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Dündar: "Kein Vertrauen in türkische Justiz"

Phil Gayle (das) 16. August 2016

Nach seinem Rücktritt vom Posten des Chefredakteurs der oppositionellen türkischen Zeitung "Cumhuriyet" spricht Can Dündar im DW-Interview über seine Gründe, die Türkei zu verlassen. Seinen Aufenthaltsort hält er geheim.

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Der türkische Journalist Can Dündar (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/O. Orsal

DW: Wieso sind Sie von Ihrem Posten als Chefredakteur der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" zurückgetreten?

Ich habe kein Vertrauen mehr in die türkische Justiz. Seit dem Putschversuch im vergangenen Monat wird sie kontrolliert. Es wäre also Unsinn, unter diesen Umständen auf Gerechtigkeit zu warten. Daher habe ich mich entschieden, von meinem Posten zurückzutreten und das Land zeitweilig zu verlassen - und dann abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln.

Was sind Ihre Beweise dafür, dass das Rechtssystem in der Türkei nicht unabhängig ist, sondern kontrolliert wird?

Es gibt mehrere Anzeichen dafür. Zum Beispiel: Das Erste, was sie (die Machthaber) nach dem gescheiterten Putsch-Versuch getan haben, war, zwei Mitglieder des Verfassungsgerichts festzunehmen, die unsere Freilassung entschieden hatten. (Anm. d. Red.: Can Dündar und sein Kollege Erdem Gül wurden zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.) Das war für uns ein wichtiges Signal. Wir wollten am Obersten Gericht Berufung einlegen - doch dessen Struktur wurde nach dem Putschversuch verändert.

Außerdem wurden mein Pass und jene von Hunderten anderen Journalisten-Kollegen für ungültig erklärt, um uns daran zu hindern, das Land zu verlassen. Und der Staatsanwalt, der unsere Verhaftung gefordert hat, ist jetzt Oberstaatsanwalt von Istanbul. Es wäre Unsinn, unter diesen Bedingungen in die Türkei zurückzukehren.

Was glauben Sie, was Ihnen passieren würde, wenn Sie in die Türkei zurückkehren?

Ich wäre hinter Gittern - für wie lange, weiß ich nicht. Und das ist nicht der einzige Fall, wo jemand wegen eines wahrhaftigen Berichts verhaftet wird. Ich wurde zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt wegen eines Berichts über illegale Waffenlieferungen türkischer Geheimdienste an Syrien - mit der Begründung, dass es sich um ein Staatsgeheimnis gehandelt habe. Dies ist keine echte Justiz mehr - vor Gericht müssen wir uns mit der Regierung auseinandersetzen.

Sie gehen also nicht in die Türkei zurück - wo sind Sie denn zurzeit?

Ich werde versuchen, anderswo ein neues Leben zu finden - zumindest, bis der Ausnahmezustand wieder aufgehoben ist. Bis dann wäre es für mich aber sehr gefährlich, in mein Land zurückzukehren.

Was ist mit Ihrer Familie, Ihren Verwandten - sind Sie in Kontakt mit Ihnen?

Das ist ein anderes Problem. Einige Verwandte von Journalisten sind sozusagen zu Geiseln der Regierung geworden. Für sie wäre es also nicht gerade einfach, das Land zu verlassen. Ich hoffe, dass es meinen Verwandten letztendlich gut gehen wird. Aber die Zeiten sind gerade sehr hart für Journalisten in der Türkei.

Der türkische Präsident Erdogan ist nach dem Putschversuch im vergangenen Monat gegen Journalisten vorgegangen. Waren Sie am Putschversuch beteiligt?

Ich war nicht daran beteiligt. Ich hatte die Regierung sogar vor den Gefahren eines Parallelstaates innerhalb des Staates gewarnt.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Regierung jetzt Leute wie mich beschuldigt, an Verschwörungen beteiligt gewesen zu sein. Beide Seiten sehen uns jetzt als Feinde.

Der Chefredakteur der türkischen Zeitung "Cumhuriyet", Can Dündar, gilt als Sprachrohr der demokratischen, westlich orientierten Türkei. Wegen eines Berichts seiner Zeitung über illegale Waffenlieferungen der Türkei jenseits der syrischen Grenze wurden er und der Leiter des "Cumhuriyet"-Büros in Ankara, Erdem Gül, zu einer mehr als fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Dündar war drei Monate in Untersuchungshaft und entging in Istanbul nur knapp einem Attentat.