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Ein Standarddeutsch, viele Varianten

Janna Degener
19. Juli 2013

In Süddeutschland, Österreich und der Schweiz spricht und schreibt man anders als im Norden. Müssen DaF-Lerner die verschiedenen Varianten des Standarddeutschen beherrschen? Und was würde das für ihre Lehrer bedeuten?

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Schweizer Flagge vor Alpenpanorama
Bild: Fotolia

Wer schon einmal eine Schweizer Zeitung gelesen oder eine Nachrichtensendung im österreichischen Fernsehen geschaut hat, dem wird aufgefallen sein, dass hier eine etwas andere Sprache verwendet wird als in den bundesdeutschen Medien. Aber auch innerhalb Deutschlands gibt es Unterschiede im Sprachgebrauch. Je nach Region sagt man zum Beispiel Zugsverbindung oder Zugverbindung, die E-Mail oder das E-Mail, die Parks, die Pärke oder die Parke. Und während Studierende in Kiel für ihre Prüfungen lernen müssen, lernen ihre Augsburger Kommilitonen meist auf eine Prüfung. Solche sprachlichen Varianten tauchen nicht nur bei Plaudereien in der U-Bahn oder auf dem Markt, am Mittagstisch oder im Chat auf, man findet sie beispielsweise auch in Fachartikeln, Nachrichtensendungen oder Universitätsvorlesungen.

Sprachwissenschaftler kommen deshalb zu der Einschätzung, dass es sich dabei nicht um dialektale Unterschiede, sondern um Formen der deutschen Standardsprache, also des Hochdeutschen, handelt. Nachdem man viele Jahre lang davon ausgegangen ist, dass es nur einen korrekten Standard geben kann und alle Abweichungen als Fehler zu bewerten sind, werden inzwischen die verschiedenen Varietäten des Deutschen meist als gleichwertig betrachtet. Einige Varietäten sind schon in Standardlexika wie dem Duden zu finden, seit 2004 sind die lexikalischen Unterschiede umfassender im Variantenwörterbuch des Deutschen dokumentiert und seit vergangenem Jahr arbeitet ein internationales Forscherteam an der Erstellung einer umfangreichen Variantengrammatik des Standarddeutschen.

Wie viel Deutsch vertragen die Lernenden?

Diese Nachschlagewerke können nicht zuletzt auch eine Hilfe für DaF-Lehrer/innen darstellen, die sich in ihrem Unterricht mit der Variation des Standarddeutschen beschäftigen wollen. Doch unter Linguisten und Lehrkräften ist noch umstritten, welche Rolle das Thema im DaF-Unterricht überhaupt spielen sollte: Reicht es, wenn Nicht-Muttersprachler eine einzige korrekte Form des Hochdeutschen lernen oder sollten sie für die Vielfalt der Varianten sensibilisiert werden? Welche Wörter und Strukturen sind für wen relevant? Kann man von Deutschlernenden aus aller Welt erwarten, dass sie die zahlreichen Varianten der deutschen Standardsprache verstehen oder gar aktiv verwenden? Und was würde das für die Lehrer/innen bedeuten, die wohl selbst niemals die komplette Bandbreite der deutschen Sprache beherrschen können?

Die Argumente der Kritiker sind leicht nachzuvollziehen: Manche befürchten, dass es die Lerner/innen überfordern könnte, wenn sie mehr als eine Variante der deutschen Sprache lernen sollen. Andere weisen darauf hin, dass man sich in der knappen Unterrichtszeit auf wichtigere Aspekte wie die Unterschiede zwischen geschriebener und gesprochener Sprache konzentrieren sollte. Und wieder andere sind überzeugt, dass selbst Muttersprachler die vielen Varianten des Deutschen in der Regel nicht beherrschen, so dass man dies von DaF-Lernenden - und -Lehrenden erst recht nicht erwarten kann.

Deutsch lernen mit Neuer Zürcher Zeitung und Österreichischem Rundfunk

Die Befürworter dagegen betonen, dass die Varianten schon allein aus sprachpolitischen Gründen auch über den landeskundlichen Kontext hinaus im Unterricht auftauchen sollten. „Natürlich ist Deutschland das Land mit der größten Sprecherzahl, und auch die meisten DaF-Lerner/innen kommen für Auslandsaufenthalte hierher. Dennoch sollten die Varianten einen Platz im Unterricht haben, denn sonst würde man den Sprechern der süddeutschen, österreichischen und schweizerischen Varianten des Standarddeutschen signalisieren: ‚Das Deutsch, das ihr sprecht, ist minderwertig‘“, meint etwa die Zürcher Germanistik-Professorin Christa Dürscheid, die auch an der Erstellung der Variantengrammatik beteiligt ist. Sie fordert die DaF-Lehrer/innen auf, ihre Kursteilnehmer/innen schon früh mit der Vielfalt des Standarddeutschen zu konfrontieren.

Dabei sollten die Lerner/innen in ihren Augen auch in die Lage versetzt werden, sowohl die Süddeutsche Zeitung (SZ) oder die tageszeitung (taz) als auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) oder die Wiener Kronen Zeitung zu lesen: „Alle Deutschlerner sollten schon früh ein Bewusstsein für die Variation des Standarddeutschen bekommen, damit nicht erst im Ausland der Praxisschock eintritt. Und man muss auch damit rechnen, dass es den einen oder anderen Kursteilnehmer nicht nach Berlin oder München, sondern nach Wien oder Zürich verschlägt.“ Gleichzeitig ist Dürscheid sich darüber bewusst, dass DaF-Lehrkräfte in ihrer Ausbildung bisher noch nicht genug darauf vorbereitet werden, solche Varianten zu vermitteln. Schon allein deshalb kann man in ihren Augen nicht erwarten, dass der aktive Gebrauch der Varianten, etwa in Rollenspielen, vermittelt werde. Das sei aber auch nicht unbedingt nötig. Wichtiger sei, dass die DaF-Lerner/innen um die Varianten wissen und eine rezeptive Kompetenz aufbauen.

Was kann der einzelne Lehrer tun?

Umstritten ist auch, ob die gängigen DaF-Lehrwerke überhaupt genug Material zum Thema Variation des Standarddeutschen bereithalten. Der Germanist Vít Dovalil, der sich mit soziolinguistischen Aspekten des Deutschen beschäftigt, ist überzeugt, dass in den Lehrwerken zumindest teilweise auf lexikalische und grammatische Unterschiede hingewiesen wird: „Da tauchen zum Beispiel die Begriffe Blumenkohl und Karfiol, Kartoffel und Erdapfel auf und auch Varianten wie Ich habe gestanden und Ich bin gestanden werden erwähnt“. Dürscheid meint aber: „Es gibt noch nicht genug praxisnahe Unterrichtseinheiten und -module, die von den Lehrern aufgegriffen werden können“

Doch selbst wenn ihnen die vorhandenen Lehrwerke ungeeignet erscheinen, haben Lehrer verschiedene Möglichkeiten, um die Problematik aufzugreifen: Sie können sich selbst mit entsprechenden Beispielen auseinandersetzen, die sie etwa in den Online-Versionen von österreichischen Zeitungen oder Schweizer Radioprogrammen, im Variantenwörterbuch oder in der entstehenden Variantengrammatik finden. Und natürlich haben sie es selbst in der Hand, ob sie Varianten des Standarddeutschen, die ihnen vielleicht selbst weniger vertraut sind, gegenüber den Lernenden abwerten oder nicht.

Wenn die DaF-Lehrer/innen selbst ihr Bewusstsein für die sprachliche Variation des Standarddeutschen schärfen und die Thematik stärker in ihrem Unterricht einbringen, unterstützen sie in jedem Fall die Bemühungen von Dürscheid und ihren Kollegen. Und folgt man dem Salzburger Germanistik-Professor Stephan Elspaß, dann können sie ihren Schülern damit sogar das Deutschlernen erleichtern. Er meint nämlich zum Beispiel, dass es für italienische und spanische Lerner/innen im Anfängerunterricht nicht notwendig sei, sich mit dem Erlernen des Rachen-Rs abzumühen. Denn das gerollte Zungenspitzen-R wird mindestens von einem Drittel der deutschen Muttersprachler verwendet und im gesamten deutschsprachigen Raum verstanden.

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