Ein Preis für den Mut
12. Juni 2016Mit feuchten Augen trat der Preisträger Lew Schlossberg vor das Mikrofon: "Es ist heute Mut nötig, wenn man in Russland etwas sagt, dass der Staatsversion widerspricht."
Schlossberg selbst hat mehr als nur seine Meinung gesagt: Als Herausgeber einer Regionalzeitung berichtete er im Jahr 2014 als Erster über geheime Beerdigungen von russischen Soldaten, die in der Ukraine gefallen waren. In Russland war das ein Skandal, denn offiziell beteiligte sich das Land nicht am Ukraine-Krieg."Die Meinungsfreiheit, sie steht in der russischen Verfassung, aber in der Realität gibt es sie nicht mehr", so Schlossberg im Bonner Funkhaus der Deutschen Welle vor knapp 200 geladenen Gästen.
Vor dem Kreml erschossen
Hinter Schlossberg auf der Bühne prangt das Konterfei von Boris Nemzow in vierfacher Ausgabe. Der russische Oppositionspolitiker wurde am 27.02.2015 nur wenige Schritte vom Kreml entfernt erschossen. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt. "Opfer entstehen, wenn die Sprache des Staates zu Gewalt umschlägt", kommentierte Schlossberg Nemzows Tod. Auch er musste das am eigenen Leib erfahren, als ihn Unbekannte eines Abends auf dem Heimweg mit einem stumpfen Gegenstand bewusstlos schlugen. Er recherchierte weiter und bekam die nächste Quittung: Als Abgeordneter im Gebietsparlament wurde ihm das Mandat entzogen. Schlossberg sah darin eine politisch motivierte Entscheidung.
"Es sind traurige Zeiten, in denen wir leben", sagte auch Schanna Nemzowa, die älteste Tochter des ermordeten Boris Nemzow, über die Situation in Russland. Im November 2015 hatte die Journalistin der Russland-Redaktion der Deutschen Welle in Gedenken an ihren Vater eine Stiftung gegründet. Nun hat sie, in Kooperation mit der FDP-nahen "Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit", zum ersten Mal den Boris Nemzow Preis verliehen. Mit der Auszeichnung will Nemzowa fortan jeweils zum Tag Russlands, dem 12. Juni, Menschen ehren, die sich für Meinungsfreiheit und gegen Verfolgung einsetzen - auch und vor allem gegen Widerstand.
Abstimmung übers Internet
Ein Korruptionskämpfer, ein Häftlingsanwalt und ein Buchautor - Lew Schlossberg setzte sich am Ende gegen fünf Finalkandidaten durch. Die Bekannteste darunter war die vor Kurzem entlassene Soldatin Nadija Sawtschenko, die zwei Jahre lang in Gefangenschaft prorussischer Separatisten verbrachte. Der Nominierung von Schlossberg war ein mehrstufiger Abstimmungsprozess vorangegangen: Auf der Internetseite der Stiftung waren die Menschen aufgerufen, Kandidaten vorzuschlagen. Danach lief auch auf der Webseite der investigativen Moskauer Zeitung "Nowaja Gaseta" eine Abstimmung, an der mehr als 200.000 Menschen teilnahmen. Aus 46 ursprünglich eingereichten Namen wurden fünf Finalisten ausgewählt. Schlossberg war schließlich die Wahl eines sechsköpfigen Gremiums, dem auch die ehemalige deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger angehört.
In Richtung Schanna Nemzowa sagte Leutheusser-Schnarrenberger : "Das Vermächtnis ihres Vaters ist es, nicht aufzugeben. Heute ist es wieder nötig, sich für ein freies Russland einzusetzen." Dass die Meinungsfreiheit unter Wladimir Putin massiv gelitten und Russland starke autokratische Züge angenommen habe, darin waren sich alle geladenen Redner einig. Es existiere ein offensichtlicher Wille, nicht aufzuklären, wer Nemzows Mörder sind, sagte der ehemalige Menschenrechtsbeauftrage der Bundesregierung Markus Löning und appellierte: "Redet darüber, damit es nicht vergessen wird."
Gegen das Vergessen
Daran knüpfte Preisträger Lew Schlossberg dann auch in seiner Dankesrede an: "Der russische Staat will, dass wir Boris Nemzow vergessen." Deshalb sei der Preis nicht nur eine Auszeichnung für Mut, sondern auch für die Hoffnung auf ein Russland, indem Meinungs- und Informationsfreiheit wieder gelebt werden können. Sein Preisgeld von 10.000 Euro will Schlossberg deshalb an das Team 29 spenden - eine Gruppe von Bürgerrechtsjuristen, die es sich auf die Fahne geschrieben haben, gegen die staatliche Willkür vorzugehen - ganz im Sinne des Artikels 29 der russischen Verfassung. Demnach nämlich ist die Freiheit des Wortes und der Meinung garantiert.