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"Es gibt enorme Landverluste"

8. September 2010

Herbstzeit ist Sturmzeit. Das Meer nagt an den Küsten. Auf der Insel Sylt wird regelmäßig Sand aufgeschüttet. Im Interview mit DW-WORLD.DE spricht Wasserbau-Experte Jürgen Jensen über wichtige Maßnahmen im Küstenschutz.

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Menschen stehen bei auflaufender Flut am Strand von Sylt (Foto: dpa)
Sylts Strände sind gefährdetBild: picture-alliance/ dpa

DW-WORLD.DE: Jürgen Jensen, wieso sind die deutschen Küsten und Sylt gefährdet?

Prof. Dr. Jürgen Jensen (Foto: DW/Steffen)
Jürgen Jensen leitet das Institut für Wasser und Umwelt in SiegenBild: DW

Prof. Jürgen Jensen: Die deutsche Nordseeküste und insbesondere die Inseln sind seit jeher stark gefährdet gegenüber den Wirkungen von Sturmfluten und natürlich dem Meeresspiegelanstieg, der sich in den letzten Jahrhunderten dargestellt hat und zukünftig eben noch stärker wird. Also die Nordseeküste war gefährdet, ist gefährdet und wird auch zukünftig gegen Sturmfluten und Meeresspiegelanstieg gefährdet sein.

Sind die Sturmfluten über die Jahre stärker geworden?

Was wir sicher wissen ist, dass der Meeresspiegel seit geraumer Zeit mehr oder weniger schnell ansteigt. Die Anstiegsraten sind moderat, also etwa 20 Zentimeter in 100 Jahren. Sollte der Anstieg des mittleren Meeresspiegels zukünftig schneller vonstatten gehen, dann nimmt damit natürlich auch die Belastung zu. Das heißt, Sturmfluten können auf einem höheren Niveau ansetzen und erreichen dadurch auch größere Spitzenwerte. Der Seegang, der mit den Sturmfluten einhergeht, wird auch auf einem höheren Niveau ansetzen und damit natürlich Inselsockel gefährden wie auch möglicherweise Küstenschutzbauwerke wie Deiche.

Kann man schon prognostizieren, wie es in 30 Jahren aussehen wird?

Nein, das halte ich derzeit für verfrüht. Wir brauchen weitere zehn, zwanzig Jahre Beobachtung. Es gibt viele Hinweise darauf, dass sowohl der Meeresspiegel schneller ansteigen wird als auch, dass Sturmfluten häufiger und intensiver auftreten, aber eine gesicherte Aussage dazu ist nicht möglich.

Sandabtragungen auf Sylt. (Foto: dpa)
Spuren der heftigen Sturmfluten an der Sylter KüsteBild: picture-alliance/ dpa

Besteht die Gefahr, dass Sylt untergeht, also überflutet wird?

Wenn Sie das in erdgeschichtlichen Maßstäben betrachten, selbstverständlich. Die deutsche Nordseeküste hat sich in den letzten tausend Jahren erheblich verformt, es gibt enorme Landverluste. Diese extremen Sturmflutkatastrophen hat es in der Vergangenheit gegeben und wir können natürlich nicht ausschließen, dass so was auch in der Zukunft passiert. Nun haben wir heute deutlich bessere Schutzbauwerke, und unsere Schutzkonzepte sind für die aktuelle Situation im Hinblick auf die Bemessungsziele ausreichend. Aber jedes Ingenieurbauwerk kann versagen. Ein Restrisiko besteht immer, dass eine extreme Sturmflut auftritt, die auch in den nächsten Jahren Teile der deutschen Nordseeküste so belastet, dass es eben zu entsprechenden Schädigungen kommen kann.

Welche Schädigungen meinen Sie?

Das können Landverluste auf der Insel Sylt sein, die auch schon in der Vergangenheit häufig aufgetreten sind, das können aber auch Deichbrüche sein oder Überflutungen bestimmter Bereiche, die besonders belastet werden durch Windstau oder Seegang an einer exponierten Lage.

Reicht der Küstenschutz denn, den wir jetzt haben?

Der aktuelle Küstenschutz ist überwiegend ausreichend. Es gibt leider kein einheitliches Küstenschutzkonzept, das ist bislang Landessache und es wird auch sicherlich Landessache bleiben. Aber man muss natürlich sehr sorgfältig darauf achten, dass mögliche Entwicklungen rechtzeitig erkannt werden. Und dann ist es wichtig zu reagieren und die Küstenschutzkonzepte zu verbessern. Niedersachen zum Beispiel hat einen Aufschlag in Höhe von 25 Zentimetern auf seine Deiche gepackt.

Bagger schüttet Sand auf Strand in Sylt (Foto: dpa)
Seit Jahren wird auf Sylt der Strand wieder aufgeschüttetBild: picture-alliance/ dpa

Und was tut man, um Inseln wie Sylt zu schützen?

Sylt können wir derzeit nur erhalten, indem wir regelmäßig Sandvorspülungen vornehmen, also den Sand wieder aus dem Meer zurückholen, der durch den Seegang, durch hohe Wasserstände abgetragen wird. Auch dort sind neue Konzepte zu überlegen. Wir haben derzeit nichts besseres als die permanenten Sandvorspülungen – ich denke, dass ist nicht unbedingt zielführend, das als ausschließliche Option weiterzuverfolgen.

Was ist denn die Alternative zu Sandaufschüttungen vor Sylt?

Es sind vielfältige Alternativen untersucht worden. Man hat Wellenbrecher gebaut, man hat künstliche Riffs überlegt. Alles, was der Ingenieursverstand in diesem Bereich herausgebracht hat, ist mehr oder weniger auf Sylt probiert worden. Leider ohne Erfolg, muss man ganz nüchtern feststellen. Also noch hatten wir nicht die richtige Idee. Insofern ist es wichtig, nicht aufzugeben, und möglicherweise andere Ideen zu verfolgen, die dann zielfördernd die Stabilität der Insel Sylt darstellen.

Aber man muss auch in diesem Zusammenhang ganz klar erkennen, Sylt wird immer größere Anstrengungen unternehmen müssen, damit die Insel in der jetzigen Form erhalten bleibt. Wenn man das in Zeitmaßstäben von Jahrhunderten verfolgt, denn auch 20, 30 Zentimeter pro Jahrhundert Meeresspiegelanstieg hat für Sylt eine andere Bedeutung als fürs Festland.

Das Interview führte Sarah Steffen

Redaktion: Andreas Ziemons