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Politik

Erdbevölkerung wächst doch nicht so stark

15. Juli 2020

Anders als die Vereinten Nationen prognostizieren Forscher nun, dass die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100 erheblich weniger zulegen wird. In manchen Regionen soll die Bevölkerungszahl sogar dramatisch schrumpfen.

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Symbolbild Bevölkerungswachstum
Bild: picture-alliance/dpa/M. Assanimoghaddam

 

Ein internationales Forscherteam zeigt im Fachmagazin "The Lancet" auf, dass es bis zum Ende des Jahrhunderts voraussichtlich 8,8 Milliarden Menschen auf der Erde geben wird - zwei Milliarden weniger als die Vereinten Nationen bislang prognostiziert haben.

Die Geburtenrate in 183 von 195 Ländern werde gar so weit sinken, dass die Bevölkerungszahl ohne Einwanderung nicht mehr aufrecht erhalten werden könne, schreiben die Wissenschaftler. Mehr als 20 Länder, darunter Japan, Spanien, Italien und Polen, werden der Studie zufolge bis 2100 die Hälfte ihrer Bevölkerung verlieren. Auch das bevölkerungsreichste Land China werde von aktuell 1,4 Milliarden auf rund 730 Millionen Einwohner zum Ende des Jahrhunders schrumpfen.

Zugang zu Bildung und Geburtenkontrolle entscheidend

Wachsen werden laut der Prognose hingegen Länder in Afrika südlich der Sahara. Nigeria könnte demnach in 80 Jahren mit 800 Millionen Menschen nach Indien das bevölkerungsreichste Land der Erde werden.

Coronavirus Indien Delhi Wanderabeiter sind gestrandet
Wanderarbeiter in Neu Delhi Bild: DW/Murali Krishnan

"Wenn Frauen mehr Zugang zu Bildung und Geburtenkontrolle bekommen, entscheiden sie sich im Durchschnitt für weniger als 1,5 Kinder", erklärt der Leiter der Studie, Christopher Murray vom Institut für Gesundheitsmessung und -auswertung (IHME) der Washington-Universität in Seattle, das von der Bill und Melinda Gates Stiftung unterstützt wird.

Sinkende Zahl an Arbeitskräften bedroht Wirtschaftswachstum

Die Entwicklung sei eine "gute Nachricht" für die Umwelt, sagt Murray. Denn eine kleinere Weltbevölkerung könne die Nahrungsmittelproduktion zurückfahren und den Ausstoß von Treibhausgasen senken. Für Länder in Subsahara-Afrika bringt das dort prognostizierte Bevölkerungswachstum nach Ansicht von Murray wirtschaftliche Chancen mit sich. Für die meisten Länder außerhalb von Afrika dürfte die sinkende Zahl an Arbeitskräften aber "tiefgreifende negative Folgen für die Wirtschaft" haben. So sinke die Zahl der Arbeitskräfte in China beispielsweise von rund 950 Millionen heute auf 350 Millionen 2100 - ein Rückgang von 62 Prozent. In Nigeria steige sie hingegen von heute 86 Millionen auf 450 Millionen. Die alternden Gesellschaften müssten daher ihre Sozial- und Gesundheitssysteme reformieren, mahnten die Studienautoren.

China | Arbeiter in einer Textilfabrik in Huzhou
Arbeiterinnen in einer Textilfabrik im chinesischen Huzhou Bild: Greenpeace/Jeff Lau

Da die Lebenserwartung zudem steige, nehme die Zahl der Menschen, die älter als 80 Jahre sind, von 140 Millionen auf 866 Millionen zu. Mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung werde bis zum Jahrhundertende älter als 65 Jahre alt sein.

Länder mit hohem Einkommen könnten diesen Entwicklungen mit einer flexiblen Einwanderungspolitik und sozialer Unterstützung für Familien mit Kindern begegnen, heißt es in der Studie. Murray warnte davor, dass manche Länder angesichts dieser Prognosen den Zugang zur Geburtenkontrolle beschränken könnten.

Warum unterscheiden sich die Prognosen?

Der wesentliche Faktor, warum Murrays Team auf ein deutlich geringeres Wachstum der Weltbevölkerung kommt als die UN, ist die angenommene Geburtenrate. Während die Vereinten Nationen in ihren Prognosen über das Jahrhundert von einer Geburtenrate von 1,8 Kindern pro Frau ausgehen, wird sie laut den Analysen von Murray und seinen Kollegen auf unter 1,5 Kinder pro Frau fallen. Für eine stabile Bevölkerungszahl ist eine Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau nötig.

Der Chefredakteur des Journals "The Lancet", Richard Horton, erklärte, die Studie zeige eine radikale Verschiebung der geopolitischen Machtverhältnisse. "Am Ende dieses Jahrhunderts wird die Welt eine multipolare sein, in der Indien, Nigeria, China und die USA die wichtigsten Mächte sind."

bri/se (afp, dpa)