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Politik

Europa als Nuklearmacht?

Barbara Wesel
7. Februar 2017

Jaroslaw Kaczynski ist Vorsitzender der Regierungspartei PiS und der starke Mann Polens. Er plädiert in einem Zeitungsinterview für eine "Supermacht Europa" mit nuklearer Bewaffnung. Brauchen wir diese Debatte?

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Moskau Russische Interkontinental Rakete Atomwaffen Russland
Bild: Getty Images/AFP/N. Kolesnikova

Der Strippenzieher der polnischen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" stößt eine Debatte an, die bisher nur vereinzelt geführt wird. Jaroslaw Kaczynski sagte im Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", er würde es begrüßen, wenn Europa eine Supermacht würde und als eigene Atommacht mit Russland mithalten könnte. Er räumt allerdings auch ein, dass man zu gewaltigen Ausgaben bereit sein müsse. Das sehe er nicht kommen.

Dennoch: Kaczynski rührt damit an ein Tabu. Bisher gab es nur wenige Stimmen zu diesem Thema. So sagte der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter vor kurzem der Nachrichtenagentur Reuters, Europa brauche "einen nuklearen Schutz zur Abschreckung", wenn die USA ihren nuklearen Schutzschirm nicht mehr zur Verfügung stellten. 

Wollen Europäer britisch-französischen Atomschirm?

"Es ist nicht überraschend, dass es jetzt zu einer solchen Debatte kommt", sagt Nick Witney, früherer Chef der Europäischen Verteidigungsagentur, heute beim Thinktank ECFR. Die politische Lage habe sich so blitzschnell verändert - damit verändere sich auch die verteidigungspolitische Diskussion.

Wie glaubhaft aber könnte eine europäische nukleare Abschreckung sein? Noch vor 30 Jahren wären London und Paris geschmeichelt gewesen, wenn die Europäer sie zu Verteidigern des Kontinents erhoben hätten. "Man würde dafür Institutionen brauchen, die die EU nicht hat", sagt Nick Witney. Und nach dem EU-Austritt Großbritanniens bliebe nur Frankreich mit seinen Atomwaffen, das im Notfall noch fähig sei, "dem russischen Bären einen Arm abzureißen". Die Diskussion ist in den Augen des Verteidigungsexperten "weit am Rand des Spielfelds", jedoch auch "nicht ganz außerhalb des Möglichen".

EU-Nuklearwaffen wären ein Fehler 

"Es gibt leider eine konkrete Bedrohung", sagt Ulrich Kühn von der Carnegie Stiftung für internationalen Frieden. Die Argumente für eine solche Diskussion seien angesichts von Donald Trump als US-Präsidenten alle da. Dennoch hält er sie für "nicht hilfreich". Noch gebe es die NATO und unter US-Führung würden gerade konventionelle Waffen in Polen und im Baltikum stationiert. Die Europäer sollten solange die NATO existiere, nuklear "die Füße still halten". 

Britisches Atom-U-Boot HMS Turbulent
Wie glaubhaft wäre Großbritannien noch mit seinen Atomwaffen als Verteidigungsmacht für Europa? Bild: picture alliance/dpa/G.Staepler

Kühn hält den Vorschlag vor allem praktisch nicht umsetzbar: "Russland hat 2000-3000 taktische Atomwaffen". Wollte man dem einen adäquaten Schutz entgegensetzen, kämen auf Europa unglaubliche Ausgaben zu. Und vor allem: Wer hätte den roten Knopf und die Verfügungsgewalt? Zudem sei eine Mehrzahl der europäischen Bürger, auch in Polen, gegen eine solche Aufrüstung.

Gefährlich findet Kühn auch, dass der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen aus dem Jahr 1968 faktisch beendet würde, wenn die Europäer ihn kündigten. "Das hätte weltweite Auswirkungen. Es könnten 55-60 Nuklearländer entstehen - ein Horrorszenario." Stattdessen sollten die Europäer endlich das tun, worüber sie seit jeher redeten: Die Verteidigungskooperation voranbringen und gemeinsam Waffensysteme beschaffen, um effektiver und glaubwürdiger in der konventionellen Verteidigung zu werden.

Gegen ein atomares Wettrüsten

Für die Stärkung der Verteidigungs-Kooperation ist auch Michael Gahler, Sprecher im Verteidigungsausschuss des Europaparlaments. "Wir müssen endlich tun, was uns der Lissabon-Vertrag erlaubt - die strukturierte Zusammenarbeit umsetzen." Von 203 Milliarden Euro Verteidigungsausgaben in der EU könnten 26 Milliarden gespart oder anders eingesetzt werden, wenn die Mitgliedsländer zusammen arbeiten würden, steht in einem Papier des Europaparlaments zur gemeinsamen Verteidigungspolitik.  "Gemeinsam beschaffen, zusammen üben, Strukturen zusammen legen", das seien die nächsten Schritte, sagt Gahler.

Friedensbewegung
Will Europa eine Wiederauflage des Streits um die NATO-Nachrüstung in den 80er-Jahren? Bild: picture-alliance/K. Rose

Ein atomares Wettrüsten aber hält er für falsch: Zwar sieht auch er eine reale Bedrohung durch die taktischen Atomwaffen, die die Russen etwa in Königsberg stationiert hätten. "Aber insgesamt gibt es (bei der atomaren Abschreckung, Anm. d. Red.) ein Gleichgewicht. Wir wollen nicht die alte Aufrüstungsdebatte aus den achtziger Jahren wieder beleben." Der Europaabgeordnete räumt dabei ein, dass Russland und die USA derzeit nicht mehr vorhersehbar seien, wie das noch vor der Jahrtausendwende der Fall war. Dennoch meint Michael Gahler: "Diese Debatte sollten wir nicht anfangen".