Energiewende: Chance oder Risiko für die Industrie
18. Mai 2015Die Zahlen klingen vielversprechend. Im vergangenen Jahr konnte Deutschland durch den Einsatz erneuerbarer Energien den Ausstoß von rund 148 Millionen Tonnen Treibhausgas vermeiden. Gleichzeitig konnten die Kosten für den Import von fossilen Brennstoffen weiter gesenkt werden. 2013 waren es 8,3 Milliarden Euro. Mehr als ein Viertel des Stroms wird inzwischen aus Sonne, Windenergie, Wasserkraft und Biomasse erzeugt. Tendenz steigend. Die Branche expandiert, erneuerbare Energien sind ein Milliardengeschäft.
Bei Hans-Werner Sinn, dem Präsidenten des Münchener ifo-Instituts will trotzdem keine Begeisterung aufkommen. Der Professor zweifelt zwar nicht am Klimawandel und auch er hält die Treibhausgasemissionen für das größte Problem der Menschheit. Trotzdem ist er der Meinung, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien hierzulande bereits an seine Grenzen stößt. "Deutschlands Energiewende hat das mögliche Maß bereits erreicht. Ehrlich gesagt sehe ich nicht, wie das jetzt noch weitergehen soll. Was machen wir hier eigentlich, wo soll das überhaupt hinführen?"
Angst um deutschen Wohlstand
Die grüne Energie könne schon allein deswegen nicht weiter ausgebaut werden, weil keine praktikablen Speichermöglichkeiten in Sicht seien. Damit gebe es auch keine Aussicht auf Versorgungssicherheit. Am meisten beunruhigen den Volkswirt jedoch die Kosten. Es sei unverantwortlich, die Ressourcen eines Industrielandes allein für die Entwicklung grüner Energie einzusetzen. Der Wohlstand Deutschlands stehe auf dem Spiel, wettert Sinn.
Tatsächlich hat die Energiewende die Strompreise kräftig steigen lassen. Das bekommen alle zu spüren, die privaten Haushalte wie die Wirtschaft. 45 Prozent des Stromverbrauchs gehen auf das Konto der Industrie. Ein Drittel der Kosten entfallen dabei auf Steuern und Abgaben zur Finanzierung der Energiewende – mehr als in jedem anderen Land in Europa.
Die meisten Unternehmen jammern gar nicht
Dem Standort Deutschland habe das bislang aber nicht geschadet, argumentiert Martin Faulstich, der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen. Dabei hat er die klassisch dominanten Industriezweige Maschinenbau und die Automobilindustrie im Blick, die 88 Prozent der Bruttowertschöpfung in Deutschland ausmachen und einen Großteil der Arbeitnehmer beschäftigen. "Die haben Energiekosten bezüglich ihrer Produktionskosten von unter einem Prozent. Die fallen jetzt wirklich nicht ins Gewicht und ich habe auch noch nicht gehört, dass BMW, Mercedes, Audi oder VW ernsthaft unter den Energiekosten stöhnen."
Das aber machen die energieintensiven Branchen wie beispielsweise Stahl, Aluminium, Zement, Chemie oder Papier. Obwohl sie von der Finanzierungsumlage für die erneuerbaren Energien befreit sind, müssen sie jährlich rund 16 Milliarden Euro allein für Energie aufwenden. Das falle in der Gesamtbetrachtung des Industriestandorts Deutschland aber nicht weiter ins Gewicht, argumentiert Faulstich. "Wenn man die Energiekosten auf die Bruttowertschöpfung bezieht, sich also die Energiestückkosten anschaut, dann liegt Deutschland im unteren Drittel." Die Energiekosten bezogen auf den Produktionswert seien in Deutschland sehr gering, in China aber denkbar hoch. "Also in den Bereichen ist die Energiewende sicherlich kein Grund, hier traurig zu sein über die Zukunft des Industriestandortes Deutschland", meint Faulstich.
Effizienzziele werden verfehlt
Dennoch könnten Unternehmen durchaus niedrigere Stromkosten haben, wenn sie weniger verbrauchen würden. Schließlich gilt die Effizienz als zweite Säule der Energiewende. Während die privaten Haushalte kräftig Energie sparen, bleibt die Wirtschaft aber weit hinter den Erwartungen zurück. "Der Blick auf die Industrie bereitet Sorgen", bemängelt Harald Bradke vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe. "Zwischen 1990 und 2000 war die Industrie der Musterschüler, die waren bei der Effizienzsteigerung ganz weit vorne. Jetzt scheint sie sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen." Insgesamt sei die Industrie im Verlauf der letzten zwölf Jahre nur um 0,7 Prozent effizienter geworden.
Dabei könnten moderne Pumpen und Ventilatoren, Klimageräte und Beleuchtung bis zu 70 Prozent Energie einsparen. Doch dafür muss erst einmal kräftig investiert werden. Bei einem Anteil von einem Prozent Energiekosten an den Produktionskosten werde da schnell die Frage nach der Wirtschaftlichkeit gestellt, sagt Bradke. Anders sähe das in den energieintensiven Branchen aus. Doch hier wird erst gar nicht mehr nach Effizienzsteigerungen gesucht. Wenn investiert wird, dann in Standorte im Ausland.
Deutschland ohne Stahl und Chemie?
Holger Lösch vom Bundesverband der Deutschen Industrie warnt vor den Folgen einer Abwanderung. "Es gibt diese deutsche Industrie nicht selektiv, sondern es gibt sie nur in der Gesamtheit ihrer Wertschöpfungsstrukturen. Man kann sie nicht differenzieren." Es sei nicht möglich, mit einer rein grünen, sauberen Industrie in Deutschland den derzeitigen Wertschöpfungsgrad auch nur zu halten. "Und ich gehe immer davon aus, dass wir mehr Wohlstand in Deutschland schaffen wollen und dafür müssen wir etwas mehr Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung hinkriegen."
Lösch ist dennoch davon überzeugt, dass die Energiewende für die deutsche Industrie auch große Chancen bietet. Dafür müssten aber schnell verlässliche politische Rahmenbedingungen und verbindliche rechtliche Vorgaben geschaffen werden. Zudem müsse viel mehr Geld in Forschung und Entwicklung und weniger in die Subventionierung von bestehenden Anlagen gesteckt werden. Deutschland lebe von Innovationen und von der Entwicklung ganzer Systeme. Nur so könne die deutsche Industrie wettbewerbsfähig bleiben.