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Ein Dorf wehrt sich

Kate Laycock /db6. Juli 2012

Susya ist ein Symbol für Tausende Palästinenser geworden, die aus den von Israel besetzen Gebieten im Westjordanland vertrieben werden sollen. Das Dorf soll zerstört werden. Doch die Bewohner kämpfen.

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Zelt mit Graffitti in Susya
Bild: Guy Butavia

In den vergangenen 25 Jahren wurde Susya, mitten im Westjordanland gelegen, bereits viermal zerstört. Nun steht das fünfte Mal an: Am 14. Juni gab die israelische Zivilverwaltung den Befehl, circa 50 Gebäude abzureißen - dazu gehören Zelte, Pferche für die Schafe und Ziegen der Dorfbewohner, Wasserspeicher sowie etliche aus deutscher Hand finanzierte Solareinheiten. Gerade ist eine einstweilige Verfügung abgelaufen, der Abbruch kann nun jeden Tag beginnen.

Die palästinensische Bevölkerung und die jüdischen Siedler in dem sogenannten C-Gebiet der Westbank beobachten gespannt das Geschehen um Susya. C-Gebiete, entstanden im Zuge des Oslo-Friedensprozesses von 1993, machen 60 Prozent des Westjordanlandes aus und stehen vollständig unter israelischer Zivil- und Militärverwaltung.

Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge leben etwa 150.000 Palästinenser in diesem Gebiet. 70 Prozent der C-Gebietsfläche dürfen nicht von Palästinensern bebaut werden; auf 29 Prozent der Fläche ist die Bebauung deutlich eingeschränkt. Mittlerweile stehen mehr als 3.000 Abrisse an, unter anderem von Schulen.

Die Zonen-Zugehörigkeit entscheidet

"Susya ist tatsächlich so eine Art Musterdorf im C-Gebiet", so die palästinensische Anwältin Quamar Mishirqi-Asad im Gespräch mit der Deutschen Welle. Alle Anordnungen, so Quamar Mishirqi-Asad, bewiesen, dass Israel gezielt Palästinenser aus den C-Gebieten zu vertreiben versuche. Mishirqi-Asad ist Christin, vertritt aber das Dorf Susya im Auftrag der jüdischen Nichtregierungs-Organisation "Rabbis für Menschenrechte". Die Abrisspolitik der Zivilverwaltung ist für die Anwältin "eine zusätzliche Möglichkeit, die Leute aus den C-Gebieten in die A- und B-Gebiete zu zwingen."

Israel wolle eine "Palästinenser-freie Zone" kreieren, fürchtet Mishirqi-Asad. Daher habe ein Großteil der Palästinenserdörfer in C-Gebieten keinen Zugang zu Strom, fließend Wasser und anderen grundlegenden Dienstleistungen. Im Fall von Susya, betont die Anwältin, könne man die offensichtliche Dringlichkeit der israelischen Abrisspläne mit einem Blick auf die Landkarte erklären. "

Susya, landschaft und Zelte
Das Zeltdorf Susya, 15 kilometer südlich von HebronBild: Kate Laycock

Interessen jüdischer Siedler haben Vorrang

Da ist Susya", sagt Mishirqi-Asad und zeigt auf eine zerfledderte Karte, die in ihrem Büro an der Wand hängt. Man sieht zwei Linien auf beiden Seiten des Dorfes; die eine markiert den Verlauf der israelischen Sperranlage, die andere markiert eine alternative Route, die es in der Realität noch nicht gibt. "Wir konnten nicht verstehen, warum die Regierung sich wegen ein paar karger, vom Wind gepeitschter Hügel so stur stellte", spöttelt Arik Ascherman, Rabbi und Kollege von Mishirqi-Asad. "Aber wenn man sich eine Karte anschaut, wird es plötzlich klar."

Wenn Susya und die Nachbardörfer erst einmal verschwunden seien, erklärt der Rabbi, "gibt es eine schmale Palästinenser-freie Landzunge, die sich bis nach Kirjat Arba, einer der größten jüdischen Siedlungen, erstreckt.

Jüdische Siedlungen mit ihren typischen roten Dächern sieht man überall in den C-Gebieten. 1983 errichteten Israelis eine Siedlung neben dem Palästinenserdorf Susya, zu der Zeit nicht mehr als eine Ansammlung von Steinhöhlen. Innerhalb von drei Jahren waren die Höhlen als jüdische archäologische Zonen identifiziert und die Bewohner vertrieben. Seitdem leben die Palästinenser auf ihren traditionellen Weidegründen in behelfsmäßigen Zeltbauten, nur wenige hundert Meter von den Siedlern entfernt.

Rote Dächer überall

Im Februar 2012 tat sich die jüdische Siedlung, die auch Susya heißt, mit der zionistischen Organisation Regavim zusammen und ersuchte den Obersten Gerichtshof Israels, den sofortigen Abriss des gleichnamigen Palästinenserdorfes zu fordern. Der Erfolg dieser Petition schafft jetzt einen Präzedenzfall für Ersuche gegen Palästinenserdörfer in A-Gebieten. Hervorzuheben ist die Tatsache, dass die palästinensischen Dorfbewohner in der Petition als "Eindringlinge" bezeichnet werden, eine "illegale Vorposten"-Terminologie, die bisher lediglich auf jüdische Siedlungen angewendet wurde, die ohne Regierungserlaubnis gebaut wurden.

Jüdisches Susya
Vom palästinensichen Dorf sieht man auf die gleichnamige jüdische Siedlung SusyaBild: Kate Laycock

Wie Mishirqi-Asad verweist auch Ari Briggs auf die Landkarten, um den Streit um Susya zu erklären. Der Sprecher der Regavim klappt seinen Laptop auf und zeigt auf ein detailliertes Satellitenbild mit den beiden Susyas - das palästinensische Susya, daneben die jüdische Siedlung Susya. Das nächste Bild zeigt den gleichen Ausschnitt, ist aber eine Aufnahme von 1999. Hier sieht man keine palästinensischen Behausungen - der Beweis, so Briggs, dass "diese Leute sich wie Hausbesetzer hier niedergelassen haben, um das Land für sich zu beanspruchen."

Das habe alles die palästinensische Autonomiebehörde organisiert, klagt Briggs im Interview mit der DW. "Sie sieht sich selbst in einer schwachen Position in den C-Gebieten und versucht daher, so viel Land wie nur möglich zu besiedeln. Wenn es dann zu endgültigen Verhandlungen kommt, und man sieht all diese arabischen Dörfer - neue arabische Dörfer, die sie als alteingesessen ausgeben - soll sich das auf die Verhandlungen auswirken."

Ein Satellitenbild ist jedoch nur eine Momentaufnahme. Stellt man diese Aufnahme in einen größeren Zusammenhang, sieht alles ganz anders aus. 1998 wurden 113 Bauten in Susya demoliert. Der weiße Fleck auf dem Bildschirm ist nicht so sehr ein Beweis für etwas, das nie existiert hat, als ein Bild des Zustandes, der bald wieder zu sehen sein wird.

Wir werden nie weggehen

Im Palästinenserdorf Susya ist Islam Shakhdeh Nawajeh mittlerweile schon seit fünf Uhr auf den Beinen. Wie alle Frauen im Dorf beginnt sie den Tag mit dem Ausmisten der Schafställe, sie backt Brot und kümmert sich um die Kinder. Nach dem Frühstück macht sie sich auf den Weg zu den Olivenbäumen - immer auf der Hut, nicht die unsichtbare Grenze zwischen dem Palästinenserdorf und der israelischen Siedlung auf dem Hügel zu überqueren.

Es ist heiß, gegen Mittag ist Islam durstig. Seit Monaten hat es nicht mehr geregnet. Der Eimer muss lange fallen ehe man hört, wie er mit einem Klatschen ins Wasser am Grunde des Brunnens fällt. Hier ist das Leben hart, aber sie kennt es nicht anders. "Susya bedeutet mir alles. Selbst wenn die israelische Armee weiterhin unsere Häuser abreißt, bleiben wir mit diesem Land verwurzelt."

Islam Nawajeh
Islam Nawajeh hat fünf Kinder, das jüngste ist erst 13 Monate altBild: Kate Laycock

Vor Islams Zelt steht Ibrahim Nawajeh mit seiner Videokamera. Die Speicherkarte ist voller Interviews mit den Nachbarn. Bald stellt er das alles online, gibt seinem Ort eine Stimme. In jedem Interview stellt der 26-Jährige die gleichen Fragen: "Was bedeutet Heimat für Dich?" und "Was machst Du nach dem Abriss?" Ibrahims eigene Antworten sind mit denen seiner Nachbarn identisch: "Ich kann Susya nicht verlassen, denn Susya hat einen besonderen Platz in meinem Herzen."

Sorgen mache er sich schon, betont Ibrahim. "Ich habe schon einen Abriss miterlebt, hier in Susya", sagt er leise. Damals hat es zehn Familien getroffen, die in ein Dorf im nahegelegenen A-Gebiet gezogen sind. Sie seien nie zurückgekehrt, sagt Ibrahim: "Ich habe Angst um Susya."