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"Eine enorme Herausforderung"

14. Juli 2009

Auf seiner konstituierenden Sitzung hat das neue EU-Parlament den früheren polnischen Regierungschef Jerzy Buzek zum Parlamentspräsidenten gewählt. Einen Denkzettel gab es für FDP-"Vorzeigefrau" Silvana Koch-Mehrin.

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EU-Parlament in Straßburg (Foto: AP)
Das EU-Parlament in StraßburgBild: AP

Für den Posten des Präsidenten des Europaparlaments gab es nur zwei Kandidaten - die schwedische Linkspolitikerin Eva Britt-Svensson und den polnischen Rechtsliberalen Jerzy Buzek. Von vornherein stand das Ergebnis fest, weil sich die drei größten Fraktionen bereits vorher auf Buzek geeinigt hatten. Gespannt warteten die Abgeordneten aber, wie hoch die Zustimmung für Buzek ausfallen würde.

Als letzte Amtshandlung konnte der scheidende Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering schließlich verkünden: "Abgegebene Stimmen 644, absolute Mehrheit 323, es erhielt Jerzy Buzek 555 Stimmen." Für Eva-Britt Svensson stimmten 89 Abgeordnete, 69 Stimmzettel waren ungültig.

Wahl mit Symbolkraft

Jerzy Buzek (Foto: AP)
Klare Mehrheit: Jerzy BuzekBild: AP

Mit Buzek wird erstmals ein Abgeordneter aus einem der früheren kommunistischen Länder Parlamentspräsident. Die Abgeordneten wollen das als wichtiges Symbol verstanden wissen. Joseph Daul, der Fraktionsvorsitzende der Konservativen, betonte: "Zum ersten Mal haben wir in diesem Parlament nicht mehr West- und Osteuropa. Wir haben nur ein Europa, symbolisiert durch unseren Präsidenten", erklärte der Chef der größten Fraktion im EU-Parlament.

Auch für Buzek war es ein sichtlich bewegender Moment: "Für mich ist das sowohl eine enorme Herausforderung als auch eine große Ehre. Ich werde alles tun, Ihr Vertrauen nicht zu enttäuschen. Diejenigen, die mich nicht gewählt haben, werde ich versuchen, zu überzeugen.“

Der 69-Jährige mahnte die Abgeordneten, das Europaparlament leide unter einer Vertrauenskrise. Die Menschen in Europa empfänden das Parlament als zu weit weg von ihnen und ihren Problemen. Darauf müsse man reagieren. Buzek wird nur die Hälfte der fünfjährigen Legislaturperiode Präsident sein. Durch eine Absprache zwischen den Konservativen und der zweitstärksten Fraktion der Sozialisten soll in der zweiten Hälfte ein Sozialist Präsident werden.

Denkzettel für Koch-Mehrin

Silvana Koch-Mehrin (Foto: AP)
Beinahe gescheitert: Silvana Koch-MehrinBild: AP

Die deutsche Liberale Silvana Koch-Mehrin wurde am Abend zu einer Vizepräsidentin des Europaparlaments gewählt. Insgesamt hat der Parlamentspräsident 14 Stellvertreter. Die FDP-Politikerin schlug erst im dritten Wahlgang den polnischen Kandidaten Michael Tomasz Kaminski aus dem Rennen, der der nationalkonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" von Polens Präsident Lech Kaczynski angehört. In den ersten beiden Wahlgängen hatte Koch-Mehrin das mit Abstand schlechteste Ergebnis aller Kandidaten erzielt. Um die 14 Posten hatten sich 15 Parlamentarier beworben.

Ihren knappen Erfolg dürfte Koch-Mehrin vor allem den Grünen zu verdanken haben, die im dritten Durchgang schließlich für die 38-jährige FDP-Politikerin stimmten. Die Grünen hätten eine Wahl Kaminskis ins Präsidium nicht verantworten wollen, sagte ein Fraktionssprecher. Der Pole sei in der vergangenen Legislaturperiode mit rassistischen und schwulenfeindlichen Äußerungen aufgefallen. "Zwischen zwei Übeln haben wir uns für das geringere entschieden", sagte der Sprecher. Mit dem schlechten Ergebnis in den beiden ersten Runden sei Koch-Mehrin jedoch ein "Denkzettel" verpasst worden.

Kritik und Vorwürfe

Die FDP-Politikerin ist im Europaparlament umstritten. Viele Abgeordnete werfen ihr vor, mehr in Talkshows und People-Magazinen zu glänzen, als mit Arbeitseifer in den Ausschüssen. Unbeliebt hat sich die Europa-Spitzenkandidatin der FDP zudem mit einem Interview für das Magazin "Bunte" gemacht, in dem sie männlichen Parlamentskollegen vorwarf, mit einem lockerem Lebenswandel während der Straßburger Plenarsitzungen Prostituierte anzulocken.

Neben Koch-Mehrin werden der CDU-Abgeordnete Rainer Wieland und die SPD-Frau Dagmar Roth-Behrendt Deutschland künftig im Präsidium des EU-Parlaments vertreten.

EU-Parlament (Foto: AP)
Der Arbeitsplatz des neuen Parlamentspräsidenten: Jerzy Buzek (m.) hat schon Platz genommenBild: AP

Insgesamt gehören dem neuen Europaparlament 736 Abgeordnete an. Die Hälfte der Parlamentarier ist erstmals in das Abgeordnetenhaus eingezogen. 35 Prozent der Volksvertreter sind weiblich - damit sitzen im Plenum mehr Frauen als je zuvor. In der vorherigen Legislaturperiode waren es nur 31 Prozent. Deutschland liegt mit einem Frauenanteil von 37 Prozent etwas über dem EU-Durchschnitt.

Autor: Christoph Hasselbach / gri
Redaktion: Christian Walz