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Ein Riss geht durch Griechenland

Jannis Papadimitriou, Athen2. Juli 2015

Das bevorstehende Referendum zur Sparpolitik spaltet die griechische Gesellschaft: Hier die vermeintlichen Links-Spinner, dort die angeblichen Europa-Besessenen. Doch ihre Beweggründe sind vielschichtig.

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Griechenland Referendum Symbolbild
Bild: Getty Images/C. Furlong

Die Debatte wird in den letzten Tagen vor der Volksabstimmung immer leidenschaftlicher geführt - doch neu ist sie nicht: Wie steht Griechenland zum Rest Europas? Umfragen zufolge gehören die Griechen seit ihrem Beitritt zur damaligen Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1981 eigentlich zu den stärksten Befürwortern der europäischen Integration - nicht nur wegen der üppigen finanziellen Zuwendungen aus Brüssel, sondern auch, weil Europa traditionell als Anker der Stabilität in einer unruhigen Region gesehen und geschätzt wird. Doch in Krisenzeiten werden Isolationisten und Europa-Skeptiker auch in Griechenland immer lauter.

Mehr als 20.000 Menschen versammelten sich am Montag vor dem griechischen Parlament zu einer eindrucksvollen Kundgebung für das "Nein" beim bevorstehenden Referendum (Artikelbild) am kommenden Sonntag. Aus ihrer Sicht wäre dies ein "Nein" zu einer "von außen aufgezwungenen Austeritätspolitik" - und keine Aussage über die Euro-Mitgliedschaft Griechenlands. Zwei Tage später kam es erneut zu spontanen Demonstrationen gegen die Sparauflagen. Ursprünglich lagen die Nein-Sager zahlenmäßig vorne, doch mittlerweile deuten Umfragen auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen beim bevorstehenden Referendum. Für Spiros Koreas ist das ein Grund mehr, um auf die Straße zu gehen: "Wir wollen das eigene Leben zurückerobern und unserer Verarmung ein Ende setzen. Deshalb plädieren wir für ein stolzes Nein an diesem Sonntag", sagt der 50-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Welle. Ob er Angst hat, dass die kurzfristig einberufene Volksabstimmung und die hitzige Debatte um Griechenlands Zukunft in Europa die Menschen spalte? Der Mann lässt sich nicht beirren. "Freiheit ist nichts anderes als das Überwinden der Angst. Wer von Angst bestimmt wird, lebt in Sklaverei", donnert Koreas.

Griechenland Referendum Demonstration Nein-Befürworter
Demonstrant Koreas ist für ein "stolzes Nein"Bild: DW/J. Papadimitriou

Verweis auf eine kämpferische Vergangenheit

Die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern eines "Ja" und denen eines "Nein" beim Referendum wird äußerst emotional geführt. Dabei haben viele Demonstranten nicht nur die Zukunft Griechenlands, sondern auch ihre eigene stolze Vergangenheit fest im Blick: Der Kampf der Väter-Generation für mehr Demokratie in einem von Kriegen und Krisen gebeutelten Land. "Nein"-Aktivistin Sonja erinnert sich: "Im Juli 1965 hatte der Palast interveniert und eine demokratisch gewählte Regierung in Griechenland zum Sturz gebracht. Damals sind wir auf die Straße gegangen, um die Demokratie in diesem Land zu verteidigen. Wir hätten nie gedacht, dass fünfzig Jahre später, im Juli 2015, ausgerechnet die EU, die sich ja allzu gerne als Wiege der Demokratie feiert, genauso brüsk intervenieren wird."

Immer öfter hört man auf den Straßen Athens diesen historischen Vergleich und den Hinweis auf die "Iouliana", die dramatischen Ereignisse im Juli 1965: Damals brachte der junge König Konstantin die frisch gewählte Regierung des linksliberalen Politikers Giorgos Papandreou zu Fall - angeblich, um einem kommunistischen Aufstand zu verhindern. Es folgten Straßenkämpfe, eine politische Dauerkrise mit ständig wechselnden Regierungen und der grausame Militärputsch im Jahr 1967. Die "Iouliana" markierten damals den Anfang vom Ende der griechischen Demokratie und lieferten nicht zuletzt den Gründungsmythos für die Papandreou-Dynastie, die immerhin bis heute das politische Leben Griechenlands mitbestimmt. Will Links-Premier Alexis Tsipras daran anknüpfen, um als Held in die Geschichtsbücher einzugehen, selbst wenn er unfreiwillig die Macht abgibt?

Griechenland Tsipras Fernsehansprache
Tsipras: Wer für "Ja" stimme, mache sich mitschuldig an der Fortsetzung der SparpolitikBild: Reuters/C. Hartmann

"Wir demonstrieren für das Selbstverständliche"

Offenbar denken die "Ja"-Befürworter, die am Dienstag ebenfalls zahlreich zum Demonstrieren erschienen, in ganz anderen Kategorien. "Ich war seit Ewigkeiten nicht mehr auf einer Demonstration, aber diesmal wollte ich unbedingt mitmachen", sagt Vassiliki. Sie könne sich keinen anderen Weg vorstellen als ein "Ja" zu Europa. "Es geht hier um nichts Geringeres als die Zukunft unseres Landes", warnt sie. Als Anwältin hat es die zweifache Mutter zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Ihre Kinder erzieht sie liberal, mehrsprachig und pro-europäisch. Sie gehört zur Generation, die ein Europa ohne Grenzen als selbstverständlich wahrnimmt - und das will sie unter keinen Umständen aufs Spiel setzen. "Ich finde es einfach unglaublich, dass ich hier für das Selbstverständliche demonstrieren und kämpfen muss", empört sich die 44-Jährige.

"Ja"-Befürworter sprechen von einer Richtungswahl über die europäische Zukunft Griechenlands, die Gegenseite sieht in der Volksabstimmung lediglich eine Entscheidung über die jüngsten Sparvorschläge der Geldgeber. Der Kampf um die Deutungshoheit über das Referendum dauert an - und Regierungschef Alexis Tsipras will seinen eigenen Beitrag dazu leisten: Wer sich für das "Ja" entscheide, mache sich mitschuldig an der Fortsetzung der Sparpolitik, mahnte der Links-Politiker in einer TV-Ansprache am Mittwoch. Ein unglaublicher Vorgang, findet Schriftsteller Christos Chomenidis: "Dass ein Ministerpräsident den Wähler als schuldig bezeichnet, nur weil er seine Meinung nicht teilt, ist noch nie vorgekommen. Nicht einmal in einem autoritären Regime", empört sich Chomenidis im Interview mit dem TV-Sender Antenna.