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'Friedhof für alle Opfer'

Das Interview führte Steffen Leidel4. November 2008

Der im spanischen Bürgerkrieg ermordete Federico García Lorca soll exhumiert werden. Doch die Familie des weltberühmten Dichters ist dagegen. Die Gründe erklärt die Großnichte Laura García Lorca im Exklusiv-Interview.

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Laura García Lorca, die Großnichte von Federico García Lorca (Quelle: Fundación García Lorca)
Laura García Lorca: 'Der Ort sollte nicht gestört werden'Bild: Fundación García Lorca

DW-WORLD.DE: Die Familie Lorca war bislang stets gegen eine Exhumierung der Überreste des Poeten. Hat sich nach der Entscheidung des Ermittlungsrichters Garzón, neben 18 anderen Grabstellen auch das von García Lorca auszuheben, Ihre Haltung geändert?

Laura García Lorca: Nein, wir bleiben bei unserer Haltung. Was wir sagen, ist, dass wir uns nicht einer richterlichen Anordnung widersetzen werden und wir wollen auch keinen Streit mit den anderen Familien, die die Gebeine ihrer Angehörigen bergen wollen. Ich denke, dass beide Positionen, die der Familien, die für eine Exhumierung sind, und unsere, legitim und verständlich sind. Wir wollen aber, dass unsere Position gehört wird.

Aber ist das nicht doch eine Änderung ihrer Meinung, wenn Sie sich jetzt dem richterlichen Beschluss widerstandslos beugen und eine Exhumierung gestatten?

Nein, ich bestehe auf der Feststellung, dass sich nichts an unserer Haltung geändert hat. Wir haben niemals um die Exhumierung Lorcas gebeten und es hat sich auch niemand, nicht einmal die Vereinigung zur Wiederherstellung des Historischen Gedächtnisses, mit uns in Verbindung gesetzt. Die Situation hat sich insofern verändert, dass es eine Anordnung des Richters gibt, 19 Massengräber zu öffnen.

Einer der Neffen des Dichters, Manuel Fernández Montesinos, hat kürzlich für öffentlichen Wirbel gesorgt, als er erklärte, dass eine Exhumierung einer Entweihung gleich komme. Er erwäge juristische Schritte gegen eine solche Entscheidung. Damit widerspricht er doch Ihrer Darstellung. Sind die Nachkommen Lorcas gespalten?

Nein, wir sind zusammengekommen, um uns über diese Angelegenheit, die uns alle betrifft und besorgt, auszutauschen. Wir veröffentlichten danach eine Erklärung, die von allen sechs leiblichen Großneffen unterzeichnet wurde. Das ist die Position der Familie. Als Manuel Fernández Montesinos diese Äußerung machte, sprach er in eigener Sache. Wir sind danach noch einmal zusammengekommen und wir bleiben bei unserer Entscheidung, uns einer richterlichen Entscheidung nicht zu widersetzen, aber wir erklären auch, warum wir gegen eine Exhumierung sind.

Was ist Ihr Hauptargument?

Für uns ist der Ort zwischen Víznar und Alfacar ein Friedhof. Es gibt dort ein Massengrab, in dem bis zu 3000 Hingerichtete ruhen sollen. Die Vorstellung, nur die Gebeine von einigen und nicht die von allen zu bergen, ist schrecklich. Man kennt nicht einmal die Namen der Toten. Wenn wir von Würde sprechen, müssen wir erst einmal wissen, wer die Toten sind. Sie brauchen einen Namen. Der Name ist der erste Schritt für eine Würdigung, nicht die sterblichen Überreste.

Sie haben erklärt, Sie fürchteten sich vor einer Öffnung. Warum?

Zum einen wird dieser Ort verunstaltet. Es ist ein Ort des Gedenkens für alle Hingerichteten, sie verdienen den gleichen Respekt. Die Überreste einiger anonymer Personen erst auszugraben, um sie dann wieder in das Massengrab zu legen, ist in gewisser Weise pervers. Zum anderen fürchten wir, dass das ganze ein unkontrollierbares Medienspektakel wird.

Es gibt einen Ort an der Landstraße von Víznar, wo unter einem Olivenbaum Lorca und die drei anderen Toten, die beiden Gewerkschafter und der Dorfschullehrer, verscharrt worden sein sollen. Der irische Historiker Ian Gibson hatte dafür einen Zeugen genannt. Glauben Sie wirklich, dass Lorca dort liegt?

Wir wissen es schlicht und ergreifend nicht. Es gibt viele Zweifel. Es gibt noch einen anderen Ort, nur 450 Meter weiter weg, wo die Grabstelle vermutet wird.

Würden Sie nicht gerne wissen, wo die Gebeine Ihres Großonkels liegen?

Nein, dieser Ort ist ein Friedhof, ein Ort des Gedenkens, der an die schrecklichen Verbrechen erinnert, die in Spanien begangen wurden. Es ist ein Friedhof für alle Opfer.

Was würden Sie mit den Überresten machen, wenn Sie gefunden werden?

Wir wollen Sie dort lassen. Federico ist dort in guter Gesellschaft. Seine Präsenz an diesem Ort hilft an die Präsenz der anderen zu erinnern. Wir hätten uns gewünscht, dass der Ort nicht gestört wird.

Und was ist, wenn nichts gefunden wird? Fürchten Sie das?

Das ist gut möglich. Es ist viel Zeit vergangen. Experten sagen uns, dass Sie nicht wissen, in welchem Zustand die Überreste sind. Man weiß es nicht.

Laura García Lorca de los Ríos ist die Tocher von Francisco García Lorca, Bruder des Poeten. Die Schauspielerin leitet die Stiftung García Lorca in Madrid.