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Downtown in der Krise

Heike Buchter11. September 2002

In Manhattans Financial District klingeln die Kassen nicht mehr so häufig wie früher. Ein Jahr nach dem Anschlag am 11. September kämpft New York immer noch mit den wirtschaftlichen Folgen der Anschläge.

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Bild: Bilderbox

Fast 20.000 Unternehmen haben dichtgemacht oder sind weggezogen - in die Vororte von New Jersey und Long Island oder einfach ein paar Kilometer den Broadway hoch nach Midtown. Keiner scheint mehr in Downtown arbeiten zu wollen.

Vor allem die großen Finanzinstitute haben ihre Büros verlagert. Darunter viele traditionelle Wall Street Investmentbanken wie Lehman Brothers und Morgan Stanley. Der Immobilienmakler Myers Mermel von TenantWise führt das auf Transportprobleme, Sicherheitsbedenken und die Angst vor Umweltrisiken zurück - oder darauf, dass sich die Angestellten in der Atmosphäre nicht mehr wohl fühlten.

Der Leerstand in Downtown, dem Finanzbezirk an der Südspitze Manhattans rund um die Wall Street und das ehemalige World Trade Center, hat 20 Prozent erreicht - und steigt weiter. Die Mietpreise sackten um dramatische 50 Prozent ab. Mit den Türmen wurden 36.000 Jobs mit einer Ertragskraft von über vier Milliarden Dollar vernichtet. Wie eine Lawine reißt der Exodus der Großen die Kleinen mit: Boutiquen, Kneipen und vor allem die Tante Emma Lädchen, die in New York "Delis" heißen.

"Shop Downtown - Save Downtown"

Rettet Downtown - geht dort einkaufen. Mit solchen fast schon verzweifelten Aufrufen versucht die Stadtverwaltung dem Viertel unter die Arme zu greifen. Tageweise wird die Mehrwertsteuer erlassen. Die Stadt New York, der Bundesstaat New York und auch die US-Regierung haben Hilfsprogramme aufgelegt. Die SBA (Small Business Administration), ein Institut für Mittelstandsförderung, vergibt billige Darlehen. Doch viele verzichten auf den Antrag. Die einen haben Angst vor einem Berg von Formularen. Andere wollen sich nicht gerne in die Karten schauen lassen, fürchten die Steuerbehörde (Internal Revenue Service) oder die Einwanderungsbehörde (Immigration and Naturalization Service). Und nicht wenigen mangelt es schlicht an Sprachkenntnissen. Doch diese Kritik lässt William Leggiero, der Sprecher der SBA, nicht gelten. Denn besonders in Chinatown habe man sich kräftig ins Zeug gelegt, um die Opfer zu erreichen.

Die SBA hat inzwischen rund 300 Millionen Dollar an Krediten vergeben. Durch den World Trade Recovery Fund pumpen Stadt und Staat insgesamt 700 Millionen Dollar in das Krisengebiet. Wer einen solchen "WTC Business Grant" bekommt, muss die Summe nicht einmal zurückbezahlen.

Geldgier und Solidarität

Der Geldregen lockt aber auch Trittbrettfahrer. Anwälte und Steuerberater aus dem ganzen Land wittern ein großes Geschäft. Selbst aus Texas flattern den Opfern Prospekte in den Briefkasten. Sie bieten an, die Formalitäten für die Betroffenen zu erledigen - meist gegen eine Beteiligung an den ausbezahlten Fördergeldern. Das ärgert vor allem die ehrenamtlichen Beratungsstellen.

Für viele Betriebe sind die Hilfsgelder die einzige Einkommensquelle seit der Katastrophe. In improvisierten Büros - ausgestattet mit dem Nötigsten - versuchen sie, ihre Kunden bei der Stange zu halten. Im Gegensatz zu den Großen haben sie nicht die Mittel, um wegzuziehen. Was bleibt, ist oft nur der Wille durchzuhalten und die Hoffnung es irgendwie zu schaffen. Spontan haben sich Gruppen gebildet, in denen man sich gegenseitig hilft. So hat sich eine ungekannte Solidarität entwickelt - und das in der Hauptstadt des Kapitalismus.