Transatlantischer Freihandel
7. Februar 2013Über das Ergebnis sind sich alle einig. Ja, schwärmen Wirtschaftsexperten, Politiker und Unternehmer unisono: Ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU würde das Wachstum auf beiden Seiten des Atlantiks beflügeln. Der Vertrag könnte zudem sicherstellen, dass die globalen Spielregeln der Wirtschaft auf absehbare Zeit vom Westen und nicht von China aufgestellt werden.
Wirtschaftlich betrachtet würde ein umfassendes Freihandelsabkommen die Karten im Welthandel neu mischen. Der Handel zwischen der EU und den USA ist die größte bilaterale Wirtschaftspartnerschaft der Welt. Täglich werden Waren und Dienstleistungen im Wert von mehr als 1,8 Milliarden Euro umgesetzt. Zusammen genommen erwirtschaften beide Volkswirtschaften rund die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistungen und wickeln rund ein Drittel der weltweiten Warenströme ab. Nach EU-Schätzungen würde ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen den beiden wichtigsten Weltmärkten mit ihren rund 800 Millionen Einwohnern das Bruttoinlandsprodukt der EU um 0,5 Prozent oder 65,7 Milliarden Euro pro Jahr steigern. Für die USA werden Steigerungen in ähnlicher Größenordnung erwartet. Zudem würde aufgrund der Größe der Märkte eine transatlantische Vereinheitlichung der Industriestandards und Zulassungsverfahren diese Regeln faktisch zum Weltstandard machen, was insbesondere für die europäische Industrie ein Vorteil wäre.
Breite Unterstützung
Innerhalb Europas gibt es breite politische Unterstützung für ein transatlantisches Freihandelsabkommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britische Premierminister David Cameron haben sich für das Projekt ausgesprochen. Und nachdem eine europäisch-amerikanische Arbeitsgruppe im vergangenen Sommer einen positiven Zwischenbericht über die Chancen und Auswirkungen eines Abkommens vorgelegt hatte, signalisierten EU-Kommissionschef José Manuel Barroso und auch US-Präsident Barack Obama grundsätzliche Zustimmung.
Alles nur ein Traum?
Doch selbst wenn der offizielle Abschlussbericht der transatlantischen Arbeitsgruppe wie erwartet in den nächsten Tagen die Aufnahme von Verhandlungen empfehlen wird, ist völlig unsicher, ob eine transatlantische Freihandelszone jemals Realität werden wird. Daniel Gros, Direktor des Brüsseler Centre for European Policy Studies, befürwortet zwar ein solches Abkommen, zeigt aber Hürden auf. "Das große Problem ist die Unabhängigkeit der verschiedenen Regulierungsbehörden." Gros nennt als Beispiel die US-Arzneimittelbehörde FDA: "Das ist ein ganz sensibles Thema. Kann die amerikanische Behörde ohne weiteres eine europäische Zertifizierung akzeptieren und umgekehrt?"
Unterschiedliche Regulierungen
Ähnliches gilt für die Zulassung und Regulierung von zahlreichen anderen Waren und Dienstleistungen. So verlangt die EU beispielsweise eine Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln - die USA nicht. Auch komplexe und bisher sehr unterschiedlich regulierte Dienstleistungen wie Versicherungen oder Finanzprodukte sollen von dem Abkommen erfasst werden.
"Ich halte es für unrealistisch, dass ein Freihandelsabkommen all diese Regeln harmonisieren kann", sagt Charles Ries, Vice President der Rand Corporation in Washington. Ries, der für die USA an der Aushandlung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA mit Mexiko und Kanada beteiligt war, favorisiert eine kleine Lösung: "Ich würde ein Freihandelsabkommen ins Auge fassen, dass alle Zölle und Quoten zwischen den Vereinigten Staaten und Europa abschafft."
Doch die EU und die USA gehen aufs Ganze. "Die Zollschranken fallen im transatlantischen Handel nicht wirklich ins Gewicht", sagt der Sprecher von EU-Handelskommissar Karel de Gucht. "Die größten Hindernisse sind die unterschiedlichen Zulassungsregeln und Standards, weshalb wir nicht nur die Zölle abschaffen wollen, sondern vor allem eine Harmonisierung dieser Regeln anstreben."
Schlechte Erfahrungen
Die Experten sind skeptisch, ob das gelingen kann. Sie verweisen darauf, dass die Vision vom transatlantischen Freihandel seit Jahren immer wieder durch die politischen Debatten in Washington und Brüssel wabere, aber nie verwirklicht wurde. Doch selbst wenn die EU und die USA in den nächsten Monaten offiziell die Verhandlungen aufnehmen, ist ein Erfolg alles andere als sicher. Denn die Unterhändler der US-Regierung und die EU-Kommission agieren nicht im luftleeren Raum. Ohne die abschließende Zustimmung des US-Kongresses und des EU-Parlaments gibt es kein Abkommen.
Klarer Zeitplan verlangt
Nicht nur die US-Regierung, sondern auch Experten fordern ein schnelles Verhandlungstempo mit klaren Zeitvorgaben. Innerhalb eines Jahres nach Gesprächsbeginn sollte eine grundsätzliche Einigung stehen, so die Experten. Nach zwei bis drei Jahren müsse dann der Vertrag ausgehandelt sein. "Denn wenn man ein großes Projekt anfängt, aber es dann nicht zu Ende bringen kann, dann steht man vielleicht schlechter da, als wenn man es gar nicht erst angefangen hätte", warnt Daniel Gros.