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Mit kleinen Schritten voran

Barbara Wesel, z. Zt Bratislava16. September 2016

27 Regierungschefs suchten einen Ausweg aus der Krise seit dem Brexit. Sie einigten sich zwar auf einen Fahrplan, der die EU voranbringen soll. Die Flüchtlingsfrage blieb wieder ungeklärt. Barbara Wesel aus Bratislava.

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Fico, Tusk und Juncker (Foto: Reuters/Y. Herman)
Der slowakische Gastgeber Fico (l.), Ratspräsident Tusk und Kommissionspräsident Juncker (r.)Bild: Reuters/Y. Herman

Sicherheit, Wohlstand und die Zukunft der Jugend - in diesen Schlagworten steckt die Botschaft von Bratislava. Einen ganzen Tag lang haben die Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer - ohne Großbritannien - auf der alten Burg über der Stadt beraten, ob und wie Europa zu retten ist. Für zusätzliche Inspiration sorgte zwischendurch eine Dampferfahrt auf der Donau, die wohl mithalf, die leicht depressive Stimmung aufzuhellen. "Das war der netteste Teil des Treffens", schwärmte Ratspräsident Donald Tusk.

Am Ende hatten sich alle auf einen Fahrplan geeinigt, wie es weiter gehen soll. Und die Streitigkeiten schienen soweit beiseite gelegt, dass man die nächsten europäischen Diskussionsrunden auf Chefebene ansteuern kann: Anfang des Jahres in Malta, Ende März dann in Rom zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge. Aber da will Angela Merkel dann schon konkrete Ergebnisse vorzeigen können, wie sie betont.

Der deutsch-französische Motor

Es war der einzige kleine Coup bei diesem ansonsten nüchternen Gipfeltreffen: Angela Merkel und François Hollande hielten ihre Pressekonferenz gemeinsam ab. Die Bundeskanzlerin hatte in den letzten Wochen alles getan, um den berühmten deutsch-französischen Motor in der EU wieder in Gang zu bringen. Sie hatte vorab mit allen Mitgliedsländern gesprochen, besonders auch mit den Osteuropäern - den französischen Präsidenten aber traf sie in den letzten Wochen allein viermal. Immer noch ruht die Zukunft der EU, so scheint es, auf der Zusammenarbeit zwischen den beiden großen Ländern.

Hollande und Merkel (Foto: Getty Images/AFP/S. De Sakutin)
Wollen mit einer gemeinsamen Pressekonferenz Einigkeit demonstrieren - Angela Markel und François HollandeBild: Getty Images/AFP/S. De Sakutin

"Wir müssen eine neue Perspektive für Europa entwickeln", sagt François Hollande - und Angela Merkel spricht ganz praktisch von den Arbeitsplätzen der Zukunft, der Förderung von Start-up-Unternehmen, von Chancen für die Jugend. Um dann noch den "Geist von Bratislava" zu beschwören: Er beruhe auf Zusammenarbeit, Kompromissen, Solidarität und gemeinsamen Werten. Die Wähler aber würde vor allem interessieren, wie sich Europa für ihr praktisches Leben auswirke.

Der französische Präsident erwähnte eines der unmittelbaren Ziele: "Alle waren sich einig, die EU müsse zeigen, dass sie ihre Außengrenzen schützen kann", so Hollande. Bulgarien wird als erstes Land unterstützt mit 160 Millionen Euro und europäischem Personal, um die Grenze zur Türkei und zu Griechenland besser zu sichern.

Der Schwerpunkt der deutsch-französischen Vorhaben aber liegt bei der inneren Sicherheit, besonders beim Kampf gegen den Terrorismus und bei der Verteidigung. Paris und Berlin wollen ein Hauptquartier für gemeinsame Einsätze einrichten sowie durch gemeinsame Beschaffung Geld sparen und ihre Rüstungsunternehmen stärken. Wer bei dieser besonderen Zusammenarbeit mitmachen wolle, der sei willkommen, fügte Hollande hinzu.

Keine totale Harmonie

Der Gastgeber Robert Fico gab sich am Ende des Treffens versöhnlich – immerhin ist der slowakische Premier Mitglied der Visegrad-Gruppe, die seit Monaten Totalopposition zur EU-Flüchtlingspolitik betreibt: "Es ist wichtig, dass wir den Willen der 27 zeigen, mit diesem einmaligen Projekt [Europa] weiter zu machen. (…) Es ist nicht perfekt, aber wir haben Sicherheit und Stabilität."

Aber es gab abweichende Meinungen. Der Ungar Viktor Orban erklärte den Gipfel hinterher zum Misserfolg, weil es nicht gelungen sei, "die Einwanderungspolitik Brüssels zu ändern". Er betreibt gerade zu Hause eine Propagandakampagne, um seine Bürger für ein Referendum gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aufzuwiegeln. Im Saal bei seinen europäischen Kollegen aber hatte er zuvor ein Papier vorgelegt, mit dem die Visegrad-Staaten ihrerseits "flexible Solidarität" vorschlagen. Das bedeutet, dass ein Land mehr für den Grenzschutz tun soll, wenn es keine Flüchtlinge aufnehmen will. Die Bundeskanzlerin hatte das für einen möglichen Weg erklärt, zu Ergebnissen kommen.

Viktor Orban (Foto: Getty Images/AFP/V. Simicek)
Nicht überzeugt: Ungarns Ministerpräsident Viktor OrbanBild: Getty Images/AFP/V. Simicek

Unzufrieden war auch der italienische Premier Matteo Renzi. Obwohl Merkel und Hollande nach Italien gereist waren, um ihn in schwieriger Zeit zu unterstützen, wollte er das Podium vor der Presse nicht mit ihnen teilen. Er wolle da keine Harmonie vorspielen, wenn man sich nicht in allem einig sei. Renzi sieht Italien in der Flüchtlingspolitik mit seiner Last weitgehend allein gelassen. Und er kämpft nach wie vor gegen die Sparpolitik des Stabilitätspaktes. "Die EU muss schneller vorangehen, oder sie wird große Probleme bekommen", lautet seine Folgerung nach dem Gipfel.

Brexit als Nebensache

Der Ausstieg Großbritanniens aus der EU war die Ursache für den Gipfel, aber er kam nur am Rande vor. EU-Ratspräsident Donald Tusk bestätigte die gemeinsame Linie: Es gibt keine Vorverhandlungen, bevor die Verhandlungen beginnen. Er erwartet dass die britische Premierministerin Theresa May Anfang nächsten Jahres das Verfahren nach Artikel 50 der EU-Verträge in Gang setzen wird. "Unser Ziel ist es, dass die künftige Beziehungen so eng werden wie möglich", aber es werde keine Rosinen-Pickerei geben. Bis zum Ende dieser Verhandlungen bleibt Großbritannien allerdings Mitglied der EU, schon beim nächsten routinemäßigen Treffen im Oktober wird May wieder dabei sein.