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Erste Krankenkassen erheben Zusatzbeiträge

25. Januar 2010

Auf Millionen Krankenversicherte kommen höhere Ausgaben zu. Wegen erheblicher Defizite wollen einige gesetzliche Krankenkassen Zusatzbeiträge verlangen. Als erste große Kasse prescht die DAK vor.

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Eine Versichertenkarte der DAK (Archivfoto: AP)
Zusatzbeiträge: Die DAK wagt sich als erste Kasse aus der DeckungBild: AP

Mit der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) verlangt erstmals eine große gesetzliche Krankenkasse Zusatzbeiträge von ihren Versicherten. "Ich werde meinem Verwaltungsrat empfehlen, ab Februar acht Euro zu nehmen", sagte der DAK-Vorsitzende Herbert Rebscher am Montag (25.01.2010) in Berlin.

Die Versicherung KKH-Allianz kündigte entsprechende Zusatzbeiträge für die erste Jahreshälfte an. Auch einige Betriebskrankenkassen wollen mitziehen. Der Verwaltungsaufwand betrage bei allen Kassen zusammen rund eine Milliarde Euro für die Erhebung der Extra-Beiträge, sagte Rebscher. Es gebe "eine ganze Menge Kassen, die diesen Weg in den nächsten Wochen gehen müssen".

Das sieht auch die Vorstandschefin des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen, Doris Pfeiffer, so. Sie rechnet damit, dass solche Zahlungen spätestens 2011 für fast alle gesetzlich Versicherten fällig werden. Im Deutschlandfunk sagte sie am Montag: "Wir haben bei den gesetzlichen Krankenkassen in diesem Jahr ein Defizit von 7,8 Milliarden Euro."

Sparen, sparen: Bayerns Ministerpräsident Seehofer (Foto: AP)
Sparen, sparen: Bayerns Ministerpräsident SeehoferBild: AP

Es wird erwartet, dass die Kassen trotz eines Zuschusses aus der Staatskasse unter dem Strich auf einem Minus von vier Milliarden Euro sitzen bleiben. Gesundheitsexperten sagen voraus, dass zur Jahresmitte jedes zweite der rund 51 Millionen Kassen-Mitglieder von Zusatzbeiträgen betroffen sein wird.

Breite Front der Kritiker

Angesichts der erwarteten Welle von Zusatzbeiträgen bei den gesetzlichen Krankenkassen gaben bereits mehrere Politiker, Verbände und Gesundheitsexperten kritische Stellungnahmen zu Protokoll.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (Foto: dpa)
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl LauterbachBild: dpa

Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer geißelte die Zusatzbeiträge als "Flucht in Beitragserhöhungen", die viele Kassenpatienten überforderten. Zuerst müsse "nachgewiesen werden, dass alle Sparmöglichkeiten ausgeschöpft sind", forderte Seehofer am Montag in München. Er erwarte vom zuständigen Bundesgesundheitsminister, sich um diese Frage zu kümmern.

Acht Euro tun vielen Rentnerinnen weh

Die Wohlfahrtsverbände kritisierten die Erhebung der Zusatzbeiträge als unsozial. "Damit verschieben sich die Lasten noch stärker einseitig auf die Arbeitnehmer und Rentner", sagte die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, der "Frankfurter Rundschau". Während Arbeitgeber verschont würden, müssten Menschen mit kleinen Einkommen die Kosten tragen. "Vor allem für viele Rentnerinnen sind acht Euro ein Betrag, der wehtut", meinte Mascher.

In die gleiche Kerbe schlug der Paritätische Wohlfahrtsverband. Er lehnte die pauschalen Zusatzbeiträge ebenfalls als unsozial ab und forderte als kurzfristige Maßnahme, Niedrigeinkommensbezieher von den monatlichen Zusatzbeiträgen zu befreien.

Die SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann bezeichnete den Zusatzbeitrag als "kleine Kopfpauschale", die unabhängig vom Einkommen erhoben werde. Sie warf Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler vor, dem Ausgabenanstieg im Gesundheitswesen tatenlos zuzuschauen. Von ihm sei "kein einziger konkreter Vorschlag für eine Begrenzung der Ausgaben bekannt", so Reimann. Dem Minister fehle offenbar der Mut, "sich gegen die Pharmaindustrie in Stellung zu bringen".

SPD bereitet eigenes Konzept vor

Bundesgesunheitsminister Philipp Rösler (Foto: DW)
Bundesgesunheitsminister Philipp Rösler

Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Karl Lauterbach, kündigte für die kommenden Monate ein Alternativkonzept seiner Partei zur Gesundheitspolitik der Bundesregierung an. In der "Saarbrücker Zeitung" nannte er drei Kernelemente. Erstens müsse man zur jeweils hälftigen Beitragsfinanzierung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zurückkehren. Denn nur bei einer Beteiligung der Arbeitgeber an der Finanzierung der Lasten entstehe auch "ein Druck zum Sparen und effektiven Wirtschaften".

Zweitens wolle die SPD die Zusatzbeiträge abschaffen, weil Einkommensschwache sonst besonders belastet würden. Und drittens brauche man ein Gesundheitssystem für alle, in das sowohl gesetzlich als auch privat Versicherte einzahlten. Sämtliche Kassen könnten dann wieder ihren Beitragsatz selbst bestimmen.

Am Wochenende hatte Minister Rösler mit Blick auf die schwierige Finanzlage der Kassen die Arzneimittelpreise ins Visier genommen. Die Ausgabenseite müsse "sehr genau" geprüft worden, sagte er dem Magazin "Der Spiegel". Es sei seine Aufgabe, darauf zu achten, "dass Beitragsgelder effizient verwaltet werden". In diesem Bereich sei "das nicht immer so." Künftig müsse bei jedem Medikament genau geprüft werden, ob Kosten und Nutzen in angemessenem Verhältnis stehen.

Wozu eigentlich Zusatzbeiträge?

Die angekündigten Zusatzbeiträge sind ein Nebenprodukt des Gesundheitsfonds. Dieser bescherte den Krankenkassen erstmals einen einheitlichen Beitragssatz, der derzeit bei 14,9 Prozent liegt. Die Kassen bekommen ihre Zuweisungen direkt aus dem Fonds. Kommt nun eine Kasse mit dem Geld nicht aus, darf sie das fehlende Geld direkt von ihren Versicherten holen - per Zusatzbeitrag.

Bis zur Schwelle von acht Euro können die Extra-Beiträge ohne Einkommensprüfung erhoben werden. Darüber hinaus müssen die Kassen erst einmal kontrollieren, wie hoch das Einkommen der Versicherten ist. Solche individuellen Prüfungen erfordern allerdings einen hohen Verwaltungsaufwand. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die Zusatzbeiträge auch in Zeiten des einheitlichen Beitragssatzes den Preiswettbewerb unter den Kassen fördern.

Autor: Reinhard Kleber (dpa, ap, rtr, afp)
Redaktion: Ursula Kissel

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