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Enttäuschter Abgang

13. Januar 2003

Mit dem AOL-Chef Steve Case ist einer der letzten Visionäre der Internet-Branche zurückgetreten. Er hielt der Kritik an der Fusion von AOL mit Time Warner nicht stand. Spekulationen über seine Nachfolge sind im Gange.

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Am Ende glücklos: Steve CaseBild: AP

"Einige Aktionäre konzentrieren ihre Enttäuschung über die Ergebnisse seit der Fusion auf mich", begründete Steve Case in New York seine Entscheidung. Dies dürfe nicht von den Geschäften des Konzerns ablenken. Der Chef des weltgrößten Medienkonzerns AOL Time Warner hat damit die Konsequenz aus der Kritik an seiner Amtsführung gezogen und kündigte seinen Rücktritt als Verwaltungsratsvorsitzender an.

Der Internet-Visionär und Mitbegründer von America Online (AOL) hatte vor rund zwei Jahren maßgeblich die 106 Milliarden Dollar schwere Fusion von AOL und Time Warner mitgetragen. Sein Rücktritt wird im kommenden Mai auf der Jahreshauptversammlung der Aktionäre wirksam.

Nachfolge offen

Anleger und Analysten hatten die Mega-Fusion als Misserfolg gewertet und den Rücktritt von Case seit langem gefordert. Eine Entscheidung über die Nachfolge von Case ist noch nicht gefallen. Das ist Aufgabe des Verwaltungsrates, der am 16. Januar das nächste Mal zusammenkommt. Als ein möglicher Kandidat wird von Aktienanalysten der Vize-Vorsitzende und Gründer des Fernsehsenders CNN, Ted Turner, genannt.

Aktieneinbruch um 70 Prozent

Um das Aufkommen neuer Spekulationen über seinen möglichen Rücktritt im Vorfeld der Aktionärsversammlung im Mai zu verhindern, habe er sich für diesen Schritt entschieden, sagte Case in der Nacht zum Montag (13. Januar 2002). Die Aktien des Unternehmens haben seit der Fusion im Januar 2001 - dem bislang größten Zusammenschluss zweier Medienunternehmen in der US-Geschichte - rund 70 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Beigetragen haben dazu der Stopp des Internet-Booms und der Einbruch des Werbemarktes.

Auch drückten Nachrichten über Untersuchungen der US-Börsenaufsicht SEC bei AOL wegen möglicher Bilanzfehler auf den Kurs der Aktien. Investoren zeigten sich zudem verärgert über das ausbleibende Super-Wachstum, das man sich von dem Zusammenbringen alter und neuer Medien in dem fusionierten Konzern erhofft hatte.

"Ein guter strategischer Schritt"

Case räumte indessen ein, dass die Fusion nicht die Ergebnisse gebracht habe, die er noch im Januar 2000 zum Zeitpunkt der Ankündigung des Zusammenschlusses erwartet hatte. Zugleich verteidigte er aber den Deal. "Es war für beide Unternehmen ein guter strategischer Schritt, auch wenn ich zugebe, dass die Dinge bis zu diesem Zeitpunkt offenbar so gelaufen sind, wie sie weder ich noch sonst wer erwartet hat", sagte der Unternehmensgründer.

Case hatte am Wochenende den Vorstandschef von AOL Time Warner, Richard Parsons, sowie den Verwaltungsrat - das Board of Directors - von seiner Entscheidung in Kenntnis gesetzt. Einen Tag nach dem zweiten Jahrestag der Fusion. "Obwohl ich lieber Vorsitzender sein würde, und es vermissen werde", sagte der Ex-Chef enttäuscht. Er werde aber trotzdem weiterhin eine Rolle bei AOL spielen. Aus dem Unternehmen hieß es, Case werde Mitglied des Verwaltungsrats bleiben und dem Strategiekomitee angehören.

In prominenter Gesellschaft

Die Internetsparte AOL sollte ehemals das Kronjuwel des fusionierten Unternehmens werden. Stattdessen bestimmte aber seine schwache Entwicklung die Geschicke des gesamten Unternehmens und machte Gewinne in anderen Geschäftsbereichen zunichte. Zu AOL Time Warner gehören unter anderem die Fernsehsender CNN und HBO sowie das Zeitschriften-Magazin "People".

Allein ist Case mit seinem Rücktritt nicht: Er folgte dem Beispiel anderer ehemals hochangesehener Vorstandschefs der Medienbranche. Auch beim französisch-amerikanischen Medienkonzern Vivendi Universal sowie beim deutschen Konkurrenten Bertelsmann war es im vergangenen Jahr zu einem Wechsel in den Führungsetagen gekommen, als Jean-Marie Messier und Thomas Middelhoff ihre Chefsessel räumten. (kap)