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Ein Handlanger des Mordes

30. November 2009

Im Prozess gegen John Demjanjuk geht es nicht um Rache oder Gnade, sondern um Verantwortung, meint Cormelia Rabitz. Und die endet ebensowenig mit der Pensionsgrenze wie das Leiden der Opfer.

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Bild: DW

Sobibor - im besetzten Polen gelegen - war ein nationalsozialistisches Vernichtungslager, eine Todesfabrik, ausschließlich dazu bestimmt, Juden zu ermorden. Bis zu zweitausend Menschen täglich sind hier in den als Duschräumen getarnten Gaskammern umgekommen. 250 000 insgesamt sollen es gewesen sein. Wachmänner trieben die Opfer aus den Zügen, von der Rampe zu den Gaskammern, sie bedienten die Vorrichtung zur Einleitung des tödlichen Kohlenmonoxyds, verscharrten die Opfer in Massengräbern und reinigten die Gaskammern für die nächste Mordaktion.

Beweislage stützt die Anklage

Cornelia Rabitz (Foto: DW)
Cornelia RabitzBild: DW

Einer von diesen Helfershelfern war der gebürtige Ukrainer John Demjanjuk. Er soll zwischen März und September 1943 an der Ermordung von mindestens 29.000 Juden beteiligt gewesen sein. Sein mörderisches Handwerk hat er, wie Dokumente beweisen, zusammen mit anderen Kollaborateuren - so genannten "Hilfswilligen" - in einem SS-Ausbildungslager erlernt. Dass er zuvor Kriegsgefangener der deutschen Wehrmacht war und sich aus Angst um sein eigenes Überleben dafür zur Verfügung stellte, mindert seine Schuld nicht. Demjanjuk leugnet die Vorwürfe hartnäckig. Er will nichts gewusst haben von dem, was in Sobibor – und später in Majdanek und Flossenbürg - geschah. Ein Cousin soll es gewesen sein. Er selbst sei lediglich Kriegsgefangener gewesen. Das ist angesichts der Beweislage, aber auch vor dem Hintergrund historischer Erkenntnisse wenig glaubwürdig.

Demjanjuk war wohl eher ein Handlanger, ein Rädchen im Räderwerk der großen Mordmaschinerie. Es hat sicher größere Verbrecher gegeben. Viele von ihnen wurden nie zur Rechenschaft gezogen - ein Versagen der deutschen Justiz. Mit dem Verfahren in München hat nun einer der letzten NS-Prozesse in Deutschland begonnen, ein Prozess gegen einen mittlerweile 89 Jahre alten - vielleicht kranken - Mann. Einen Greis ohne Einsicht. Der Gnade verlangt, wo noch nicht einmal Schuld festgestellt worden ist.

Der Ausgang des Prozesses ist ungewiss

John Demjanjuk bekommt ein rechtsstaatliches Verfahren, in dem Rücksicht genommen wird auf Alter und Gesundheitszustand des Angeklagten. Es wird zweifellos ein schwieriger, langwieriger, vielleicht auch zäher Prozess, dessen Ausgang ungewiss ist. Das Problem wird sein, ihm eine individuelle und konkrete Schuld nachzuweisen. Und ob Demjanjuk dann ein deutsches Gefängnis von innen sehen wird, dürfte äußerst zweifelhaft sein. Ist das Verfahren deshalb überflüssig? Keineswegs! Nicht allein wegen des Grundsatzes, dass Mord niemals verjährt. Die deutsche Justiz macht mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Ende des Nazi-Terrors klar: Niemand, der dem NS-Regime als Mordgehilfe oder anders zu Diensten war, darf heute so einfach davonkommen. Alter allein schützt vor einem Schuldspruch nicht. Das Münchner Verfahren ist auch ein Zeichen des Protests gegen Unmenschlichkeit und Barbarei.

Wichtiger noch ist das Signal, das von diesem Verfahren an die überlebenden Opfer und ihre Angehörigen ausgeht: Es ist ein Dienst an Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde, unabhängig davon, ob schließlich eine Strafe über Demjanjuk verhängt wird. Qual, Entsetzen und Traumatisierung begleiten die Opfer bis an ihr Lebensende. Die Verantwortung für das Leid aber, das ihnen angetan wurde, endet nicht mit dem Erreichen der Pensionsgrenze.

Autorin: Cornelia Rabitz
Redaktion: Martin Muno/Michael Borgers