1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Aus Feinden werden Freunde

Michael Marek25. Januar 2013

Der 22. Januar 1963 gilt für Deutschland und Frankreich als historisches Datum. Mit der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags besiegelten die einstigen Erbfeinde an diesem Tag den Beginn der politischen Aussöhnung.

https://p.dw.com/p/16pqH
ARCHIV - Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle (r) und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer unterzeichnen am 22.01.2963 im Elysee-Palast in Paris den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Foto: dpa (zu dpa "Deutsch-französische Freundschaft" vom 03.03.) nur s/w +++(c) dpa - Report+++
Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer unterzeichnen den deutsch-französischen FreundschaftsvertragBild: picture-alliance/dpa

"Übervoll ist mein Herz und dankbar mein Gemüt", sprach Charles de Gaulle etwas pathetisch in fließendem Deutsch. Zuvor hatten der französische Staatspräsident und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer in Paris den Elysée-Vertrag unterschrieben. Dann folgten zwei Wangenküsse und eine stürmische Umarmung des Gastgebers. Der verdutzte Bundeskanzler antwortete schlicht: "Dem habe ich nichts hinzuzufügen."

Der "deutsche Michel" und die "französische Marianne"

Es war ein klirrend kalter Wintertag, als der Vertrag im Pariser Elysée-Palast unterzeichnet wurde, dem Amtssitz des französischen Präsidenten. 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verpflichteten sich die beiden Nachbarn zu Konsultationen in allen wichtigen Fragen der Außen-, Verteidigungs-, Bildungs-, Jugend- und Kulturpolitik. Regelmäßige Treffen zwischen den Regierungschefs, den Ministern sowie hohen Beamten sollten die Umsetzung des Vertrages gewährleisten. Der "deutsche Michel" und die "französische Marianne" - aus erbitterten Kriegsgegnern wurden Partner. Das war die politische Botschaft Adenauers und de Gaulles.

German Chancellor Konrad Adenauer, left, hugs France President Charles de Gaulle, right, after signing the Elysee friendship treaty in the Elysee palace in Paris, France on Jan. 22, 1963. France and Germany kicked off celebrations Wednesday, Jan. 22, 2003 to mark the 40th anniversary of the treaty with a raft of events intended to inject new vitality into their relationship, which is pivotal in efforts to expand and integrate the European Union. (ddp images/AP Photo) --- Bundeskanzler Konrad Adenauer (li) und Staatspraesident Charles de Gaulle umarmen sich nach der Unterzeichnung des Deutsch-Franzoesischen Vertrages am 22. Januar 1963 im Salon Murat im Pariser Elysee-Palast. Rechts neben de Gaulle steht M. Christian Fouchet. (ddp images/AP Photo)
Große Geste - Umarmung von Adenauer und de GaulleBild: AP

Bereits einige Jahre zuvor hatten beide Länder den Prozess der politischen Aussöhnung begonnen. Frankreichs Außenminister Robert Schumann (1948-1952) und Charles de Gaulle, seit 1958 französischer Staatspräsident, gehörten zu den treibenden Kräften. Bundeskanzler Adenauer wusste, dass er am Ende seines politischen Weges stand. Er wollte einerseits seinem Nachfolger eine stabile deutsche Außenpolitik hinterlassen, andererseits widerstrebte es ihm, Deutschland von den USA und von der NATO abzukoppeln, so wie de Gaulle es gefordert hatte.

Zwei Staatsmänner - eine Vision

Aber eine Vision hatte beide Männer geeint: Ein mächtiges Europa sollte nicht gegen, sondern unabhängig von den US-Amerikanern in die Weltpolitik eintreten. Dafür warben beide Staatsmänner im jeweils anderen Land:  Vom 2. bis 8. Juli 1962 stattete Bundeskanzler Adenauer Frankreich einen Staatsbesuch ab. Die gemeinsame Besichtigung der Kathedrale von  Reims unterstrich die persönliche Verbundenheit der beiden Staatsmänner. Vom 4. bis 9. September 1962 besuchte de Gaulle die Bundesrepublik und bekräftigte die Bereitschaft zur Aussöhnung.

Gestenreich bedankt sich Charles de Gaulle (l) während seines Besuchs in Bonn im Mai 1962 bei den jubelnden Bürgern, die Plakate mit der Aufschrift "Wir wollen den europäischen Bundesstaat" und "Vive lÂEurope unie" hochhalten. Begleitet wird der französische Staatspräsident von Bundeskanzler Konrad Adenauer (r). Freundschaft gelobten sich vor 35 Jahren die einstigen Erzfeinde Deutschland und Frankreich im Elysee-Vertrag. dpa (zu dpa-Korr "In 35 Jahren wuchs enges deutsch-französisches Beziehungsgeflecht" vom 19.01.1998) nur sw
Charles de Gaulle auf Staatsbesuch in BonnBild: picture-alliance/ dpa

In Ludwigsburg wandte sich der französische Präsident an die deutsche Jugend: "Ich beglückwünsche Sie ferner, junge Deutsche zu sein, das heißt, Kinder eines großen Volkes, das manchmal im Laufe seiner Geschichte große Fehler begangen hat. Ein Volk, das aber auch der Welt geistige, wissenschaftliche, künstlerische, philosophische Werte gespendet hat."

Korrekturen im Bundestag

Für Missstimmung sorgte allerdings auf deutscher Seite, dass eine Woche vor Unterzeichnung des Elysée-Vertrages de Gaulle die Aufnahme Großbritanniens in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) abgelehnt hatte. Viele Bundestagsabgeordnete sahen das Abkommen in Gefahr, zumal de Gaulle forderte, dass Deutschland sich entscheiden müsse: Gegen die USA und Großbritannien und für Frankreich mit seiner Atomstreitmacht, der Force de frappe.

Der  Deutsche Bundestag stimmte dem Vertragswerk am 16. Mai 1963 mit großer Mehrheit zu. Es wurde allerdings durch eine Präambel ergänzt, die als deutliche Kritik an der gaullistischen Politik verstanden wurde. Sie legte fest, dass Verträge mit anderen Ländern durch den Élysée-Vertrag nicht beeinträchtigt wurden. Die Bundesrepublik stand zur Partnerschaft mit Frankreich, den USA und der NATO. Am 14. Juni 1963 billigte auch die französische Nationalversammlung den Élysée-Vertrag.
 

Rosenphilosophie

Verträge, so Kritiker damals, seien selten von Dauer und manche verglichen das Pariser Abkommen mit Rosen, die irgendwann auch verwelken. Adenauer, selbst ein begeisterter Rosenzüchter, musste darauf antworten. "Aber die Rose - und davon verstehe ich nun wirklich etwas - ist die ausdauerndste Pflanze, die wir überhaupt haben." Adenauer sollte Recht behalten. Der Elysée-Vertrag ist bis heute ein zentrales Dokument der Aussöhnung.

Dazwischen wurden seit 1988 ein gemeinsamer Verteidigungs- und Sicherheitsrat gegründet, ein Finanz- und Wirtschaftsrat sowie ein Kultur- und Umweltrat. Nach der Bildung einer gemischten deutsch-französischen Brigade wurde sogar die Aufstellung eines gemeinsamen Armeekorps beschlossen, das sich unter Einbeziehung weiterer Verbündeter zum Eurokorps entwickelt hat. Die Politikergespanne der jeweils amtierenden deutschen Bundeskanzler und französischen Staatspräsidenten - Schmidt-Giscard d'Estaing, Kohl-Mitterrand und Schröder-Chirac - nutzten das Vertragswerk und machten beide Länder zu Vorreitern der europäischen Einigung. Vor allem die Gründung des deutsch-französischen Jugendwerkes am 5. Juli 1963 sollte sich als besonders fruchtbar erweisen. Millionen Jugendliche aus beiden Ländern konnten sich seitdem kennen- und verstehen lernen.

West German Chancellor Helmut Kohl, left, is shown with French President Francois Mitterand during a press conference at the Elysee Palace after 41 Franco German Summit, May 17, 1983, Paris, France. (ddp images/AP Photo/Lionel Cironneau)
Helmut Kohl und François Mitterrand beim Gipfeltreffen 1983Bild: AP