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Politik

"Konflikte um Mossul sind vorprogrammiert"

Friedel Taube
30. Oktober 2016

Die Europaabgeordnete Barbara Lochbihler ist in den Irak gereist. Im DW-Interview macht sie klar, dass die derzeitige Hilfe nicht ausreichen könnte - und dass eine Befreiung Mossuls noch keinen Frieden bedeutet.

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Irak Militäroperation gegen IS bei Mossul (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Frau Lochbihler, wir erreichen Sie telefonisch in Erbil. Wieso sind Sie in den Nordirak gereist und was sind Ihre Eindrücke von vor Ort?

Mir geht es vor allem darum, dass man bei der Befreiung von Mossul keine Kriegsverbrechen toleriert. Als Menschenrechtspolitikerin erinnere ich mich noch sehr gut daran, was im Mai 2016 bei der Befreiung von Falludscha passiert ist. Viele Zivilisten kamen ums Leben, es gab Folter und Hinrichtungen. Am Samstag habe ich mich mit dem Chef der Nationalen Menschenrechtskommission sowie mit Vertretern der EU und der Vereinten Nationen getroffen. Die haben mir alle gesagt, dass den hochrangigen Militärs klar sei, dass sie so etwas verhindern müssen. Dass sie ihre Truppen anhalten müssen, keine Rache zu üben. Das war mir wichtig zu hören. 

Hat man Ihnen auch gesagt, was genau unternommen werden soll, um solche Gewaltakte zu verhindern?

Nach Falludscha hat man ja versucht aufzuarbeiten, was dort passiert ist. Letzte Woche hatten wir den irakischen Außenminister im Parlament in Brüssel zu Gast, er sagte, Falludscha dürfe sich nicht wiederholen. Spezifisch ist er dabei allerdings nicht geworden. Umso wichtiger ist es, dass man gesicherte Informationen bekommt aus den Dörfern vor Mossul und natürlich Mossul selbst.

Barbara Lochbihler
Barbara Lochbihler sitzt für die Grünen im EU-ParlamentBild: Olaf Köster

Wie schätzen Sie denn die humanitäre Situation vor Ort ein?

Im Irak ereignet sich die weltgrößte humanitäre Katastrophe überhaupt. Sie wird aber wegen des Kriegs in Syrien und anderer Dinge gar nicht mehr so wahrgenommen. Im Irak brauchen mehr als zehn Millionen Menschen humanitäre Hilfe, darunter 3,3 Millionen Zivilisten, die aus ihren Orten vertrieben wurden, manche schon das zweite oder dritte Mal. Im "Worst-Case-Szenario" der Hilfsorganisationen brauchen nochmal zwei bis drei Millionen Irakis mehr humanitäre Hilfe.

Sind denn die Hilfsorganisationen vor Ort ausreichend mit Mitteln ausgestattet, um so eine Situation zu bewältigen?

Stand jetzt gibt es in den Lagern rund um Mossul 17.000 bis 18.000 Flüchtlinge, damit können die Helfer gut umgehen. Die bauen jetzt Zelte auf, besorgen Essen, Hygieneartikel und so weiter. Ein Vertreter der Vereinten Nationen, der sich mit den Routen im Osten beschäftigt, rechnet aber mit 60.000 Flüchtlingen. Damit könnte man nicht mehr umgehen. Dann braucht man noch viel mehr Mittel. Von den 284 Millionen US-Dollar, die die UN für humanitäre Hilfe in Mossul einwerben wollte, hat sie bisher erst die Hälfte bekommen. Mir hat man gesagt, dass Deutschland eigentlich sehr gut und großzügig helfe, aber der Appell richtet sich natürlich auch an andere Staaten - auch in der EU.

Die EU hat 50 Millionen Euro an Hilfe für Mossul zugesagt. Reicht das denn?

Das kann reichen, aber nicht, wenn es  zum Schlimmsten kommt. Auch zivilgesellschaftliche Gruppen wie der Norwegische Flüchtlingsrat sagen mir, dass man nicht gut aufgestellt sei, wenn viele Flüchtlinge kommen. Aber sie arbeiten dran. Ich habe mich jetzt davon überzeugt, dass die EU ihre eigenen humanitären Hilfsstrukturen verfeinert hat und eng verzahnt mit der UN arbeitet.

Ein weiteres Problem das mit aufgefallen ist: Jeder, der aus Mossul rauskommt, wird überprüft - vor allem junge Männer um die 18 Jahre. Erst dann können sie in ein Flüchtlingslager. Natürlich wollen sowohl die Kurden, als auch die irakische Regierung sehen, wer mit dem IS kollaboriert hat. Allerdings dauert dieses Screening lange, es ist nicht transparent, und immer wieder werden Flüchtlinge zu Unrecht verdächtigt, mit dem IS kollaboriert zu haben. Ich werde auch in Gesprächen mit kurdischen Vertretern unterstreichen, dass dieser Prozess qualifiziert gehandhabt werden muss.

Irak Flüchtlingslager in Duhok
Ein Flüchtlingslager in Duhok (Irak)Bild: Reuters/A. Jalal

An der Offensive auf Mossul sind Parteien mit völlig verschiedenen Interessen beteiligt. Wie geht es weiter, wenn die Stadt eingenommen wird?

Die irakische Regierung nimmt die Schlacht zum Anlass, sich mit anderen Parteien wie den Kurden offiziell zu vereinigen. Das Vertreiben des IS wird aber nicht die Frage lösen, was aus Mossul wird. Meine Gesprächspartner haben mir gesagt, dass wahrscheinlich jede beteiligte Partei Anspruch auf das jeweils befreite Gebiet erheben wird. Wenn das geschieht, ist der nächste Konflikt vorprogrammiert. Auch wenn die Befreiung von Mossul so brutal von statten wie befürchtet, dann kann man davon ausgehen, dass die Konflikte wieder aufflackern. Es ist höchste Zeit für Versöhnungsprozesse.

Welche Rolle kann die EU dabei spielen?

Die EU wird von der Bevölkerung als ein "ehrlicher Makler" empfunden. Die Hilfe wird wertgeschätzt. Viele wünschen sich, dass sich die EU proaktiv in den politischen Prozess einbringt. Wenn ich das als Europaangeordnete höre, bin ich natürlich auch dafür. Ich weiß aber auch, wie im Europäischen Rat oft gestritten wird und wie die EU geschwächt wird, weil sie nicht mit einer Stimme spricht.

Die EU sollte den Konflikt im Irak mehr in den Fokus nehmen, als sie es bisher getan hat. Man sieht es auch hier in Erbil: Man braucht großzügige Unterstützung beim Wiederaufbau der Infrastruktur, beim Bau und Management der Flüchtlingslager. Man braucht mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Man braucht Bildung.

Barbara Lochbihler ist außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament und Vizepräsidentin des EP-Menschenrechtsausschusses. Sie ist u.a. Mitglied bei Amnesty International Deutschland.

Das Gespräch führte Friedel Taube.