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Erste Risse in der Waffenruhe in Nahost

Andreas Gorzewski3. April 2013

Die Waffenruhe wackelt: Erstmals seit November hat Israels Armee den Gazastreifen beschossen, als Vergeltung für einen Palästinenserangriff. Fraglich ist, ob die Hamas Angriffe von Splittergruppen verhindern kann.

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Israelische Soldaten zielen an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen auf die palästinensische Seite. (Archivfoto: Reuters)
Bild: Reuters

Vier Monate lang war es an der schwer bewachten Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen  weitgehend ruhig - bis zur Nacht auf Mittwoch. Erstmals seit einer im November 2012 ausgerufenen Waffenruhe griff die israelische Luftwaffe wieder Ziele im Gazastreifen an. Vorausgegangen war ein palästinensischer Raketenangriff auf Israel, bei dem allerdings niemand verletzt wurde. Am Mittwochmorgen (03.04.2013) flogen dann erneut Raketen aus dem palästinensischen Küstengebiet nach Israel. Der Feuerwechsel weckt Sorgen vor einer Neuauflage des achttägigen Krieges, den Hamas und israelische Armee im vergangenen November gegeneinander führten. Damals waren sechs Israelis und 169 Palästinenser getötet worden.

"Wir werden keinen Beschuss unserer Bürger oder unserer Streitkräfte erlauben", drohte Israels neuer Verteidigungsminister Moshe Yaalon. Die Armee werde auch vereinzelte Raketenangriffe nicht tatenlos hinnehmen. Zu dem Beschuss bekannte sich eine palästinensische Salafistengruppe, deren Angaben zunächst nicht bestätigt werden konnten. Die israelische Armee macht pauschal die den Gazastreifen regierende Hamas für jeden Angriff verantwortlich. Denn aus israelischer Sicht gehört zu deren Aufgaben auch, die Waffenruhe an der Grenze zu garantieren. Als US-Präsident Barack Obama im März Israel besuchte, brachen mutmaßliche Salafisten schon einmal die Waffenruhe und feuerten auf die israelische Stadt Sderot. Anschließend sollen Hamas-Einheiten die Angreifer festgenommen haben.

Splittergruppen könnten anstelle von Hamas hinter Angriff stecken

Bei einem israelischen Luftangriff auf Gaza-Stadt am 17. November 2012 wird die mutmaßliche Hamas-Zentrale zerstört. (Foto: dpa)
Israelische Luftangriffe zerstörten im November 2012 viele Gebäude in Gaza-StadtBild: picture-alliance/dpa

Der palästinensische Journalist Anis Muhsin vom Institut für Palästina-Studien in Beirut schließt eine Hamas-Verwicklung in den jüngsten Angriff aus. "Das ist nicht in ihrem Interesse. Sie regieren den Gazastreifen und wollen dort Ruhe", sagt Muhsin der Deutschen Welle. Die Hamas habe gerade erst ihre Führungsspitze im Amt bestätigt. Er verweist stattdessen auf kleine Splittergruppen mit Verbindungen zu anderen Staaten oder zum Terror-Netzwerk Al-Kaida. Diese wollten die ohnehin brüchige Ruhe in der Region erschüttern. Das mache der Hamas zu schaffen. Denn sie könne mit ihren Einheiten nicht das gesamte Gebiet kontrollieren und Angriffe verhindern.

Der Zeitpunkt der jüngsten Eskalation könnte Muhsin zufolge mit dem Tod eines palästinensischen Gefangenen in israelischer Haft zusammenhängen. Auch die Salafistengruppe, die sich zu dem Angriff bekannte, wollte damit angeblich den Tod des Gefangenen rächen. Der 64-jährige Maysara Abu Hamdiyeh war nach israelischer Darstellung am Dienstag infolge eines Krebsleidens gestorben. Dagegen hatten palästinensische Behörden Israel vorgeworfen, Abu Hamdiyeh die notwendige Behandlung verweigert zu haben und so mitverantwortlich für dessen Tod zu sein. "Das hat die palästinensische Bevölkerung und die politische Klasse in Wut versetzt", sagt Muhsin. Ein israelischer Gefängnissprecher wies die Anschuldigung zwar zurück. Dennoch kündigten am Mittwoch 4600 palästinensische Häftlinge aus Solidarität mit den Verstorbenen einen dreitägigen Hungerstreik an.

In Nablus protestieren Palästinenser am 2. April 2013 wegen des Todes von Abu Hamdiye gegen Israel. (Foto: dpa)
Palästinenser protestieren nach Abu Hamdiyehs Tod gegen IsraelBild: picture-alliance/dpa

Radikalere Palästinensergruppen als die Hamas hätten durchaus Motive, gerade jetzt Raketen auf Israel zu feuern, glaubt der israelische Politikwissenschaftler Yithak Reiter unter Verweis auf die Entwicklung der letzten Monate. Nach dem Waffengang im November hätten Israel und die Hamas Gespräche aufgenommen. Die islamistische Palästinenserorganisation sollte in die Pflicht genommen werden und Angriffe aus dem Küstenstreifen unterbinden. Im Gegenzug sagte Israel zu, die Abriegelung des Gebietes zu lockern. Reiter zufolge treffen sich derzeit in Kairo Delegationen beider Seiten, um diesen Entspannungsprozess fortzusetzen. Militante Gruppen könnten nun versuchen, die laufenden Verhandlungen durch Gewalt zu torpedieren.

Raketenangriff soll vielleicht Druck auf Israel erhöhen

Ob die blutige Spirale von Angriffen und Vergeltungsangriffen erneut beginnt, ist noch nicht abzusehen. Politikwissenschaftler Reiter sieht derzeit noch die Diplomatie am Zug. US-Außenminister John Kerry pendle im Nahen Osten und versuche, zwischen Israelis und Palästinensern zu vermitteln. "Nur wenn diese Versuche zu nichts führen, werden wir mehr Frustration sehen und mit mehr Frustration mehr Gewalt", sagt der israelische Professor.