EU einigt sich auf Lieferkettengesetz
15. März 2024Wie die belgische Ratspräsidentschaft in Brüssel mitteilte, hat bei der Abstimmung über das Gesetz zum Schutz der Menschenrechte eine ausreichende Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten dafür gestimmt, die für mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen.
Damit wurde Deutschland überstimmt, das sich im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten enthielt. Eine Enthaltung in dem Gremium wirkt wie eine Nein-Stimme.
In der Bundesregierung war es wegen Unstimmigkeiten zwischen der FDP, die das Gesetz ablehnt, auf der einen Seite und den Befürwortern SPD und Grünen auf der anderen zu keiner einheitlichen Position gekommen. Die Liberalen befürchten etwa, dass sich Betriebe aus Angst vor Bürokratie und rechtlichen Risiken aus Europa zurückziehen. Die Unstimmigkeiten hatten zu einem offenen Schlagabtausch in der Ampel-Koalition geführt.
Gegen Kinderarbeit und Klimawandel
Im Kern geht es darum, dass große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar sind.
Abgeschwächte Form verabschiedet
Grundsätzlich hatten sich Unterhändler der Mitgliedsstaaten bereits im Dezember auf das Lieferkettengesetz geeinigt. Weil aber damals noch nicht die erforderliche Mehrheit erreicht wurde, wurde der Entwurf noch einmal abgeschwächt: Das Gesetz soll nun - nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren - erst für Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten und einem Umsatz von mindestens 450 Millionen Euro gelten. Ursprünglich wären schon Firmen mit 500 Angestellten und einem Umsatz von mindestens 150 Millionen Euro darunter gefallen.
Lob und Kritik aus Deutschland
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der das Gesetz federführend für die Bundesregierung mit verhandelt hat, begrüßte das Votum, das ohne deutsches Ja zustande kam. Es sei endlich gelungen, eine gemeinsame europäische Lösung für faire Lieferketten zu finden, sagte der SPD-Politiker. Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze, ebenfalls SPD, sprach von einem "Meilenstein" und erklärte, mit einem EU-Lieferkettengesetz gebe es künftig gleiche Wettbewerbsbedingungen.
Enttäuscht zeigte sich dagegen Bundesjustizminister Marco Buschmann. Er habe sich ein anderes Ergebnis gewünscht, sagte der FDP-Politiker. Gleichwohl sei der Einsatz "keinesfalls umsonst" gewesen. So sei der Anwendungsbereich reduziert worden und die Baubranche sei kein Risikosektor mehr.
Deutliche Kritik kam aus der Wirtschaft. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sprach von einem "weiteren Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit". BDI-Präsident Siegfried Russwurm erklärte, die Richtlinie bürde Unternehmen "uneinlösbare Pflichten auf, die einen enormen bürokratischen Aufwand verursachen".
Lob und Kritik von Hilfsorganisationen
Nach Einschätzung des Chefs der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO), Gerd Müller, sorgt das neue Lieferkettengesetz für eine gerechtere Globalisierung. "Ausbeutung und Kinderarbeit in Entwicklungsländern dürfen nicht länger ein Wettbewerbsvorteil sein", betonte der CSU-Politiker und ehemalige Entwicklungsminister.
Weniger euphorisch äußerten sich Nichtregierungsorganisationen: Oxfam kritisierte das abgeschwächte Gesetz als "Meilenstein mit Abstrichen". Auch viele andere Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen wie der BUND, die Deutsche Umwelthilfe und Germanwatch reagierten zwar erleichtert auf die Mehrheit für das Gesetz - kritisierten aber auch das deutsche Abstimmungsverhalten und die Veränderungen in letzter Minute.
Nach Einschätzung der Organisation "Initiative Lieferkettengesetz" gilt das Gesetz nun nur noch für ein Drittel der Unternehmen im Vergleich zur ursprünglich vorgesehenen Zahl, in Summe für rund 5500 Unternehmen. "Wir sind enttäuscht, dass das Vorhaben so ausgehöhlt wurde", sagte Johanna Kusch von der Organisation. Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, betonte, es sei bitter, dass sich Deutschland enthalten habe, nachdem es "zuvor für massive Verschlechterungen im Gesetzestext gesorgt" habe.
Eine weitere Hürde muss das Gesetz noch nehmen, da das EU-Parlament dem Vorhaben zustimmen muss. Hier gilt eine Mehrheit als wahrscheinlich. Die abschließende Abstimmung dort soll nach Angaben der EU-Abgeordneten Anna Cavazzini im April erfolgen.
mak/kle (afp, dpa, rtr, kna)