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ESC-Siegerin Netta: "Für mich ist es Magie"

7. Februar 2019

In 100 Tagen steigt der ESC in Tel Aviv - dank Netta Barzilai. Die Israelin gewann 2018 in Lissabon mit einer fulminanten Show. Der Medienrummel danach war nicht immer angenehm für sie. Aber Aufhören ist nicht ihr Ding.

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Netta Muskvideo zu Lied Bassa Sababa
Bild: Daniel Kaminsky/Tedy Productions

Als pinkfarbener Alptraum rennt Netta in Gestalt eines Nashorns hinter ihrem flüchtigen Bräutigam her - in ihrem Video zum neuen Song "Bassa Sababa" zeigt die Sängerin dem Rest der Welt, wo der Hammer hängt. Nämlich da, wo SIE es sagt.

Beim Eurovision Song Contest 2018 in Lissabon war die exzentrische Israelin mit ihrem Song "Toy" zum Publikumsliebling geworden. Danach drehte sich ihr Leben um 180 Grad - wie sie selbst sagt. Sie holte den Gesangswettbewerb nach 20 Jahren zurück nach Israel. Im kommenden Mai werden Fans aus der ganzen Welt in Tel Aviv sein, um eines der größten Musikspektakel der Welt zu feiern. Das alles ist ihr zu verdanken. Klingt erst einmal toll. Aber die Geister scheiden sich an der kapriziösen und verrückten Netta - und daran, dass der ESC in Israel stattfindet.

Es gab Streitereien - bis in höchste politische Ebenen. In Israel zankte man sich etwa über den Austragungsort - sollte es das prestigeträchtige, hochgradig religiöse Jerusalem werden? Oder die junge, weltoffene Partystadt Tel Aviv am Meer? Außerhalb Israels wurden Boykottaufrufe laut. Im September 2018 riefen mehr als 100 internationale Künstler in einem offenen Brief dazu auf, dem ESC in Israel fernzubleiben - als Protest gegen die Besetzung der Palästinensergebiete. Und vor Kurzem erst haben britische Künstler die BBC aufgefordert, die Show im Mai nicht zu übertragen. Am 20. Januar dann stürmten Protestler in Paris die Bühne beim französischen ESC-Vorentscheid und skandierten "Nein zu Eurovision 2019 in Israel!"- gerade als Netta auf der Bühne stand.

Netta will mit dem politischen Donnergrollen nichts zu tun haben. Sie möchte sich auf sich selbst und ihre Musik fokussieren. Im DW-Gespräch hat sie erzählt, was sie bewegt.

DW: Acht Monate nach deinem ESC-Sieg hast du einen neuen Song herausgebracht: "Bassa Sababa". Ganz neue Töne sind das gegenüber deinem ESC-Hit "Toy". Erzähl mal, worum es da geht.

Netta Barzilai: "Bassa Sababa" ist ein Slang-Wort, aus dem Arabischen und dem Hebräischen. "Bassa" heißt soviel wie "totaler Mist" - wenn etwas dich wirklich fertigmacht, dann sagst du "ah bassa!" - und "sababa" heißt "alles gut". Das bedeutet also, dass ich mich den Hindernissen meines Lebens und besonders denen im vergangenen Jahr stelle und sage: "Alles gut - los geht's". In dem Video rennt ein Mann vor mir weg vom Traualtar. Ich wurde in meinem Leben so oft verlassen, weil ich angeblich nicht gut genug war, zu dumm, zu hässlich und so weiter. Im Clip gucke ich mir den Mann an und sage: "Oh nein, Süßer, ich stelle mich meinen Problemen und renne nicht vor ihnen weg." Und das ist auch meine Geschichte des vergangenen Jahres seit dem ESC-Sieg.

Wie sehr hat dir dieser Sieg bei deiner musikalischen Karriere geholfen?

Es ist wie eine 180-Grad-Drehung. Früher war ich Bluessängerin und habe in Clubs und Kellern gespielt und zu Hause mit meinem Looper (ein Gerät, das während des Einsingens mehrere Gesangsspuren automatisch übereinander legt, Anm. d. Red.) gearbeitet. Ich hätte vor dem Contest niemals gedacht, dass ich so weit komme. Niemals. Es ist alles so schnell passiert - die Talentshow für den israelischen Vorentscheid 2018 habe ich nur mitgemacht, weil ich hoffte meine Miete damit aufzubessern. Und plötzlich war ich für so viele Leute zum Idol geworden, mit Kraft, Selbstbewusstsein, Selbstliebe… und ich fragte mich: Warum ich? Warum bin ICH das Idol - und das hat mir letztlich so viel Kraft gegeben - also der umgekehrte Weg: Die Leute haben mich stark gemacht. Aber mit Liebe und Bewunderung geht natürlich auch Hass einher. Das gehört nun mal dazu, wenn man berühmt ist.

Online Interview | Kultur Bonn | Netta Barzilai
Netta im Gespräch mit der DW: "Ich bin, was ich bin."Bild: DW

Du hast tonnenweise negative Kommentare bekommen, vor allem in den Sozialen Netzwerken…

Oh ja, sowas wie: Was bist du? Wer bist du? Nimm ab! Was soll das Hühnergegacker, was ziehst du da eigentlich für Klamotten an, was willst du, du hast doch nur einen Song…. Und dann kam der BDS ("Boykott, Desinvestition und Sanktionen" für Palästina - die Bewegung will Israel international unter Druck setzen, um die Besetzung der palästinensischen Gebiete zu beenden, Anm. d. Red.). Viel Hass auf meine Herkunft, auf mein Aussehen und auf das, was ich sage. Es ist zwar schwer, dem standzuhalten und ich brauchte acht Monate um zu entscheiden, was ich dagegen tun kann. Und dieser Song ist das, was daraus geworden ist.

Kritiker sagen auch, dass der ESC in Israel über die politische Lage hinwegtäuschen soll. Dass er von der Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten ablenken soll. Es gibt eine Menge Petitionen und Aufrufe internationaler Künstler, die gegen die Menschenrechtsverletzungen in den Palästinensergebieten protestieren. Wie stehst du denn dazu?

Ich glaube an den Dialog. Ich glaube an eine gesunde Auseinandersetzung, ich glaube auch an den Protest. Aber ich halte NICHTS von Tyrannei. Eine 26-jährige Musikerin, die keine politischen Absichten hat, anzugreifen, das ist für mich Tyrannei. Ich möchte nur, dass die Leute herkommen und teilnehmen - es ist ein europäischer Wettbewerb, bei dem Israel zufällig mitmacht und dieses Jahr das Austragungsland ist, weil die Regeln des ESC so sind.

Dein Song "Toy" wurde von vielen als Lied zur #MeToo-Bewegung betrachtet. Zurück zu deinem neuen Song "Bassa Sababa". Er handelt mehr von der Freiheit, Dinge selbst zu entscheiden - zu tun was du willst, egal, was die anderen sagen. Hast du deswegen das Nashorn als symbolisches Tier in deinem Video gewählt?

Eurovision Probe 2018
Bunt und laut: Netta beim ESC 2018Bild: Andres Putting

Ich habe nach einem Tier gesucht, was all dies verkörpert: Das Rhinozeros hat eine dicke Haut, es rennt nicht davon, wenn es ein Problem gibt, sondern greift den Gegner an. Es ist stark und es hat dieses Horn. Ich finde, es sagt "Mir ist es egal, was andere denken, ich bin, was ich bin."

"Toy" war schon eher ein Kampagnen-Song, ziemlich #MeToo, ziemlich frauenpowermäßig. Aber "Bassa Sababa" ist ganz frei, was ganz Eigenes. Ich liebe es, es ist eine Tribalpop-Hymne. Tribal deswegen, weil ich in Nigeria groß geworden bin bis zu meinem siebten Lebensjahr. Ich kann mich noch sehr gut an die nigerianischen Frauen erinnern, die mich herumgetragen und in den Schlaf gesungen haben. Den Rhythmus trage ich immer noch in meinem Herzen. Und wenn man den Anfang vom Song hört, dann hört man genau diese Energie. Und das ist MEINE Energie. Dieser Song ist mein Song, ich habe ihn geschrieben, zusammen mit zwei wunderbaren Männern, Stav Berger und Avshalom Ariel. "Toy" habe ich nicht geschrieben. Aber "Bassa Sababa" ist ein Teil von mir und ich bin sehr stolz darauf, dass ich ihn veröffentlicht habe.

Nach 20 Jahren kommt der Eurovision Song Contest erstmals wieder nach Israel. Kann man die Atmosphäre spüren?

Ja, wir realisieren, dass das alles unseretwegen passiert. Wir sind nach Lissabon gegangen und wir haben den Contest hierher gebracht. Es ist unglaublich. Wir freuen uns auf das Ereignis wie auf eine Geburtstagsparty. Jeden Tag gibt es Neuigkeiten über den ESC. Jeder ist aufgeregt und gespannt - da kommt etwas, was seit Jahrzehnten nicht hier war! Für mich ist es Magie - all diese vielen Länder auf einer Bühne.

Das Gespräch führte Tania Krämer.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin