Krankenhaus für die Kunst
17. Juli 2012Es duftet nach frischen Blumen. Die Luft ist warm und feucht. Im zweiten Stock des St. Josef-Krankenhauses in Königswinter bei Bonn riecht es wie in einer Gärtnerei. In einem Raum am Ende des Flures ist der Boden mit Erde bedeckt, Pflanzen wachsen, Grabkerzen sind aufgestellt, an den Wänden hängen Bilder von einer Frau. Zu sehen ist die Ehefrau des Mannheimer Künstlers Günter Karl. Sie ist vor anderthalb Jahren gestorben. Karl hat hier einen Kunstraum und zugleich einen Trauerraum eingerichtet, um an seine Frau zu erinnern und ihren Tod zu verarbeiten. "Ich konnte vor einem Jahr nicht mal einen Pinsel heben oder mit einem Bleistift mal eine Zeichnung machen", erinnert sich Karl. "Ich war wie gelähmt damals. Ich konnte nicht mehr arbeiten." Mit seiner verstorbenen Frau sei er 39 Jahre zusammen gewesen. Inzwischen geht es Günter Karl wieder besser - und sein Kunstprojekt im Krankenhaus St. Josef in Königswinter hat ihm dabei geholfen.
Sechs Etagen, 4000 Quadratmeter, 100 Künstler
Das Krankenhaus St. Josef ist kein gewöhnliches Krankenhaus - es ist ein Kulturkrankenhaus. Im Sommer vergangenen Jahres zogen Patienten, Ärzte und Krankenschwestern in ein neues Gebäude. Das alte Gebäude steht seitdem leer und wartet auf den Abriss. Da kam der Künstler Helmut Reinelt auf die Idee, den riesigen Bau für ein Kunstprojekt zu nutzen. Nach einiger Überzeugungsarbeit stimmte auch der Krankenhausbetreiber zu, erzählt Reinelt. "Dann habe ich andere Künstler gefragt, ob sie Lust haben, mitzumachen." Durch Mundpropaganda verbreitete sich die Nachricht.
"Endstation - St. Josefs letzter Sommer" heißt das Kunstprojekt, das dabei herausgekommen ist. Mittlerweile machen über 100 Künstler mit. Auf über 4000 Quadratmetern Fläche, auf sechs Etagen malen, bauen und gestalten sie die Räume um. Zusätzlich gibt es mehrmals in der Woche Konzerte, Lesungen oder Theateraufführungen. Kostenlos. "Wir finanzieren uns selber, es gibt keinerlei staatliche Zuschüsse bisher. Jeder, der hier mitmacht, leistet einen Beitrag, ein Startgeld." Pro Person sind es 35 Euro. Mit diesem Budget wird alles finanziert, was nötig ist.
Krankheit, Tod, Aufbruch ins Unbekannte
Aus dem sterilen Krankenhaus ist mittlerweile ein bunter Ort der Kunst geworden. Die ehemals sterilen, gleichförmigen Räume haben einen individuellen Charakter bekommen. Und nicht nur die Künstler beeinflussen das Gebäude, auch umgekehrt beeinflusst das Krankenhaus die Arbeit der Künstler. Regine Kleiner und Andrea Goost haben den ehemaligen Leichenkeller des Krankenhauses umgestaltet. Ihre Deckenmalerei erinnert an einen Himmel, die Wände sind meerblau angestrichen. In den Fächern des Leichenkühlschranks haben sie Kohle und Salz ausgebreitet als elementare Bestandteile des Lebens. "Das Meer hat etwas vom Aufbruch ins Unbekannte, ins Ungewisse", erklärt Regine Kleiner. "Das Schiff auf dem Seziertisch ist das Instrument für den Übergang. Und Meer und Himmel suggerieren Weite, die einen Kontrast bilden soll zu diesem Raum."
Viele Künstler haben Themen wie Leben, Tod und Krankheit bewusst gewählt. Helmut Reinelt freut sich über die Wechselwirkung zwischen Kunst und Gebäude. Er betont jedoch, dass die häufige Auseinandersetzung mit dem Tod bei dem Kunstprojekt Zufall ist. "Wir haben das nicht beabsichtigt. Auch die Bezeichnung Endstation hat weniger mit dem Tod zu tun als vielmehr damit, dass auch das Gebäude keine Zukunft hat."
Im Herbst wird das Gebäude abgerissen. So lange können die Künstler dort weiterarbeiten. Manche Räume werden schon bald wieder anders aussehen als jetzt. Das ganze Kunstprojekt ist ein Prozess, auch der Trauerraum von Günter Karl. Er will ihn umgestalten, mehr Farbe reinbringen, ihn fröhlicher machen. Der Raum soll Karls Stimmung wiedergeben. Und die ist jetzt schon viel heller.