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"Initiativen, die von unten kommen"

Matthias von Hein18. Juni 2015

In ihrem neuen Buch empfiehlt Scilla Elworthy vom Welt-Zukunftsrat ihren Lesern, "Makler des Wandels" zu werden. Elworthy, zu Gast beim Global Media Forum, im DW-Gespräch über Bewusstsein, innere Stärke und neue Werte.

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Schössling Rasen
Bild: Imago/AFLO

Deutsche Welle: Die Welt steht vor einer Fülle von Krisen: Klimawandel, schwindende Ressourcen bei wachsendem Verbrauch, Fluchtbewegungen, Kriege, Konflikte und eine immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich. Die Lücke zwischen der Wahrnehmung der Probleme auf der einen Seite und der Bereitschaft, sie zu lösen, ist derart groß, dass man in Depression und Verzweiflung stürzen könnte. Aber nicht Sie! Wie und wo finden Sie Gründe für Optimismus?

Scilla Elworthy: Zweierlei stimmt mich optimistisch. Zum einen die jungen sozialen Unternehmer, die ich regelmäßig treffe und die ich auszubilden helfe. Deren Haltung würde ich kombinieren mit der eines großen Teils der sogenannten "Millennial-Generation". Untersuchungen zeigen, dass die Generation der zwischen 1980 und 2000 Geborenen ein anderes Wertesystem hat als die vorherigen Generationen. Viele gerade der Klügsten haben kein Interesse für Unternehmen zu arbeiten, die keine zeitgemäßen, zukunftsweisenden sozialen Standards erfüllen. Ungefähr 45 Prozent dieser Millennials stellen sich eine Zukunft vor, in der globale Probleme höchste Aufmerksamkeit genießen: Klimawandel, die gigantische Einkommenslücke zwischen Arm und Reich und all die anderen Probleme, die Sie genannt haben.

Diese Millennials sind auch deshalb so wichtig, weil sie bis 2020 die Hälfte der globalen Beschäftigten stellen werden und weil sie die größte Gruppe von Konsumenten sein werden. Derzeit sind sie weder in die Entscheidungsprozesse von Großunternehmen noch von zwischenstaatlichen Organisationen eingebunden. Aber es ist etwas in Bewegung. Diese Leute werden künftig einbezogen und dann "Beschützer künftiger Generationen" sein, wie wir es beim Welt-Zukunftsrat nennen. Und das macht mir Hoffnung.

Scilla Elworthy - Foto: Joanna Vestey (North Atlantic Books)
Scilla ElworthyBild: Joanna Vestey

Das ist der eine Teil, der mich optimistisch stimmt. Viele Leute antworten auf die Frage, wie sie sich die Zukunft vorstellen mit einem Schulterzucken und der Antwort: "Wahrscheinlich geht es weiter wie bisher". Aber es gibt eine große Zahl Menschen - hauptsächlich Frauen - die etwas ändern wollen. Viele von ihnen wissen noch nicht genau, was sie beitragen können. Aber eine von uns im vergangenen Jahr gegründete Organisation, "Rising Women, Rising World", bekommt gerade eine Lawine von Anträgen. Es sind Frauen, die bei unseren Kursen mitmachen und lernen wollen, wie sie etwas beitragen können. Das sind oftmals gestandene Leute mit reichem Erfahrungsschatz. Frauen über 50, die Karriere gemacht oder auch Kinder aufgezogen haben, die sehr genau wissen, was in der Welt geschieht und die auch in der Lage sind, etwas zu bewegen. Es ist schwierig abzuschätzen, wie groß diese Gruppe ist. Aber allein gemessen am Ansturm auf "Rising Women, Rising World" muss ihre Zahl gewaltig sein. Und unsere Organisation rüstet sich, diese Menschen fortzubilden, damit sie herausfinden, was genau sie unternehmen wollen und wie sie das dann besonders wirkungsvoll umsetzen können.

Ihre Arbeit konzentriert sich also auf das Empowerment von Menschen, die die Lösung der Menschheitsprobleme nicht mehr Politikern, Bürokraten oder Unternehmen überlassen wollen. Was ist Ihre Hauptbotschaft an diese Leute?

Entwickelt innere Stärke! Die Fähigkeit zu kommunizieren, Konflikte zu entschärfen und Selbstbewusstsein! Diese Kraft wird es euch ermöglichen, auf effektive Weise ein "Makler des Wandels" zu werden, wie wir das nennen. Wir betrachten die Entwicklung dieser inneren Fähigkeiten als zentral für eine effektive Arbeit in der Welt.

Sie zitieren gerne Albert Einstein: "Kein Problem kann mit dem Bewusstsein gelöst werden, das es hervorgebracht hat." Braucht es einen Bewusstseinswandel um den Planeten zu retten - und wie könnte der zu sichtbaren Ergebnissen führen?

Einen Bewusstseinswandel kann man nicht erzwingen. Er ist aber etwas, das bereits geschieht! Zwar hat bislang noch niemand eine Methode entwickelt, wie man das messen kann. Aber unlängst habe ich mich mit Organisationen beschäftigt, die größten Wert auf Bewusstheit legen, auf Selbsterkenntnis, auf Handeln. Und ich war überrascht, wie viele Mitglieder diese Organisationen insgesamt hatten. Ich glaube, es handelt sich um ein Phänomen, das noch nicht richtig erkannt aber schon sehr spürbar ist.

Ein Bewusstseinswandel allein würde vermutlich nicht ausreichen, wenn damit nicht auch die Herausbildung eines neuen Wertesystems einherginge. Was müssten denn die Eckpunkte dieses neuen Wertesystems sein?

Die veralteten Werte, die unser Denken und unsere Entscheidungen auf nationaler und globaler Ebene in den vergangenen zwei- oder dreihundert Jahren geprägt haben, müssen durch Werte ersetzt werden, die beispielsweise den Millennials wichtig sind. Ein Beispiel: Einer der typischen alten Werte ist das "Überleben des Stärkeren". Und das beinhaltet die Überzeugung, dass Wettbewerb und Auslese gewinnen. Aber jetzt entdeckt man: Kooperation funktioniert besser, schneller und billiger.

Bräuchte die Welt dazu nicht ein neues Wirtschaftssystem? Eines, das nicht auf Wachstum basiert?

Sie setzen voraus, dass es da ein neues globales Wirtschaftssystem gibt, das installiert werden könnte. Ich glaube nicht, dass das so ist. Aber ich sehe eine ungeheure Vielfalt von Initiativen, die von unten kommen - fast so wie grüne Triebe, die durch Beton brechen. Zum Beispiel gibt es neue Regionalwährungen - gerade Deutschland ist da Vorreiter. Menschen entwickeln ihre eigenen Währungen, um die Leute zu ermutigen, in der Region zu kaufen oder zu verkaufen und nicht globale Handelsketten mit langen Lieferwegen zu nutzen. Andere Initiativen entwickeln neue Sparmodelle für Menschen, die ihr Geld nicht mehr zu den großen Banken tragen wollen. Alle möglichen Projekte werden entwickelt. Aber es ist noch nicht richtig sichtbar - es sei denn man steht mit diesen Graswurzelinitiativen in Kontakt.

Scilla Elworthy ist Mitglied im Welt-Zukunftsrat und Gründerin der "Oxford Research Group" sowie von "Peace Direct". Sie ist dreimal für den Friedensnobelpreis nominiert worden. Ihr jüngstes Buch "Pioneering the Possible - Awakened Leadership for a World that Works" erschien im Oktober 2014. Sie wird am 24. Juni die Abschlussrede beim #link:http://www.dw.de/global-media-forum/gmf15/s-30937:Global Media Forum# der Deutschen Welle halten.

Das Gespräch führte Matthias von Hein