Einmal Karnevalsprinz sein
Es ist der Traum eines jeden Karnevalisten: eine Karnevalssession lang an der Spitze aller Jecken zu stehen. Für zwei gebürtige Kameruner erfüllte sich dieser Traum im Jahr 2016.
In der Karnevalssession Session, -en (f.) hier: die Zeit, in der Karneval, Fastnacht und Fasching gefeiert wird 2016/17 war es eine kleine Sensation: Der Karnevalsausschuss der Stadt Ratingen nahe Düsseldorf entschied sich dafür, dass an der Spitze der Närrinnen Narr, -en/ Närrin, -nen hier: jemand, der Karneval, Fastnacht oder Fasching feiert und Narren Narr, -en/ Närrin, -nen hier: jemand, der Karneval, Fastnacht oder Fasching feiert ein Prinzenpaar Prinzenpaar, -e (n.) ein Paar, das aus einem gewählten Karnevalsprinzen und einer Karnevalsprinzessin besteht und für eine Karnevalssaison das Oberhaupt der Feiernden ist aus dem zentralafrikanischen Kamerun stehen sollte – Samuel Awasum und seine Frau Jacinta Awasum. Bei der Prinzenproklamation Proklamation, -en (f.) hier: die offizielle Einführung in ein Amt, bei der die Symbole des Amtes wie Zepter, Federn oder Orden übergeben werden im November 2016 in der Dumeklemmer Halle in Ratingen begrüßte Prinz Samuel I. an der Seite seiner Prinzgemahlin Jacinta I. in seiner Rede „sein“ Narrenvolk in bester Reimform:
„Helau, ihr Narren, hier im Saal. Es grüßt euch der Prinz Karneval. Welch’ eine Freude, euch zu sehen. Wie schön, als Prinz vor euch zu steh’n, in diesem kunterbunten Trubel voll Fröhlichkeit und Narrenjubel.“
Samuel Awasum fühlte sich wohl in seiner Rolle inmitten dieses kunterbunten Trubels, der vielfältigen, heiteren Stimmung vieler Menschen. Seine Frau fasste in ihrer ebenfalls gereimten Rede das Gefühl in Worte, wie die Ehrung bei ihm ankam:
„In seinen Augen war ein Glanz, den kannt’ ich nur vom Hochzeitstanz.“
Warum dieser Glanz, diese Freude, in seinen Augen war, erklärte Samuel Awasum so:
„Weil es war für mich komplett unerwartet. Ich hätte das nie geträumt, es sind einfach solche Wünsche, wo man sich wünscht und weiß, dass die nie in Erfüllung kommen. Und deswegen war [es] für mich einfach unbegreiflich schön, und ich fand das für mich persönlich als eine Anerkennung, als ’n Zeichen.“
Seine Frau, die sich bald in ihre Rolle als „Prinzgemahlin“ einfand, war anfangs allerdings etwas geschockt, wie sie eingesteht:
„Ja, ich war total überrascht, dass mein Mann nach Hause dann kam und hat mir gesagt: ‚Wir werden die neuen Prinzenpaar in Ratingen.‘ Ich hab ihm gesagt: ‚Ne, das kann überhaupt nicht sein.‘ Und dann musste ich alles so im Kopf realisieren, und weil wir haben zwei kleine Kinder. Und dann hab ich mir direkt gedacht: ‚Okay, was machen wir dann – die Kinder –, wenn wir so was machen. Und danach dann hab ich mir gedacht: ‚Okay, ich hab dann [mit] meinem Mann geredet. Ich glaube, es wird auch eine Herausforderung für mich.“
Jacinta Awasum, die im benachbarten Düsseldorf arbeitet, fragte sich, wie sie das alles mit der Arbeit und der Betreuung ihrer zwei kleinen Kinder in Einklang bringen sollte. Sie musste das verstehen, im Kopf realisieren, wie sie sagt. Denn für die Eheleute bedeutete das, einen randvollen Terminkalender zu haben mit Auftritten auf Karnevalssitzungen Sitzung, -en (f.) hier: eine Veranstaltung in Karneval, Fastnacht oder Fasching mit kostümierten Menschen und karnevalistischen Aufführungen (Musik, Tanz, Reden) , auf der die eine oder andere Büttenrede Büttenrede, -n (f.) lustiger und oft satirischer Wortbeitrag bei einer Veranstaltung in Karneval, Fastnacht oder Fasching zum Besten gegeben werden musste, und natürlich dem Rosenmontagszug Rosenmontagszug, -züge (m.) eine lange Reihe geschmückter Wagen und Fußgruppen, die am Karnevalsmontag durch die Straßen einer Stadt oder eines Dorfes ziehen oder Besuchen in Altenheimen, Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern, Unternehmen und städtischen Betrieben. Jacinta musste sich in ihre Rolle erst einmal hineinfinden, denn anders als ihr Mann, war sie es nicht so gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen:
„Der ist immer unterwegs und der macht, was er in der Stadt auch macht – als Vorsitzender des Integrationsrates. Der macht so viel mit den Leuten und mit der Rede und alles – und für mich ist alles so neu.“
Jacinta und Samuel stammen aus Kamerun. Jacinta war im September 2003 zum Studium nach Deutschland gekommen, ihr Mann ein Jahr eher. Beide blieben, fanden hier Arbeit, ihre beiden Kinder wurden in Deutschland geboren, beide sind deutsche Staatsbürger. Die Begeisterung für Karneval kam den beiden allerdings schon in den ersten Jahren in Deutschland:
„Karneval finden wir toll, Karneval ist deutsches Brauchtum, und wenn man hier lebt und so tief in diese Bräuche geht, ja, und versucht, zu verstehen und mitzufeiern, dann ist es einfach ein Zeichen, dass wir zusammenleben und füreinander da sind.“
Beim rheinischen Karneval geht es nicht nur ums Schunkeln schunkeln sich bei seinem Nachbarn einhaken und zur Musik rhythmisch seitwärts schaukeln und Feiern, sondern auch um das soziale Miteinander. Das Thema Integration liegt Samuel sehr am Herzen. Ehrenamtlich engagiert er sich unter anderem im Integrationsrat der Stadt Ratingen, ist Mitglied im Landesintegrationsrat Nordrhein-Westfalens. Ein Integrationsrat, manchmal auch Ausländerbeirat genannt, ist ein Gremium, das die Verwaltungsorgane einer Gemeinde beziehungsweise einer Stadt in Fragen, die ausländische Bewohner betreffen, berät. Karneval und Integration gehören für Samuel zusammen. Er, der selbst erlebt hat und weiß, wie es ist, wegen seiner Hautfarbe angefeindet zu werden, sagt bedauernd:
„Dass Rassismus in verschiedenen Formen heutzutage noch auftritt, finde ich einfach schade und finde ich einfach doof, dass Menschen auf Hautfarbe oder Geschlecht, auf diese eigentlich kleinen Sachen, die eigentlich nicht zum normalen Leben gehören, ja, dass Menschen noch auf solche Sachen achten.“
In Bezug auf Karneval gibt sich Samuel traditionell. Für ihn und Jacinta stand es nie zur Debatte, bei der Proklamation zum Prinzenpaar afrikanische Kleidung zu tragen. Sie wollten das traditionelle Prinzenpaar-Kostüm tragen, weil es auch zum Brauchtum gehört.
Irgendwann, so glaubt Samuel, sei es hoffentlich nicht mehr exotisch, Prinzenpaare mit Migrationshintergrund zu haben. Denn wie reimte er bei seinem Auftritt in der Dumeklemmer Halle:
„Und nicht nur an den jecken jeck rheinisch für: närrisch; verrückt Tagen ist uns ganz wichtig euch zu sagen: ‚Kommst du aus Homberg oder West, aus Dublin oder Budapest, kamst du hier an mit Hundeschlitten oder aus Hösel hergeritten. Im Karneval, das ist das Tolle, spielt so etwas gar keine Rolle.“
Und wer weiß, vielleicht erfüllt sich ja auch dieser Herzenswunsch des Karnevalisten aus Bamenda in Kamerun:
„Es gibt auch Menschen, die sagen: ‚Mit Karneval haben wir nichts zu tun. Und weil ihr das macht, finden wir das toll – und werden dieses Jahr Karneval feiern.‘ Hoffentlich bleiben die dabei.“
Einmal Karnevalsprinz sein
Session, -en (f.) — hier: die Zeit, in der Karneval, Fastnacht und Fasching gefeiert wird
Narr, -en/ Närrin, -nen — hier: jemand, der Karneval, Fastnacht oder Fasching feiert
Prinzenpaar, -e (n.) — ein Paar, das aus einem gewählten Karnevalsprinzen und einer Karnevalsprinzessin besteht und für eine Karnevalssaison das Oberhaupt der Feiernden ist
Proklamation, -en (f.) — hier: die offizielle Einführung in ein Amt, bei der die Symbole des Amtes wie Zepter, Federn oder Orden übergeben werden
Sitzung, -en (f.) — hier: eine Veranstaltung in Karneval, Fastnacht oder Fasching mit kostümierten Menschen und karnevalistischen Aufführungen (Musik, Tanz, Reden)
Büttenrede, -n (f.) — lustiger und oft satirischer Wortbeitrag bei einer Veranstaltung in Karneval, Fastnacht oder Fasching
Rosenmontagszug, -züge (m.) — eine lange Reihe geschmückter Wagen und Fußgruppen, die am Karnevalsmontag durch die Straßen einer Stadt oder eines Dorfes ziehen
schunkeln — sich bei seinem Nachbarn einhaken und zur Musik rhythmisch seitwärts schaukeln
jeck — rheinisch für: närrisch; verrückt