Erleuchtung durch Wissen
29. Mai 2015Schulen und Hochschulen haben zu wenig Geld, Deutschland hinkt hinterher bei der Bildung, auch im europäischen Vergleich. Es droht die Bildungskatastrophe, befeuert durch die föderale Schwerfälligkeit der Republik!
Diese Analyse klingt nah und vertraut, stammt aber aus den 1960er Jahren. Damals rief der Lehrer Georg Picht den "Bildungsnotstand" aus. In den Feuilletons tobte die Debatte, wie man die deutsche Jugend raus aus der Milchbar und rein in die Labore bekäme. Auf dass es auch am Ende des Jahrhunderts wieder eine Generation von Einsteins, Röntgens oder Plancks gebe.
Der elektronische Rechenapparat
Henri Nannen, Chefredakteur der Wochenzeitschrift "Stern", geht das Problem ganz praktisch an. In Heft 51 seines Magazins ruft er 1965 zum Wettbewerb "Jugend forscht" auf. "Wir suchen die Forscher von morgen", so Nannens Aufruf damals. Und die jungen Forscher melden sich. 244 Projekte gehen bei "Jugend forscht" an den Start. Mit einem "elektronischen Rechenapparat" als bester Gruppenarbeit setzen sich vier Teilnehmer beim Finale in Hamburg durch.
Heute, 50 Jahre später, wollen mehr als 11.000 Teilnehmer ihre Arbeiten im aktuellen Wettbewerb vorstellen. Auffällig viele Projekte nutzen dabei Kleinstcomputer wie den Rasperry PI, einen Bruchteil so groß und Welten schneller als die Rechenmaschine aus den 1960ern. So etwa ein Bewegungsmelder, der nur auf Menschen reagiert, gebaut vom 19-jährigen Daniel Meiburg.
Das "Gipfeltreffen der besten Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchsforscher" nennt Bildungsministerin Johanna Wanka den Bundes-Wettstreit, der zurzeit in Ludwigshafen läuft. Mit dabei ist auch eine Batterie, die überschüssige Energie aus Solaranlagen speichert, entwickelt vom 17-jährigen Maximilian Albers. Auf Regional- und Landesebene hat er sich zuvor gegen die Konkurrenz durchgesetzt. Forschung, fast wie Fußball.
Vorbild USA
In den USA haben die "Science Fairs" eine lange Tradition. Ob in der Turnhalle der örtlichen High School, bei großen Firmen auf der Suche nach Nachwuchs oder beim Wettbewerb des jeweiligen Bundesstaates: Überall haben technik- und forschungsbegeisterte Jugendliche die Möglichkeit, eigene Arbeiten vorzustellen.
In Deutschland unterstützen zahlreiche Patenunternehmen sowie Forschungseinrichtungen den Wettbewerb. Seit 1975 wird das ehemalige Stern-Projekt auch vom Staat gefördert. Die Geschäftsstelle der Stiftung "Jugend forscht" wird von der Bundesregierung finanziert. Seit 1981 dürfen die Gewinner auch zum "Kanzlerempfang". Angela Merkel wird also der 50. Generation der Forscher-Sieger die Hände schütteln. Die Besten in den sieben Kategorien, darunter Chemie und Informatik, erhalten zudem 2500 Euro Preisgeld.
Jugend forscht überall
Australien, Belgien, Chile: In vielen Ländern gibt es ähnliche Wettbewerbe wie in Deutschland und den USA. Auch die EU-Kommission organisiert seit 2003 einen Wettkampf für junge Wissenschaftler. In Mailand findet dieses Jahr im September die Endausscheidung statt. Mit fast einer Viertelmillion Teilnehmern seit 1965 gilt die deutsche Variante als besonders erfolgreich. "Dank 'Jugend forscht' finden wir die Nachwuchskräfte, die wir dringend für den Fortschritt und die Innovationsfähigkeit unseres Landes brauchen", sagt Bildungsministerin Wanka.
Diese waren in den 1960ern vor allem männlich. Nur jeder zehnte Teilnehmer in den Anfangsjahren war weiblich, heute ist immerhin einer von drei Nachwuchsforschern im Wettbewerb eine Frau. Und rund die Hälfte der "Jugend forscht"-Sieger macht später auch als Forscher Karriere in einem Unternehmen oder an einer Universität. So wie Gisela Anton, 1975 Bundessiegerin und heute Experimentalphysikerin an der Universität Erlangen-Nürnberg. "Etwas wissen wollen, Neugierde haben - das wird durch 'Jugend forscht' verstärkt", sagt sie rückblickend im DW-Interview.
So wird es auch bei Andreas von Bechtolsheim gewesen sein. Seine Karriere beginnt mit einem Computer aus dem heimischen Bastelkeller, der ihn 1974 zum "Jugend forscht"-Sieger macht. Später gründet Bechtolsheim Sun Microsystems, investiert in Google. Ihn hat die Forscher-Neugier nicht zum Nobelpreisträger, aber immerhin zum Milliardär gemacht.