Streit um Mediengesetz
6. Dezember 2012Stress im Studio von Radio Sur: Der Redakteur spricht in zwei Mobiltelefone gleichzeitig, der Tontechniker hat alle zehn Finger an den Reglern, die Moderatorin am Mikrofon versucht, sich zu konzentrieren – gleich wird der nächste Gesprächspartner zugeschaltet: Argentinien ist an diesem Tag durch einen Generalstreik lahmgelegt, bei Radio Sur dürfen die Hörer ihre Meinung sagen: Studenten, Arbeiter, Hausfrauen – sie alle erzählen, wie der Streik ihren Tag beeinflusst, warum sie den Ausstand befürworten oder ablehnen. Keine Werbepausen, keine Musik – echtes Bürgerradio.
"Das neue Mediengesetz war und ist für uns entscheidend", sagt Moderatorin Inés Farina nach der Sendung. "Nicht nur für die gemeinnützigen, alternativen Bürgerradios, sondern auch für die ganze Gesellschaft. Damit sorgen wir für eine bessere Demokratie und schaffen Meinungsfreiheit für alle."
Mehr Vielfalt und Demokratie
Radio Sur in Buenos Aires gehört zu den sogenannten "radios comunitarias" - kleine, nicht-kommerzielle Stationen, betrieben von sozialen Organisationen, Universitäten oder Indigenen. Sie profitieren von dem Gesetz, denn sie bekommen jetzt leichter Sendelizenzen. Das alte Gesetz, das noch von der Militärdiktatur der 70er Jahre erlassen wurde, erlaubte nur Privatpersonen oder -institutionen, Radio und Fernsehstationen zu betreiben. Die neue Regelung soll für mehr Vielfalt und Demokratie sorgen. Die Medien sollen nicht mehr alleine von mächtigen Unternehmen dominiert werden. Die Sendefrequenzen werden jetzt jeweils zu einem Drittel an private, an staatliche und an nicht kommerzielle Anbieter verteilt. Wer mehr als die erlaubte Anzahl an Lizenzen besitzt, muss diese zurückgegeben.
So soll sichergestellt werden, dass alle Bevölkerungsgruppen eigene Medienprojekte starten und verbreiten können. Das klingt sinnvoll. Weil aber die Bürgerradios oft finanziell vom Staat anhängig sind, wächst dessen Einfluss auf die Medienlandschaft. Zudem ist es der Staat, der alle zwei Jahre die Vergabe von Lizenzen überprüft. Die Befürworter des Gesetzes betonen dagegen, dass so die Macht der mächtigen Medienkonzerne im Land beschnitten wird: "Wir glauben, dass das ein langer und sehr harter Kampf gegen die Multimedia-Konzerne wird. Die haben von der Situation der letzten Jahren nur profitiert. Damit muss jetzt mal Schluss sein. Denn das Gesetz gilt für alle", sagt Inés Farina von Radio Sur.
Medien, Macht und Märkte
Vor drei Jahren hatte das Parlament das neue Mediengesetz verabschiedet. Doch bis heute wird darüber heftig gestritten: Grupo Clarín, Südamerikas zweitgrößter Medienkonzern, weigert sich, seine laut Gesetz überzähligen Lizenzen zurückzugeben. Clarín fährt publizistisch einen klaren Kurs gegen die Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und hält das Gesetz für einen politischen Schachzug, um die kritische Mediengruppe zum Schweigen zu bringen: "Der beste Beweis dafür ist, dass in den drei Jahren, seitdem das Gesetz in Kraft ist, mehr als 80 Prozent aller Radio- und Fernsehstationen direkt oder indirekt unter den Einfluss der Regierung geraten sind. Deswegen haben wir gegen zwei Artikel des Gesetzes geklagt, weil wir sie für verfassungswidrig halten", erklärt Clarín-Sprecher Martín Etchvers.
Seit der Rechtsstreit läuft, überziehen sich beide Seiten mit einem Propagandakrieg: Clarín rechnet vor, wie viele Millionen Steuergeld die Regierung für politische Eigenwerbung und Fußballübertragungen in ihr gewogenen Medien ausgibt. Und die Regierung versucht, die Mediengruppe als geldgierigen Monopolisten darzustellen, der die Bevölkerung manipuliert, belügt und die staatlichen Institutionen nicht achtet. Ironischerweise war es Präsidentin Kirchners Vorgänger, ihr verstorbener Mann Néstor, der dafür gesorgt hatte, dass Clarín so mächtig auf dem argentinischen Medienmacht werden konnte. Damals allerdings stand die Gruppe noch auf Seiten der Regierung.
Gefahr für die Meinungsfreiheit?
Jetzt kommt es zum Showdown: Die Regierung hat erklärt, Clarín müsse seine laut Gesetz überzähligen Lizenzen bis Ende dieser Woche zurückgeben. Sollten die Richter dem nicht folgen, so sei das ein "Aufbegehren“. Selbst Politiker, die dafür sind, die Marktmacht von Medienunternehmen zu beschränken, zweifeln, ob es hier noch um die Sache geht: "Das Vorgehen der Präsidentin gegen die Justiz macht aus einem rein wirtschaftlichen Problem für Clarin eine Frage der Meinungsfreiheit", sagt der oppositionelle Senator Mario Cimadevilla. Der Abgeordnete gehört zu jenen, die die Ernennung eines regierungsfreundlichen Richters im Fall Clarin verhindert hatten.