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Eklat im Bundesrat - Nachspiel vor dem Bundesverfassungsgericht?

Wolter von Tiesenhausen22. März 2002

Das hat es in der Geschichte des Bundesrates noch nie gegeben: Ein Ministerpräsident sah sich zu der Feststellung genötigt, bei der Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz sei gegen das Grundgesetz verstoßen worden.

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Ein Kommentar von Wolter von Tiesenhausen

In der Sache ging es um das zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten heftig umstrittene Zuwanderungsgesetz, das den Zuzug von Ausländern und ihre unterschiedliche Rechtstellung neu regeln soll. Da im Bundesrat, in dem die Bundesländer an der Gesetzgebung des Bundes mitwirken, weder die SPD noch die CDU eine eigene Gestaltungsmehrheit haben, lag die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung des Gesetzes bei dem von einer großen Koalition regierten Bundesland Brandenburg.

Dort votierte der sozialdemokratische Arbeitsminister Alwin Ziel mit Ja - der christdemokratische Innenminister Jörg Schönbohm mit Nein. Statt die Stimmen Brandenburgs für ungültig zu erklären, forderte der Präsident des Bundesrates, der regierende Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit eine Erklärung von Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe: Der bestätigte das Ja. Wowereit entschied daraufhin,
dass Gesetz habe eine Mehrheit erhalten und sei im Bundesrat angenommen worden.

Damit setzt sich der Bundesratspräsident in eindeutigen Widerspruch zu der überwiegenden Mehrheit der Staatsrechtler. Diese haben in den vergangenen Tagen die einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes interpretiert und kamen zu dem Schluss, dass die gespaltete Stimmabgabe eines Landes diese Stimmen ungültig macht.

Aber offensichtlich hat sich der Bundesratspräsident weniger an der Meinung der Rechtsgelehrten, als an den taktischen Erfordernissen der rot-grünen Koalition orientiert.

Bei den ausgiebigen Beratungen der sozialdemokratischen
Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler am Vorabend
(21.3.) ist ganz offensichtlich die Losung ausgegeben
worden, dem Zuwanderungsgesetz zum Durchbruch zu verhelfen, koste es was es wolle. Dass man auf hergebrachte Umgangsformen und die in der Regel auf Konsens ausgerichtete Atmosphäre der Länderkammer nichts
mehr gibt, wurde bereits zu Beginn der Sitzung deutlich, als sich eine knappe sozialdemokratische Mehrheit gegen den Willen der unionsregierten Länder in einer Personalie durchsetzte.

Dieser kurzzeitige Erfolg wird dem Kanzler auf Dauer nichts nutzen, im Gegenteil, er wird ihm und seiner Sache schaden. Wer zu solchen Mitteln greift, dem steht das Wasser nicht nur bis zum Hals, dem vernebelt es ganz offensichtlich auch schon den klaren Blick.