Künstler als Hausbesetzer
29. August 2009Ein Hinterhof in der Hamburger Innenstadt, wenige hundert Meter von Jungfernstieg und Binnenalster entfernt: Bis vor kurzem parkten hier noch Autos, die historischen Gebäude rundherum standen leer. Jetzt pulsiert hier das Leben: Eine Bar wurde aufgebaut, es gibt Infostände, ein Klaviertrio hält eine öffentliche Probe ab. Im engen Hofeingang drängen sich die Besucher, sie wollen sich die Kunst anschauen, die 200 Künstler über Nacht in den leer stehenden Wohnungen und Fabriketagen installiert haben – die meisten von ihnen haben sonst kaum Gelegenheit, ihre Arbeiten auszustellen.
"Hamburg brüstet sich damit, eine angebliche Talentstadt zu sein und viel zu tun zur Förderung der Kunstszene. Komisch, dass davon bei uns nichts ankommt", fasst Michael, der seinen Nachnamen nicht nennen will, die Situation zusammen. "Es gibt akuten Mangel an Arbeitsräumen für alle Arten von Kreativschaffenden."
Attraktion für ehemalige Einwohner
Michael ist Sprecher der Künstlerinitiative "Komm in die Gänge". Unter der Schirmherrschaft des Malerstars Daniel Richter haben sich die Mitglieder Zugang zu den jahrelang verschlossenen Häusern des Gängeviertels verschafft, die zu den letzten original erhaltenen Altbauten in der Hamburger Innenstadt gehören. Seitdem reißt der Besucherstrom in dem fast vergessenen Viertel nicht mehr ab. Auch viele ehemalige Einwohner des Gängeviertels finden nun wieder den Weg hierher, zeigen alte Fotos und berichten von ihrem Leben hier.
Der holländische Investor Hanzevast wollte diesen Sommer mit den Bauarbeiten im Gängeviertel beginnen: 80 Prozent der Gebäude sollten abgerissen werden, nur die Fassaden zum Teil erhalten bleiben. Währenddessen suchen junge Künstler in Hamburg verzweifelt nach Arbeits- und Ausstellungsräumen – wie David Radon, der dieses Jahr aus Dortmund an die Elbe gekommen ist. Er hat in Dortmund noch ein Atelier: "Das ist recht einfach zu bekommen und auch bezahlbar." Doch in Dortmund sieht er für sich als Künstler keine Zukunft: "In Hamburg wird auch Kunst gekauft, und die Leute sind auch bereit, einen angemessenen Preis dafür zu zahlen."
"Keine Randalierer"
Seine Wohnung in der Hansestadt ist teuer genug, so dass Radon sich kein Atelier mehr leisten kann. Nach Berlin, das wegen der günstigeren Lebenshaltungskosten auch schon lange viele Hamburger Künstler anzieht, wollte er aber nicht gehen: "Berlin ist mir momentan ein bisschen zu schnell und zu groß."
Die Besetzung des Gängeviertels verläuft ruhig und rücksichtsvoll: Man achtet darauf, bei Konzerten nicht zu laut zu sein, räumt den anfallenden Müll weg und bemalt die Hausfassaden nicht – und punktet damit bei den Offiziellen wie bei Kultursenatorin Karin von Welck: "Ich hab Sympathie und Verständnis für die Besetzer. Sie sind keine Randalierer, sondern ganz vernünftige Leute."
Hoffnung auf den "fabelhaften Mäzen"
Eine Duldung ist mittlerweile von der Stadt ausgesprochen, die Erdgeschossräume dürfen für Ausstellungen genutzt werden. Immobilienbesitzer kommen auf die Kulturbehörde zu und bieten leer stehenden Raum zur Zwischennutzung an. Bis Ende des Jahres wird sich entscheiden, ob der Investor sich aus dem Gängeviertel zurückzieht. Für den Fall hat die Kultursenatorin einen Traum – wenn auch keinen sehr realistischen: "Dann kommt ein fabelhafter Mäzen, übernimmt das alles und baut das so, wie sich Künstler und Denkmalschützer das vorstellen."
Binnen weniger Tage ist bereits eine kleine Oase im Herzen der Stadt entstanden. Für die Künstler wird hier ein Hamburger Sommermärchen wahr – genauso wie für das Gängeviertel, das heute fast wieder so lebendig wirkt wie vor hundert Jahren. Allerdings bleibt der Herbst abzuwarten. Dann wird es hier auch wieder so kalt und zugig wie vor hundert Jahren, und einmal mehr haben die Künstler nur vorübergehend einen Platz gefunden.
Autor: Dirk Schneider
Redaktion: Aya Bach