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PolitikIsrael

Drohneneinsatz der Hamas - kopiert aus dem Ukraine-Krieg?

Dmytro Kaniewski
21. Oktober 2023

Beim Terrorangriff auf Israel hat die Hamas offenbar aus Russlands Krieg gegen die Ukraine gelernt. Laut Experten ist zwar nicht der Drohneneinsatz an sich neu, aber die Art ihres Einsatzes.

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Commemoration of the 2014 war, the 51-day period of the Israeli-Palestinian conflict in Gaza, Palestine - 20 Jul 2023
Kämpfer der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen (Archivbild von Juli 2023)Bild: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Der Einsatz von Kampfdrohnen  ist schon lange Teil der modernen Kriegsführung. Das hat man in den vergangenen Jahren bei vielen bewaffneten Konflikten beobachtet, zum Beispiel in Syrien oder im Krieg in Berg-Karabach.

Im Krieg Russlands gegen die Ukraine wurden umgebaute kommerzielle Drohnen - die bislang für die Kriegsführung als ungeeignet erachtet wurden - erstmals für gezielte und großflächige Angriffe genutzt. Eine Taktik, die laut Militärexperten die Terroristen der Hamas für den Angriff auf die israelischen Grenzstädte am 7. Oktober übernommen haben. Bei dieser Attacke wurden umgebaute kommerzielle Quadrocopter-Drohnen eingesetzt, die hauptsächlich von den chinesischen Firmen DJI und Autel produziert werden.

Einsatz von kommerziellen Drohnen durch die Hamas - "das ist neu"

Zu Beginn ihrer Invasion fügte die Hamas den Verteidigungskräften Israels großen strategischen Schaden zu. Die Hamas wird von den USA, Deutschland, der EU, Israel und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft. Videoaufnahmen der Hamas sollen zeigen, wie ihre Drohnen Sprengsätze abwerfen und damit die Überwachungstürme entlang des gesamten Grenzzauns zum Gazastreifen, ausgestattet mit hochmodernen Sensorkameras, außer Betrieb setzen und einfach "blind" machen. Bisher galten diese Anlagen in Israel als uneinnehmbar.

Israelische Soldaten stehen vor dem Grenzzaun zum Gazastreifen
Der Grenzzaun zum Gazastreifen wurde von den Hamas-Drohnen attackiertBild: Tsafrir Abayov/AP Photo/picture alliance

Um besser zu verstehen, was im Nahen Osten passiert ist, muss man sich zunächst einen anderen Kriegsschauplatz anschauen - den in der Ukraine, wo fast seit Beginn von Russlands Invasion im Februar 2022 kommerzielle Copter mit Sprengsätzen breit eingesetzt werden. Derzeit werden sie sowohl von den ukrainischen Streitkräften als auch von der russischen Armee genutzt. Zudem gelang es Bastlern im Laufe der Zeit auch, kommerzielle Drohnen für die Verwendung an der Front anzupassen. Während sie in der Ukraine gegen Soldaten und gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt werden, wurden sie nun beim Angriff der Hamas auch gegen militärische Infrastruktur in Israel verwendet.

"Die Art und Weise, wie die Hamas ihre Drohnen eingesetzt hat, ist neu. Das haben wir so bisher nicht beobachtet", sagte Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München dem deutschen Magazin "Der Spiegel". Die Hamas-Terroristen hätten sich das sehr genau abgeschaut vom Krieg in der Ukraine, so der Militärexperte.

Von der Propaganda der Hamas veröffentlichte Videos zeigen auch, wie Drohnen Granaten auf eine israelische Panzerbesatzung abwerfen und sogar einen schätzungsweise 3,5 Millionen Dollar teuren Merkava-4-Panzer treffen, der mit 63 Tonnen als der schwerste Serienpanzer der Welt gilt.

Der israelische Merkava-4-Panzer wurde von den Hamas-Terroristen außer Betrieb gesetzt
Der israelische Merkava-4-Panzer wurde von den Hamas-Terroristen zerstört und erbeutetBild: Mohammed Fayq Abu Mostafa/REUTERS

Liran Antebi, am Institute for National Security Studies (INSS) in Tel Aviv für High-Tech- Programme und nationale Sicherheitsfragen zuständig, untersucht seit mehr als zehn Jahren den Einsatz von Drohnentechnologie in Konflikten, insbesondere während des russischen Krieges gegen die Ukraine. Doch selbst sie sei "von dem unerwarteten und komplexen Einsatz der Hamas-Drohnen überrascht". "Dies beweist, dass, auch wenn sie technologisch recht primitiv sind, sie bei einem komplexen Einsatz (Umbau und Ausstattung der kommerziellen Drohnen mit Sprengsätzen - Anm. d. Red.) viel tödlicher sein können, als man bisher zugeben wollte", sagt die Wissenschaftlerin der DW.

Drohneneinsatz schon durch die Terrororganisation "Islamischer Staat"

Dass die terroristische Organisation Hamas über Drohnen verfügt, ist nichts Neues. Vor dem tödlichen Überfall am 7. Oktober verbesserte und ergänzte sie offenbar ihr Arsenal, darunter auch mit kommerziellen Modellen. "Sie sind günstig, leicht auf dem Markt erhältlich und können von überall in wenigen Sekunden entlang einer präzisen Route und praktisch ohne Vorkenntnisse gestartet werden. Aber die Anzahl und das Ausmaß des Einsatzes von Drohnen im Nahen Osten kommt nicht an das in der Ukraine heran", zitiert die israelische Wirtschaftszeitung Globes Yair Ansbacher, einen Experten für Drohnentechnologie.

Portrait von Liran Antebi, Expertin für den Einsatz von Drohnentechnologie in Konflikten
Liran Antebi, Expertin für den Einsatz von Drohnentechnologie in KonfliktenBild: Shaked Zusmann Sofer

Liran Antebi erinnert daran, dass ursprünglich gerade im Nahen Osten solche Drohnen für Angriffszwecke umgebaut wurden, wo die Terrororganisation "Islamischer Staat" zuvor ganz primitive Geräte gegen US-Kräfte eingesetzt hatte. "Später haben wir das in der Ukraine gesehen, und jetzt auch hier", sagt Antebi.

Die Hamas bestätigte den Einsatz von 35 Drohnen während der Terroranschläge vom 7. Oktober. Es handele sich jedoch um Zouari-Drohnen aus eigener Produktion, benannt nach dem Chef des Hamas-Drohnenprogramms, dem tunesischen Ingenieur Mohamed Zouari, der 2016 getötet wurde.

Wer finanziert das Waffenprogramm der Hamas?

Viele Expertinnen und Experten sind davon überzeugt, dass das gesamte Waffenprogramm der Hamas nur aufgrund finanzieller Unterstützung und Hilfe aus dem Ausland existiert. So überweist der Iran laut dem Country Terrorism Report 2020 des amerikanischen Außenministeriums jährlich 100 Millionen US-Dollar an palästinensische radikale Gruppen. Die Hamas selbst hat dies nie bestritten, nur von einer bescheideneren Summe gesprochen.

Laut aktueller und ehemaliger Mitarbeitender der Geheimdienste im Westen und Nahost, die die Tageszeitung "The Washington Post" befragte, hätten die iranischen Verbündeten die Terroristen der Hamas mit militärischer Ausbildung, logistischer und finanzieller Hilfe unterstützt. Diese Informationen kann man jedoch nicht verifizieren.

Einige Beobachterinnen und Beobachter vermuten aber, dass auch russische Kräfte an der Ausbildung der Hamas-Kämpfer beteiligt sein könnten. "Sie alle - der Islamische Dschihad, die Hamas und andere - werden in Syrien ausgebildet. Es ist klar, dass die Russen als Ausbilder mit einzigartiger Erfahrung daran beteiligt sind", sagt Ihor Semywolos, Direktor des Kiewer Zentrums für Nahost-Studien, im Gespräch mit der DW.

Russland ist Verbündeter des syrischen Regimes im Krieg. Eine direkte Unterstützung Russlands der Hamas kann bislang nicht belegt werden. Der israelische Journalist Nadav Eyal berichtet jedoch von russischen Waffen, die von den Hamas-Kämpfern am Ort der Terroranschläge zurückgelassen worden seien.

Dass der Iran die Hamas-Sturmeinheit Nuchba mit in Russland hergestellten Waffen bis an die Zähne bewaffnet habe - von Kalaschnikow-Sturmgewehren bis hin zu Strela-Luftabwehrraketen, schreibt die israelische Zeitung "Haaretz". "Wir haben die direkten und indirekten Folgen der Verbindung zwischen Russland, dem Iran und der Hamas auf den Straßen und in den Häusern gesehen, in den ehemals idyllischen Lichtungen der Städte und Gemeinden in den Grenzgebieten zum Gazastreifen, die zu Ruinen geworden sind", schreibt der Zeitungskolumnist Yossi Melman.

In Israel wurden diese Informationen nicht von offizieller Ebene kommentiert. Die Armee bereitet sich auf eine Operation am Boden im Gazastreifen vor. Der ehemalige britische Geheimdienstoffizier mit Erfahrung in Krisengebieten, Frank Ledwidge, sagt im Gespräch mit der DW, er erwarte, dass es sich um einen hochtechnologischen Krieg "mit starkem Einsatz von Drohnen, Tunneln, Artilleriefeuer und Luftangriffen" handeln werde.

Die Sicherheitsexpertin Liran Antebi empfiehlt, schon jetzt auf Technologien der künstlichen Intelligenz zu achten, die der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. In naher Zukunft könnten terroristische Gruppen auf der ganzen Welt damit beginnen, sie aktiv zu nutzen - und böswillig einzusetzen. 

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk