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Eine kleine Oase der Koexistenz

Anja von Cysewski12. Juli 2003

Israelische Araber haben in Haifa eine Ausgehmeile geschaffen, wo auch Juden willkommen sind. Auf dem so genannten Ben Gurion Boulevard treffen sie sich, um ihre Vision eines friedlichen Zusammenlebens zu verwirklichen.

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Panorama der Hafenstadt HaifaBild: Haifa Tourists Board

Seit Beginn der zweiten Intifada haben sich die Beziehungen zwischen arabischen und jüdischen Bürgern in Israel merklich verschlechtert. Während viele jüdische Israelis die Araber im eigenen Land als Bedrohung empfinden, fühlt sich die arabische Minderheit von der jüdischen Mehrheit unterdrückt. Die Beziehungen sind oft von Misstrauen, Vorurteilen und Ängsten oder von schlichter Ignoranz geprägt. Eine Ausnahme ist die Hafenstadt Haifa, wo Juden und Araber traditionell friedlich zusammen leben. Und in Haifa gibt es auch die lebendigste arabische Kulturszene des Landes. Ihr Mittelpunkt ist die so genannte "Deutsche Kolonie", ein Viertel nahe des Hafens, erbaut von deutschen Templern im 19. Jahrhundert. Dort haben sich junge Araber jetzt eine Ausgehmeile geschaffen, die einzigartig im Land ist.

Kultureller Austausch

Das Besondere: Hier, mitten in Israels drittgrößter Stadt, wird über die politische Situation des Landes vor allem auf Arabisch diskutiert. Denn der Ben Gurion Boulevard ist die einzige angesagte Ausgehmeile im Land, in der die Araber die Mehrheit stellen. Alle 17 Kneipen hier würden von israelischen Arabern geführt, erzählt Fadi, dem das Café "Douzan" gehört: "Vor allem seit dem Beginn der zweiten Intifada, als die Situation sehr schwierig war, haben wir jungen Araber gemerkt, dass wir unsere eigenen Cafés brauchen. Denn es war schwierig für uns, irgendwo in der Stadt zu sitzen und auf Arabisch über all das zu sprechen, was geschah." Deshalb haben sie sich einen eigenen Ort geschaffen. Einerseits um sich selbst wohl zu fühlen, aber auch um der anderen Seite die arabische Kultur nahe zu bringen.

Ein Gefühl von Freiheit

An einem der Tische im "Douzan" unterhält sich der Architekt Samir mit zwei Freunden. Samir ist aus dem arabischen Dorf Bakka an der Grenze zu den Palästinensergebieten angereist. Immerhin eine Stunde saß er dafür im Auto. "Wenn ich hier sitze, fühle ich mich wohl, einfach frei", erklärt er seine Motivation nach Haifa zu kommen. Samir hat in Deutschland Architektur studiert. Vor sechs Jahren kam er mit seiner deutschen Frau und zwei Kindern in sein arabisches Heimatdorf zurück. Manchmal bereut er die Entscheidung, denn heute fühlt er sich in seinem Land als Bürger zweiter Klasse.

Inmitten der täglichen Spannungen ist der Ben Gurion Boulevard für ihn eine kleine Oase der Koexistenz. Ein Ort, an dem es nicht wichtig ist, ob man Jude ist oder Araber. Und an dem sich Gespräche zwischen beiden Gruppen entwickeln, die anderswo nicht möglich wären.

Ein Stein kommt ins Rollen

Begonnen hat alles nebenan im Café "Fatoush". Noch vor fünf Jahren war der Ben Gurion Boulevard abends wie ausgestorben – bis der heute 30-jährige Wadi in einem der kleinen Steinhäuser das erste Café eröffnete. Die Nachfrage war groß. Und sein Beispiel habe sofort Schule gemacht, sagt Wadi: "Alle waren vorher Gäste hier, und dann haben sie selber Kneipen aufgemacht. Ich freue mich über diese Entwicklung."

Tatsächlich ist Haifa das Zentrum einer lebendigen arabischen Kulturszene. Es gibt hier ein arabisches Theater, und die Konzertreihen, Lesungen und Parties ziehen Araber aus dem ganzen Land an. Und viele Initiativen gehen von den Cafés auf dem Ben Gurion Boulevard aus. Benannt ist die Straße nach dem Staatsgründer Israels. Doch die jungen Araber, die hier ausgehen, haben ihr einen anderen Namen gegeben: "Treffen wir uns in der Abu Nawas", sagen sie zueinander, wenn sie sich für den Abend verabreden. Wadi erklärt, dass Abu Nawas ein mittelalterlicher arabischer Dichter war, der von einer Atmosphäre wie auf dem Ben Gurion Boulevard geträumt habe. "Deswegen nennen wir die Straße nach ihm, denn das was hier entstanden ist, passt zu ihm, zu dem was er geschrieben und geträumt hat."

Auch die jungen israelischen Araber haben Träume. Sie träumen davon, als Araber in Israel wirklich akzeptiert zu werden. Und natürlich davon, dass ihre Straße irgendwann ganz offiziell den Namen von "Abu Nawas" tragen wird.