. Den Familien müssen hier Antworten gegeben werden, das verlangt auch der europäische Gerichtshof für Menschenrechte."

Versöhnung durch Aufarbeitung

Nikos Theodosiou hegt eine leise Hoffnung, dass angesichts der guten Zusammenarbeit beider Seiten bald noch mehr Bewegung in die Vermissten-Frage kommt, dass die betroffenen Familien erfahren, was damals wirklich passierte. Denn nur dann, sagt er, werden Zyperngriechen und -türken einen gemeinsamen Weg finden.

"Ich persönlich glaube, dass die Wiedervereinigung der Insel dazu beitragen würde, das Vermisstenproblem zu lösen und umgekehrt würde das Lösen dieses Problems die Wiedervereinigung beschleunigen." Ein Vermisster, steht auf einer Gedenktafel an der innerzyprischen Grenze, ist wie ein Körper ohne Seele, wie eine nicht hörbare Stimme, die immer gegenwärtig bleibt, wie eine Erinnerung, die sich weigert zu verblassen.

Toula lebt seit mehr als 30 Jahren mit dem Schatten ihres Ehemanns. Sie wird die Hoffnung nie aufgeben, dass ihr Nikos vielleicht bis heute in einem Gefängnis sitzt - und eines Tages zurückkommt. "Ich habe das Gefühl, dass er am Leben ist, denn er war jung und stark, er war bei guter Gesundheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er tot ist. Ich warte, dass ich ihn wieder lebend vor mir sehe. Aber auch wenn mir jemand eine "andere Nachricht" überbringt, möchte ich sie hören, bevor ich gehe."