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"Dr. Tedros" - Der umstrittene WHO-Chef

Jan Philipp Wilhelm | Ineke Mules
20. April 2020

In Äthiopien hat Tedros Adhanom Ghebreyesus das Gesundheitssystem reformiert, viele attestieren ihm großen Erfolg. Doch als WHO-Chef ist er umstritten - und die Coronavirus-Pandemie seine bislang größte Bewährungsprobe.

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Schweiz PK WHO Tedros Adhanom Ghebreyesus zu Coronavirus
Bild: picture-alliance/Keystone/S. Di Nolfi

Wer Interviews mit Tedros Ahanom Ghebreyesus kennt, kennt vermutlich auch diese Geschichte: Dass er als Siebenjähriger den Tod seines zwei Jahre jüngerer Bruders erleben musste, der einer Krankheit erlegen sei, die in einem Land mit funktionierendem Gesundheitssystem heilbar gewesen wäre. Doch in seinem Heimatland Äthiopien habe es das damals nicht gegeben.

Er wolle nicht akzeptieren, dass jemand sterben müsse, „nur weil er arm ist", wie seine Familie es damals gewesen sei - so begründet der WHO-Generaldirektor häufig sein Engagement für eine bessere Gesundheitsversorgung. Bis heute treibe ihn der Tod des Bruders in seiner Arbeit an.

Gesundheitsreformen in Äthiopien

Der heute 55-Jährige Tedros hat eine lange Karriere als Gesundheitsexperte vorzuweisen. In Großbritannien studierte er in den 1990er Jahren Infektionskrankheiten und promovierte im Fach Öffentliche Gesundheit. Zwischen 2005 und 2012 erhielt er als Äthiopiens Gesundheitsminister die Gelegenheit, das Gesundheitssystem im Land auszubauen.

Während dieser sieben Jahre entstanden in Äthiopien tausende neue Gesundheitszentren, zehntausende Hilfskräfte für die Versorgung in ländlichen Gegenden wurden eingestellt, erstmals wurde auch eine Krankenversicherung eingeführt. Die Zahl der Medizin-Hochschulen stieg von drei auf 33, die Zahl der Ärzte wuchs zeitweise exponentiell. Die Sterblichkeitsraten durch Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria und Aids sanken um bis zu 90 Prozent.

Cardiac Center-Ethiopia
Während Tedros' Amtszeit wurde viel Geld in das äthiopische Gesundheitssystem investiertBild: DW/S. Muche

Tedros wird auch eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung von Mutter-Kind-Gesundheit zugeschrieben, für die er sich ab 2009 engagierte. Von 2012 bis 2016 fungierte er außerdem als Außenminister Äthiopiens.

Cholera-Kontroverse

Doch nicht alle Landsleute beurteilen Tedros' Amtsführung positiv. Ausgerechnet im Umgang mit Epidemien werden dem ehemaligen Gesundheitsminister bis heute schwere Vorwürfe gemacht. So soll er mehrere Cholera-Ausbrüche zwischen 2006 und 2011 heruntergespielt und dadurch nötige Gegenmaßnahmen verschleppt haben. Ludger Schadomsky, der als Leiter des äthiopischen Sprachdienstes der Deutschen Welle die Amtszeit des damaligen Gesundheitsministers als Journalist verfolgte, erinnert sich: "In unseren Interviews mit den äthiopischen Gesundheitsbehörden war seinerzeit immer von 'wässrigem Durchfall' die Rede, obwohl es anhand der klinischen Befunde belastbare Gründe gab, von Cholera auszugehen."

Insbesondere Angehörige der Amharen und Oromo, die die beiden größten Bevölkerungsgruppen Äthiopiens stellen und am stärksten von den Cholera-Ausbrüchen während Tedros‘ Amtszeit betroffen waren, protestierten lautstark, als dieser 2017 zum WHO-Generaldirektor ernannt wurde. Tedros gehört zur ethnischen Minderheit der Tigreer, die zwar nur etwa sechs Prozent der äthiopischen Bevölkerung stellt, die Politik im Land jedoch lange Zeit dominierte.

Schweiz Exil-Äthiopier protestieren gegen neuen WHO-Generaldirektor
Schweizer Exil-Äthiopier protestierten 2017 gegen den neuen WHO-GeneralsekretärBild: Reuters/P. Albouy

Der Menschenrechts-Aktivist Kassahun Adefris sagte der DW damals, er sei besorgt über Tedros Ernennung: "Während er Gesundheitsminister war, verloren viele Menschen ihr Leben, weil er Cholera-Epidemien vertuschte", so Adefris. "Aus meiner Sicht ist es sehr fragwürdig, jemanden für diese Posten zu nominieren, der solche Fehler begeht." Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte Tedros während seiner Kampagne für den neuen Posten dafür, dass er für einen autoritären Staat arbeite, der repressiv gegen politische Gegner und Journalisten vorgehe.

Tedros Reformvorhaben

Zu verdanken hatte Tedros seine Wahl letztlich der großen Unterstützung durch die Delegierten der 55 afrikanischen UN-Mitgliedsstaaten. Auch in den sozialen Medien überwog damals die Freude, dass erstmals ein Afrikaner zum WHO-Chef gewählt wurde.

Tedros Adhanom Ghebreyesus
Tedros nach seiner Wahl zum WHO-Generalsekretär: Große Unterstützung aus AfrikaBild: Picture alliance/Zumapress/A. Grosclaude

Experten bescheinigen Tedros erste Erfolge bei einigen seiner zentralen Reformvorhaben. So würde die WHO inzwischen schneller und umfassender auf Gesundheitskrisen reagieren – anders als noch bei der Ebola-Epidemie 2013/14 in Westafrika. Genau deswegen war die WHO unter Führung seiner Vorgängerin, der Chinesin Margaret Chan, massiv in die Kritik geraten.

Konflikt mit den USA

Dennoch werfen Kritiker Tedros in der aktuellen Coronavirus-Pandemie vor, aus Rücksicht auf die chinesische Regierung zu Beginn des Ausbruchs nicht energisch genug vorgegangen zu sein. Mit dieser Begründung hat US-Präsident Donald Trump sogar die Zahlungen seines Landes an die WHO stoppen lassen. Unstrittig ist, dass Tedros in seiner Zeit als äthiopischer Mandatsträger, vor allem als Außenminister seines Landes von 2012 bis 2016, enge Kontakte zur politischen Führung der Volksrepublik China knüpfte, und Addis Abeba bis heute ein enger strategischer Partner Pekings ist.

Der Konflikt mit dem US-Präsidenten begleitet WHO-Chef Tedros allerdings schon länger. Schon 2017, lange vor Beginn der Coronavirus-Pandemie, hatte Trump mit einer Reduzierung der US-Zahlungen an die WHO gedroht. Schon vor seinem Amtsantritt erklärte Tedros deshalb, er wolle die Geber-Basis verbreitern, um finanzielle Schocks zu vermeiden: "Wenn so viele Länder wie möglich etwas beitragen, egal welchen Betrag, würde das helfen", so Tedros damals.

Dies ist eine aktualisierte Version eines früheren Beitrags.