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Buch über Dirigenten Schmidt-Isserstedt

8. Mai 2010

Kein Pultlöwe, keine Diva, aber ein Erfolgsmensch: Der Dirigent Hans Schmidt-Isserstedt hat das Musikleben in der Bundesrepublik jahrzehntelang geprägt und dirigierte Orchester in allen Erdteilen. Eine Biographie.

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Buchcover der Biographie "Hans Schmidt-Isserstedt" (Foto: Ellert und Richter Verlag)

Zu einer Zeit, als Musikinteressierte noch gebannt vor einem Ungetüm von Radio saßen und Konzertübertragungen lauschten - zu dieser Zeit war der 1900 geborene Hans Schmidt-Isserstedt so etwas wie eine "Marke", heute würde man sagen "brand". Das Musikleben im Deutschland der 50er Jahre war geprägt durch die Auftritte von Rundfunk-Sinfonie-Orchestern und ihren Dirigenten. In die Konzertsäle ging man, wenn man es sich leisten konnte, gut gekleidet und hoch gestimmt. Worte wie "CD" oder "Download" waren unbekannte, rätselhafte Chiffren am Horizont einer unbestimmten Zukunft.

Die Zeit des politischen und auch kulturellen Neubeginns lag erst wenige Jahre zurück, in der Musikszene hatte man sich nach Krieg und Zerstörung erst wieder neu erfunden. Wer über diese Phase – aber auch die Biographie des Musikers - mehr erfahren möchte ist mit dem Buch von Hubert Rübsaat gut beraten. Es ist äußerst spannend, am Beispiel des berühmten Dirigenten Hans Schmidt-Isserstedt zu lesen, wie nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland musikalisches Leben entstand, unter welchen Bedingungen Orchester neu gegründet wurden, welchen Schwierigkeiten Berufsmusiker sich ausgesetzt sahen.

Musikalischer Neubeginn

Hans Schmidt-Isserstedt bei einer Probe mit dem NDR-Sinfonieorchester (Foto: picture alliance/ dpa)
Das NDR-Sinfonieorchester probtBild: picture-alliance/dpa

1945 begann der einstige Meisterschüler von Franz Schreker eine zweite Karriere als Orchesterdirigent und Mitgründer des Sinfonieorchesters des Norddeutschen Rundfunks in Hamburg. Wie ein Lauffeuer sprach sich in Musikerkreisen herum, dass ein neues Ensemble entstehen sollte. Aus den verschiedensten Orten machte man sich auf den Weg: Einer kam zu Fuß aus dem Osten Deutschlands nach Hamburg und brachte im Kinderwagen seines Sohnes seine Geige mit. Ein anderer setzte sich von einem Kriegsgefangenen-Transport ab. In Internierungslagern hatten Musiker teilweise noch ihre Instrumente bei sich, vielfach geflickte, beschädigte, kaum noch gebrauchstüchtige Geigen, Bratschen oder Kontrabässe, und warteten sehnsüchtig auf Freilassung. Schmidt-Isserstedt sandte Rundschreiben in die Lager und organisierte Vorspielmöglichkeiten in Kneipen oder Scheunen.

Kein Frack, kein Essen

Doch auch die Lebensbedingungen der Glücklichen, die der Dirigent schließlich für Hamburg engagierte, waren zunächst schlecht. Es fehlte an Saiten für die Streicher, an Rohren und Blättern für die Blasinstrumente. Man spielte in Tarnanzügen, geflickten Hosen, löchrigen Schuhen und das Hungergefühl war ein ständiger Begleiter. So kam es vor, dass ein Musiker in einer anstrengenden Probe entkräftet vom Stuhl fiel. Gelegentlich gaben Hörer Lebensmittel ab – Würste oder geräucherten Fisch für die Musiker, und manchmal kam eine Spende Corned Beef von den britischen Besatzungsbehörden. Die Konzertsäle waren beschädigt oder zerstört, man spielte in Provisorien und zugigen Hallen.

Verfemte Musik

Neubeginn auch bei der Programmgestaltung: Wichtige Werke waren von den Nationalsozialisten aus den Konzertsälen verbannt und jahrelang nicht aufgeführt worden. Schmidt-Isserstedt sorgte dafür, dass Mahler, Mendelssohn, Tschaikowsky wieder gespielt wurden. Er selbst hatte nicht zu den Verfemten gehört, sondern hatte – obwohl kein Parteimitglied - Karriere gemacht, wurde 1943 sogar an die Deutsche Oper nach Berlin berufen, gab im Krieg Konzerte in Rüstungsbetrieben und in den von der Wehrmacht besetzten Ländern. Auch die Trennung von seiner ersten, jüdischen Frau 1935 wirft einen Schatten auf diesen Ausnahmemusiker. Schade, dass Buchautor Hubert Rübsaat diesem traurigen Kapitel so wenig Kritisches abgewinnen konnte.

Menuhin in Deutschland

Erster Höhepunkt dann am 29. Juli 1945: Yehudi Menuhin, weltberühmt, doch in Deutschland lange verfemt, kehrte zurück und trat auch zusammen mit dem gerade gegründeten NDR-Sinfonieorchester auf. Auf dem Programm: das Violinkonzert von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Der Rundfunk übertrug das Konzert. Beifallsstürme. Das Publikum war begeistert.

Reisen um die Welt

Der Komponist und Dirigent in einer undatierten Aufnahme. Schmidt-Isserstedt war von 1945-71 Chef des NDR-Sinfonieorchesters. Er wurde am 5. Mai 1900 in Berlin geboren und ist am 28. Mai 1973 in Holm (bei Wedel) gestorben. (Foto: picture alliance/ dpa)
Hans Schmidt-IsserstedtBild: picture-alliance/dpa

Mit der Konsolidierung der jungen Bundesrepublik konnte auch der Konzertbetrieb allmählich auf solide Beine gestellt werden. Schmidt-Isserstedt dirigierte an der Hamburger Oper, wurde Mitgründer und Professor an der dortigen Musikhochschule, nahm die ersten Schallplatten auf, tourte durch Deutschland und war als "musikalischer Botschafter" auf den Bühnen internationaler Konzerthäuser zu Gast. 1961 zum Beispiel unternahm das NDR-Sinfonieorchester unter seiner Leitung als erstes westliches Ensemble eine zweiwöchige Reise in die damalige Sowjetunion.

Trotz all seiner großen Erfolge blieb der Dirigent – wie Autor Rübsaat schreibt – bescheiden und zurückhaltend, ein bei seinen Musikern beliebter und humorvoller Chef. Ein "Pultlöwe" sei der 1973 gestorbene Schmidt-Isserstedt nie gewesen.

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Gudrun Stegen

Hubert Rübsaat:"Hans Schmidt-Isserstedt"

Ellert und Richter Verlag

ISBN 978-3-8319-0350-4

168 Seiten mit 46 Abbildungen und einer CD, € 19,95