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Glaube

Einstein, Lemaître und der Urknall

17. Oktober 2022

Physik und Astronomie formen unser modernes Weltbild, wenn sie nach Ursprung und Ziel des Universums fragen. Dabei können ihre Erkenntnisse aber auch Anstöße geben, über die unfassbare Größe Gottes nachzudenken.

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Illustration | Dichte Schwarzer Materie im Kosmos und Ausbreitung von Gasen seit dem Big Bang
Bild: Illustris Collaboration/AP Photo/picture alliance

Vor genau 440 Jahren begann eine neue Zeitrechnung – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Papst Gregor XIII. (1572-1585) proklamierte einen neuen Kalender, und das mit gutem Grund. Der seit Caesar gebräuchliche Julianische Kalender hinkte dem Sonnenstand um elf Tage hinterher. Um diese Differenz auszugleichen, verfügte der Papst, dass auf den 4. Oktober des Jahres 1582 gleich der 15. Oktober folgte. Dazu wurde die Praxis der Schaltjahre geändert, um die Zeitrechnung mit dem Lauf der Sonne auf Dauer zu synchronisieren.

Da diese Reform aber in die Epoche der Gegenreformation fiel, waren die Protestanten nicht bereit, den Gregorianischen Kalender zu übernehmen. Ebenso wenig die orthodoxen Christen. Aber die mathematisch-astronomische Logik sollte sich schließlich durchsetzen.

Seither schien die Zeit eine feste und unveränderliche Größe zu sein. Stunde um Stunde, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Und doch weiß man seit Albert Einstein, dass auch die Zeit nur relativ ist. Wie schnell sie vergeht, hängt tatsächlich von der Geschwindigkeit ab, mit der man sich bewegt. Je schneller man sich bewegt, desto langsamer vergeht die Zeit.

Die Zeit – so lehrt es die Naturwissenschaft – ist mit dem Urknall entstanden, vor etwa 13,8 Milliarden Jahren. Genauso der Raum. Und seit dem „Big Bang“ dehnt sich der Kosmos immer weiter aus. Diese Theorie ist längst zum Standardmodell der Kosmologen geworden. Aber es war nicht der geniale Albert Einstein, der sie formulierte, sondern ein katholischer Priester aus Belgien: Georges Lemaître (1894-1966). Die Kirche hatte ihn für seine Forschungen weitgehend freigestellt. Und so übernahm der Geistliche 1927 den Lehrstuhl für Mathematik und Physik an der Universität in Löwen. Im gleichen Jahr veröffentlichte er seine Überlegungen.

 

Einstein lehnte Lemaîtres revolutionäre These zunächst entschieden ab. Die beiden Wissenschaftler trafen sich in Brüssel. Ja, Lemaîtres Berechnungen seien korrekt, versicherte Einstein, aber die Physik, die dahinterstehe, sei „abscheulich“. Die Welt könne nicht in einem „kosmischen Feuerwerk“ entstanden sein. Das Universum habe keinen Anfang und kein Ende. Der Kosmos sei starr und unveränderlich. Davon war der Nobelpreisträger zutiefst überzeugt.

Zudem argwöhnte Einstein, Lemaître wolle als Theologe einen Schöpfungsakt in die moderne Physik einbauen, damit die Kirche ihre biblische Botschaft glaubwürdiger verkünden könne.

Als aber der amerikanische Astronom Edwin Hubble (1889-1953) kurz darauf in seinem Observatorium bei Los Angeles entdeckte, dass benachbarte Galaxien sich offenkundig immer weiter von der Erde entfernten, da musste auch Einstein Lemaîtres Theorie

anerkennen. Die drei trafen sich 1933 in Kalifornien und Einstein korrigierte sich. Öffentlich nannte er Lemaîtres Theorie „die wundervollste und befriedigendste Erklärung der Entstehung der Welt, die ich je gehört habe.“

Aber mit der „Urknalltheorie“ sind die Fragen nach dem Woher und Wohin des Kosmos nicht beantwortet. Immer wieder fragen Menschen, was denn vorher gewesen sei und wohin sich das Universum denn ausdehne. Diese Fragen sind natürlich unsinnig, denn Zeit und Raum sind ja erst mit dem Urknall entstanden. Und doch geben wir uns mit dieser Aussage nicht zufrieden.

Gläubige Menschen sind überzeugt, dass sich die Welt einer Kraft verdankt, die jenseits von Zeit und Raum existiert. Diese Wirklichkeit, die alle menschliche Vorstellungskraft übersteigt, nennt man Gott. In ihm, dem Schöpfer, fallen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen. Das hat schon der Psalmist im Alten Testament geahnt, wenn er formuliert: „Tausend Jahre sind in deinen Augen wie der Tag, der gestern vergangen ist.“ (Ps 90,4)

In einer Welt, die wie die unsere so von Naturwissenschaft und Technik geprägt ist, sind es vielleicht gerade die Erkenntnisse der Physiker und Astronomen, die zu einem ganz neuen Nachdenken über Gott anregen. Es ist unbestritten, dass Naturwissenschaft und Religion die Welt auf ihre je eigene Weise beschreiben. Aber dabei schließen sie einander nicht aus.

George Lemaître, der Priester und Physiker, hat das immer wieder betont. In einem Interview mit der New York Times sagte er es so: „Die Wissenschaft hat meinen Glauben nicht erschüttert und niemals hat mein Glaube mich an Ergebnissen zweifeln lassen, die ich mit wissenschaftlichen Methoden erhalten hatte.“

Dabei ließ Lemaître zeitlebens keinen Zweifel daran, dass es nicht die Aufgabe der Physik sei, die Existenz Gottes zu beweisen. Als Papst Pius XII. dies mit Verweis auf die Urknalltheorie versuchte, widersprach ihm sein Priester energisch.

Pius´ Nachfolger, Johannes XXIII. (1958-1963), ernannte Lemaître zum Präsidenten der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Das von Johannes einberufene II. Vatikanische Konzil machte den Weg endgültig frei für einen offenen Dialog zwischen katholischer Kirche und den Naturwissenschaften.

 

Andreas Britz: Jahrgang 1959; Lehrer für Katholische Religion und Geschichte am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium im südpfälzischen Germersheim; Regionaler Fachberater für Katholische Religion an den Gymnasien und Integrierten Gesamtschulen in der Pfalz; seit 1996 Autor von Verkündigungssendungen im Auftrag des Bistums Speyer in SWR und Deutschlandfunk.