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Das Militär greift nach der Macht

Viktoria Kleber18. Juni 2012

Noch ist der Muslimbruder Mohammed Mursi nicht offiziell als Präsident bestätigt, doch eines steht schon fest: Ägyptens nächster Präsident hat keine Macht, er darf nur repräsentieren - so will es das Militär.

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Wahlzettel der Präsidentenwahl (Foto: Reuters)
Wahlzettel der PräsidentenwahlBild: Reuters

Ramadan Ibrahim trotzt der Mittagssonne. Bei über 40 Grad steht er auf dem Tahrir-Platz in Kairo, die Schweißperlen rinnen ihm von der Stirn. Er tupft sie ab und schon sind sie wieder da - so heiß ist es. Doch das macht Ramadan Ibrahim, 62 Jahre, heute nichts aus. Um seinen Hals hat er sich ein Bild von Mohammed Mursi gehängt. "Allahu Akbar", schreit er, "Gott ist groß". Mit ein paar anderen Mursi-Anhängern hat er sich auf dem Platz versammelt. Sie tröten auf Trompeten, schwenken die ägyptische Fahne und schreien in Sprechchören ihrem neuen Präsidenten zu. "Gott wird uns seine Güte durch die Hände Mursis zeigen", brüllt Ramadan Ibrahim.

Alle Macht dem Militär, keine Macht dem Präsident

Doch noch ist der Muslimbruder Mohammed Mursi nicht im Amt bestätigt, erst am Donnerstag soll das offizielle Wahlergebnis bekanntgegeben werden. Heute jedoch steht schon fest: Ägyptens neuer Präsident wird nur wenig entscheiden können. Mit einer Erweiterung der Übergangsverfassung hat sich der Militärrat noch in der Nacht zum Montag (18.06.2012) nach Schließung der Wahllokale über den neuen Präsidenten gestellt.

Muslimbruder Mohammed Mursi Foto: EPA
Von seinen Anhängern zum Sieger erklärt: Mohammed MursiBild: picture-alliance/dpa

Feldmarschall Hussein Tantawi wird nun weiterhin die Kontrolle über die Armee behalten, nicht wie bislang der Präsident. Einen Krieg kann der Präsident nur dann erklären, wenn Tantawi zustimmt. Schwerwiegender ist, dass der Militärrat nun die Verfassung seinen Wünschen entsprechend gestalten kann. Zum einen kann er die verfassunggebende Versammlung auflösen, zum anderen so lange Einspruch erheben, bis er mit jedem Satz zufrieden ist. Außerdem verabschiedet der Militärrat nun selber Gesetze, so lange bis ein neues Parlament gewählt ist. Das kann noch dauern, mindestens neun Monate, denn zuerst muss die Verfassung geschrieben werden. Und der Präsident? "Er hat nur symbolischen Wert", sagt Abdul-Monem Al-Mahsat, Politik-Professor der Universität Kairo.

Mursi, die ägyptische Queen Elisabeth II.

Die Ägyptischen Revolutionäre vergleichen deshalb den Muslimbruder Mursi bereits mit der englischen Queen Elisabeth II. Im Internet werden Vorschläge gesammelt, wie der Präsidentenpalast in Ägypten wohl zukünftig aussehen mag, damit sich Mursi nicht langweilt. Wird es einen Spielplatz mit Riesenrutsche für ihn geben? Oder doch an jeder Ecke Eis- und Popcornstände?

Die Ägypter sind bekannt dafür, dass sie selbst in dunklen Zeiten ihren Humor nicht verlieren. Das gilt auch für den Aktivisten Shady Abdallah. Aber eigentlich ist dem 26-Jährigen zum Weinen zu Mute. Ein paar seiner Freunde der Jugendbewegung "6. April" sind gestern festgenommen worden. Vor Wahllokalen haben sie Bilder von toten Revolutionären hochgehalten, von Märtyrern, die für die ägyptische Revolution gestorben sind. Für die Polizei Grund genug sie zu verhaften. Das ist möglich durch das neue Notstandsgesetz, das der regierende höchste Rat der Armee (SCAF) vergangene Woche erlassen hatte. Shady Abdallah ist bereit weiterzukämpfen. Doch er befürchtet, dass die Revolutionäre nur noch eine kleine Minderheit sind. "Die Leute sind frustriert und müde", sagt er. Anderthalb Jahre haben sie die meiste ihrer Zeit auf der Straße verbracht. "Von Anfang an forderten wir Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Erreicht haben wir nichts."

Foto: Amr Abdallah Dalsh
Protest auf dem Tahrir-Platz: Anhänger der Muslimbrüder verbrennen ein Plakat des Gegenkandidaten Ahmed ShafikBild: Reuters

Ablenkungsmanöver: Ein politisches Großereignis nach dem anderen

Dass große Aufmärsche in den vergangenen Tagen ausblieben und auch heute am Tag danach der Tahrir-Platz überwiegend mit Mursi-Anhängern gefüllt ist, liegt aber auch daran, dass der Militärrat die Ereignisse geschickt geplant hat. Ein politisches Großereignis nach dem anderen hält Ägypten in Daueranspannung. Während alle gebannt auf die Präsidentenwahl schauten, wurden innerhalb von zweieinhalb Wochen mutmaßliche Mörder von Revolutionsanhängern freigesprochen, ein neues Notstandsgesetz erlassen, das Parlament aufgelöst und nun auch noch die Übergangsverfassung zu Gunsten des Militärs ausgebaut. "Das hat der SCAF so geplant", sagt Abdul-Monem Al-Mahsat. "Ich bin mir sicher, wenn das früher bekannt gegeben worden wäre, wären die Reaktionen anders gewesen."

Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi Foto: Amr Nabil
Sagt wo es lang geht: Mohammed Hussein TantawiBild: AP

Mursi gegen Shafik – der Gewinner heißt Tantawi

Noch am vergangenen Wochenende glaubten viele Ägypter, sie müssten nun eine Entscheidung zwischen dem Muslimbruder Mohammed Mursi und dem letzten Ministerpräsidenten unter Hosni Mubarak, Ahmed Shafik, treffen. Nicht auf dem Wahlzettel stand der Chef des Militärrats, Feldmarschall Hussein Tantawi. Doch er ist es, der nun in den nächsten Monaten Ägypten regieren wird. Mursi hat bereits angekündigt, dass er die Erweiterung der Übergangsverfassung nicht anerkennt. Seine Anhänger auf dem Tahrir-Platz hat er aufgerufen nicht zum feiern, sondern zum demonstrieren zu kommen.