Erfolgsfaktor Herkunft
Motivation, Leistung, Intelligenz – entscheiden sie darüber, ob man in Deutschland Karriere macht? Der Wissenschaftler Michael Hartmann hat herausgefunden: Andere Faktoren sind wichtiger.
MICHAEL HARTMANN:
Ja, 1000 Personen treffen die wirklich großen Entscheidungen in diesem Land, ja.
SPRECHERIN:
Das sagt der Soziologe Soziologe, -n/Soziologin, -nen ein Wissenschaftler/eine Wissenschaftlerin, der/die sich mit dem Verhalten der Menschen in der Gesellschaft beschäftigt Michael Hartmann. Er forscht zum Thema Eliten Elite, -n (f.) die Personen, die in einem bestimmten Bereich am besten und am erfolgreichsten sind . Und das ist sein Forschungsgegenstand Gegenstand, -stände (m.) hier: Thema : die deutsche Wirtschaftselite. Die Chefs der Dax Dax (m., nur Singular) Abkürzung für: Deutscher Aktienindex; Wert, der angibt, wie sich die wichtigsten deutschen Unternehmen des Aktienmarkts wirtschaftlich entwickeln -Konzerne Konzern, -e (m.) die große Firma . Keine Frau dabei, die meisten aus großbürgerlichen Verhältnissen aus großbürgerlichen Verhältnissen aus einer Familie, deren Mitglieder über eine gute Bildung und ein hohes Einkommen verfügen .
MICHAEL HARTMANN:
Über ’n halbes Jahrhundert fast kommen vier von fünf Vorstandsvorsitzenden Vorstandsvorsitzende, -n (m./f.) jemand, der eine Gruppe leitet, die eine Firma oder eine Organisation führt und Aufsichtsratsvorsitzenden Aufsichtsratsvorsitzende, -n (m./f.) jemand, der eine Gruppe leitet, die die Chefs einer Firma oder einer Organisation kontrolliert aus den oberen vier Prozent der Bevölkerung. Da hat sich überhaupt nichts geändert. Das variiert variieren unterschiedlich sein um ein, zwei Prozent von Jahrzehnt zu Jahrzehnt.
SPRECHERIN:
Warum spielt Herkunft in Deutschland immer noch so eine große Rolle? Er hat eine Ahnung davon: Serdest Demir kam erst mit acht Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Er machte Abitur als Jahrgangsbester Jahrgangsbeste, -n (m./f.) die Person, die in einer Gruppe von Gleichaltrigen (meist in der Schule oder der Universität) bei einer Prüfung die beste Note bekommen hat und konnte dank Stipendien Stipendium, Stipendien (n.) das Geld, das jemand vom Staat oder einer Organisation bekommt, um auf eine besondere Schule zu gehen, zu studieren oder zu forschen studieren – als Erster aus seiner Familie. An der Uni trifft er hauptsächlich auf Söhne und Töchter aus deutschen Akademikerhaushalten Akademikerhaushalt, -e (m.) eine Familie mit Eltern, die ein Studium abgeschlossen haben – und die haben viele Vorteile. Sie sind finanziell meist besser abgesichert. Karrierefördernd ist häufig auch das Beziehungsnetzwerk Beziehungsnetzwerk, -e (n.) hier: die Kontakte zu Menschen in wichtigen Positionen der Familie. Und sie wachsen selbstverständlich mit den Hobbys und Interessen der oberen Schichten Schicht, -en (f.) hier: eine bestimmte Gruppe einer Gesellschaft (zum Beispiel Adel, Arbeiter) auf. Und wenn man anders aufgewachsen ist?
SERDEST DEMIR:
Man muss das nicht als Schwäche sehen. Ich glaub, da ist so ’ne große Gefahr für viele, dass die sich dann nicht für gut genug halten oder nicht mithalten mit jemandem/etwas mit|halten genauso gut wie jemand/etwas sein können, obwohl es – wie ich versuche zu betonen – nicht ein Besser oder Schlechter ist, sondern einfach nur ein Anders. Ich glaub, die Kunst ist es, sich selbst treu sich selbst treu bleiben so sein wie immer; sich nicht ändern, nur weil andere es wollen zu bleiben sich selbst treu bleiben so sein wie immer; sich nicht ändern, nur weil andere es wollen und trotzdem seinen Weg zu gehen und in diesem System eben voranzukommen voran|kommen hier: Karriere machen .
SPRECHERIN:
Genau das Vorankommen aber ist für Migranten- und Arbeiterkinder schwer. Denn die Top-Positionen Top-Position, -en (f.) hier: eine hohe berufliche Stellung , sagt der Eliteforscher, werden nicht nur nach Leistung besetzt. Es gilt das sogenannte Ähnlichkeitsprinzip.
MICHAEL HARTMANN:
Ähnlichkeit heißt: Da sitzen seit Jahrzehnten große Männer aus den oberen vier Prozent der Bevölkerung – bürgerlich bürgerlich hier: zu dem Teil der Gesellschaft gehörend, der über eine gute Bildung und ein hohes Einkommen verfügt , großbürgerlich großbürgerlich hier: zu dem Teil der Gesellschaft gehörend, der über eine gute Bildung und sehr viel Geld verfügt . Die erkennen sich an der Sprache, also dass sie den Genitiv ordentlich verwenden statt Dativ. Die erkennen sich an der Selbstverständlichkeit, mit der sie auftreten auf|treten hier: sich öffentlich präsentieren; sich anderen zeigen; sich verhalten , an der Gestik Gestik (f., nur Singular) die Art, wie man etwas (neben der Sprache) durch Bewegungen der Hände und Arme ausdrückt . Und die suchen im Grunde im Grunde eigentlich jemanden, der so ist wie sie selbst, nur eben 20 Jahre jünger.
SPRECHERIN:
Ist er der Elite ähnlich genug?
SERDEST DEMIR:
Letztens letztens neulich; vor kurzer Zeit meinte ’ne gute Freundin so: „Ich weiß, dass du mega mega hier: sehr intelligent bist. Und auch so von den Leistungen und von der Art, worüber du redest. Aber manchmal, wenn man dich nicht kennen würde, würd man auch auf den ersten Blick auf den ersten Blick hier: gleich am Anfang; bei der ersten Begegnung so denken: So ey, wo kommt der denn her?“
SPRECHERIN:
Aus einer Einwandererfamilie, in der das Geld sehr knapp war: Uniabschluss und Promotion Promotion, -en (f.) die Tatsache, dass man seinen Doktortitel macht; das Erreichen des nächsten akademischen Titels nach dem Master – in seinem Umfeld Umfeld, -er (n.) hier: die Menschen, mit denen man zu tun hat; die Umgebung ungewöhnlich. Doch er will Karriere machen.
SERDEST DEMIR:
Was fair fair hier: so, dass alle die gleichen Chancen haben sein sollte, ist eben die ... die Mobilität Mobilität (f., nur Singular) hier: die Möglichkeit, eine höhere soziale und berufliche Position zu erreichen , um von unten nach oben aufsteigen auf|steigen hier: sozial/beruflich eine höhere Position erreichen zu können, dass man, wenn man möchte, dass man, wenn man den Drive Drive, -s (m., aus dem Englischen) hier: die Motivation, etwas zu tun hat, auch die ganzen Sachen in einer Lebenszeit sich zu eigen machen sich etwas zu eigen machen hier: etwas erreichen kann.
SPRECHERIN:
Die Chancen für den beruflichen Aufstieg aber sind immer noch ungleich verteilt – in ganz Europa – und die Eliten oft weit weg von den Alltagssorgen aller anderen.
MICHAEL HARTMANN:
Das Problem, ’ne Mietwohnung zu finden, haben viele von ihnen nie im Leben gehabt; schon ihre Eltern nicht. Sie haben ’ne andere ... ’nen anderen Bezug zur normalen Lebensqualität. Was für sie selbstverständlich ist, ist für andere Luxus Luxus (m., nur Singular) teure Dinge, die man nicht unbedingt braucht . Wir haben ’ne Studie gemacht vor ’n paar Jahren, und das Ergebnis war: Je reicher und wohlhabender wohlhabend mit viel Geld; reich Eliteangehörige Eliteangehörige, -n (m./f.) ein Mitglied in der Gruppe der Besten/Erfolgreichsten aufgewachsen sind, umso gerechter gerecht hier: so, dass jeder das bekommt, was seiner Leistung entspricht; angemessen finden sie die Unterschiede in der Gesellschaft.
SPRECHERIN:
Also, wer alles hat, findet es meist gut, dass nicht alle das Gleiche haben. Der Blick auf die Gesellschaft: abgehoben abgehoben übertrieben; nicht normal; hier: so, als ob etwas nichts mehr mit dem normalen Leben der Menschen zu tun hat .
Erfolgsfaktor Herkunft
Soziologe, -n/Soziologin, -nen — ein Wissenschaftler/eine Wissenschaftlerin, der/die sich mit dem Verhalten der Menschen in der Gesellschaft beschäftigt
Elite, -n (f.) — die Personen, die in einem bestimmten Bereich am besten und am erfolgreichsten sind
Gegenstand, -stände (m.) — hier: Thema
Dax (m., nur Singular) — Abkürzung für: Deutscher Aktienindex; Wert, der angibt, wie sich die wichtigsten deutschen Unternehmen des Aktienmarkts wirtschaftlich entwickeln
Konzern, -e (m.) — die große Firma
aus großbürgerlichen Verhältnissen — aus einer Familie, deren Mitglieder über eine gute Bildung und ein hohes Einkommen verfügen
Vorstandsvorsitzende, -n (m./f.) — jemand, der eine Gruppe leitet, die eine Firma oder eine Organisation führt
Aufsichtsratsvorsitzende, -n (m./f.) — jemand, der eine Gruppe leitet, die die Chefs einer Firma oder einer Organisation kontrolliert
variieren — unterschiedlich sein
Jahrgangsbeste, -n (m./f.) — die Person, die in einer Gruppe von Gleichaltrigen (meist in der Schule oder der Universität) bei einer Prüfung die beste Note bekommen hat
Stipendium, Stipendien (n.) — das Geld, das jemand vom Staat oder einer Organisation bekommt, um auf eine besondere Schule zu gehen, zu studieren oder zu forschen
Akademikerhaushalt, -e (m.) — eine Familie mit Eltern, die ein Studium abgeschlossen haben
Beziehungsnetzwerk, -e (n.) — hier: die Kontakte zu Menschen in wichtigen Positionen
Schicht, -en (f.) — hier: eine bestimmte Gruppe einer Gesellschaft (zum Beispiel Adel, Arbeiter)
mit jemandem/etwas mit|halten — genauso gut wie jemand/etwas sein
sich selbst treu bleiben — so sein wie immer; sich nicht ändern, nur weil andere es wollen
voran|kommen — hier: Karriere machen
Top-Position, -en (f.) — hier: eine hohe berufliche Stellung
bürgerlich — hier: zu dem Teil der Gesellschaft gehörend, der über eine gute Bildung und ein hohes Einkommen verfügt
großbürgerlich — hier: zu dem Teil der Gesellschaft gehörend, der über eine gute Bildung und sehr viel Geld verfügt
auf|treten — hier: sich öffentlich präsentieren; sich anderen zeigen; sich verhalten
Gestik (f., nur Singular) — die Art, wie man etwas (neben der Sprache) durch Bewegungen der Hände und Arme ausdrückt
im Grunde — eigentlich
letztens — neulich; vor kurzer Zeit
mega — hier: sehr
auf den ersten Blick — hier: gleich am Anfang; bei der ersten Begegnung
Promotion, -en (f.) — die Tatsache, dass man seinen Doktortitel macht; das Erreichen des nächsten akademischen Titels nach dem Master
Umfeld, -er (n.) — hier: die Menschen, mit denen man zu tun hat; die Umgebung
fair — hier: so, dass alle die gleichen Chancen haben
Mobilität (f., nur Singular) — hier: die Möglichkeit, eine höhere soziale und berufliche Position zu erreichen
auf|steigen — hier: sozial/beruflich eine höhere Position erreichen
Drive, -s (m., aus dem Englischen) — hier: die Motivation, etwas zu tun
sich etwas zu eigen machen — hier: etwas erreichen
Luxus (m., nur Singular) — teure Dinge, die man nicht unbedingt braucht
wohlhabend — mit viel Geld; reich
Eliteangehörige, -n (m./f.) — ein Mitglied in der Gruppe der Besten/Erfolgreichsten
gerecht — hier: so, dass jeder das bekommt, was seiner Leistung entspricht; angemessen
abgehoben — übertrieben; nicht normal; hier: so, als ob etwas nichts mehr mit dem normalen Leben der Menschen zu tun hat