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Sie saßen zusammen in Vorlesungen, lernten und feierten gemeinsam – und wurden oft Freunde fürs Leben: Zehntausende europäische Studierende gingen jährlich mit Erasmus nach Großbritannien und umgekehrt. Bis jetzt.
Eigentlich habe er gar keine großen Erwartungen an Erasmus gehabt, erzählt Max Hogrebe, 29, aus Münster. Vor fünf Jahren entschied sich der Medizin-Student, ein Erasmus-Semester in Wales zu verbringen. Heute sagt er: „Ich würde fast sagen, dass das jeder gemacht haben muss.“ Auch die Britin Isabella Jewell, die noch vor wenigen Monaten in Frankreich und Italien studierte, gerät ins Schwärmen, wenn sie an ihre Erasmus-Zeit denkt. „Das war so eine großartige Möglichkeit“, sagt die 21-Jährige, die normalerweise in Manchester Französisch und Italienisch studiert. So gut wie im Land selbst hätte sie die Sprachen niemals an der Universität lernen können.
Das sind Erfahrungen, wie sie dank des Austauschprogramms der Europäischen Union, das mittlerweile Erasmus+ heißt, jedes Jahr Hunderttausende machen. Auch Zehntausende Studierende aus Großbritannien: Im Jahr 2019 waren etwa 18.000 Briten zum Studieren oder für Praktika mit Erasmus+ ins EU-Ausland gegangen und mehr als 30.000 Studierende aus der EU nach Großbritannien. Auch bei Studenten und Studentinnen aus Deutschland war Großbritannien beliebt.
Mit dem Brexit ist damit nun Schluss. Zwar gibt es noch eine Übergangsphase, aber klar ist: Großbritannien ist raus aus dem Erasmus-Programm. Noch vor rund einem Jahr hatte Premierminister Boris Johnson angekündigt, Erasmus werde nach dem Brexit auf jeden Fall erhalten bleiben. Doch nun kommt die Kehrtwende: „Hunderte Millionen Euro“ hätte es Großbritannien nach dem Brexit gekostet, Teil des Programms zu bleiben, so der Kommentar eines hochrangigen Mitglieds der Brexit-Verhandlungen.
Im Ausland studieren dürfen soll die künftige britische Generation trotzdem noch. Als Ersatz für Erasmus soll es das „Turing-Programm“ geben. Der entscheidende Unterschied des neuen Programms: Turing funktioniert nur in die eine Richtung. Britische Studierende können eine Förderung beantragen – auch für einen Studienaufenthalt an Universitäten außerhalb der EU, Studierende aus der EU für Großbritannien aber nicht.
Kritik daran kommt auch von Universitäten in Großbritannien: Für David Simon, Geograf an der Royal Holloway University of London, ist das Programm „kein gleichwertiger Ersatz“. „Der gegenseitige Austausch bei Erasmus war ein Ausdruck des europäischen Spirits.“ Insofern sei es wenig verwunderlich, dass die Regierung sich für eine einseitigere Variante entschieden habe, so Simon. Der Historiker Richard Toye von der Universität Exeter glaubt, dass es eine beträchtliche Phase der Unsicherheit geben werde und verlorene Möglichkeiten für eine ganze Generation von Studenten.
Im Norden des Vereinigten Königreichs sieht man die Dinge ein wenig anders als im Londoner Regierungsviertel: Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bezeichnete den britischen Ausstieg aus Erasmus als „kulturellen Vandalismus“. Wenn es nach ihr ginge, sei Schottland schnell wieder dabei im Erasmus-Programm. Und auch deutsche Universitäten hoffen, dass mit Schottland schneller wieder ein enger Austausch stattfinden könnte als mit dem Rest des Königreichs.
Max Hogrebe, der sich selbst als „UK-affin“ bezeichnet, bedauert den Ausstieg Großbritanniens. Erasmus-Erfahrungen könne man als europäischer Student zum Glück auch weiterhin machen, nur eben woanders, meint er. „Ein großer Anteil von dem, was Erasmus ausmacht, bleibt für andere Staaten erhalten.“
sts (mit dpa)/ip