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Hightech statt Kohle

Friederike Wintgens7. November 2012

Dortmund war einer der großen Industriestandorte Deutschlands. Dann wurde die Produktion von Kohle und Stahl zu teuer, viele verloren ihren Arbeitsplatz. Doch Dortmund hat den Strukturwandel gemeistert.

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Dach des früheren Dortmunder-Union-Brauereigebäudes Foto: Bernd Thissen (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Gemächlich spazieren Fußgänger am Uferweg, eine Gruppe Senioren spielt Boule auf einem befestigten Sandplatz. Auf dem Wasser drehen Surfer ihre Runden - der Phoenix-See im Stadtteil Dortmund-Hörde ist seit seiner Eröffnung im vergangenen Jahr ein beliebtes Ausflugsziel. "Es ist toll, hier auf der Promenade entlang zu joggen", sagt Roland Müller, ein Anwohner, der fast jeden Tag vor der Arbeit eine Runde um den See läuft. "Dortmund kann stolz sein", fügt er noch hinzu, bevor er weiterjoggt.

Dass die Dortmunder hier im Süden der Stadt freiwillig ihre Freizeit verbringen würden, war bis vor einigen Jahren kaum vorstellbar - stand hier "auf Phoenix" doch eines der größten Stahlwerke Europas, Abgase verpesteten die Luft. "Die tägliche Produktion füllte zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa zehn lange Eisenbahnzüge", heißt es in der Chronik der Stadt.

Ein Boot segelt über den Phoenix See in Dortmund Foto: Caroline Seidel (dpa)
Oase in der Stadt: Der Phoenix-SeeBild: picture-alliance/dpa

Dortmund liegt im östlichen Ruhrgebiet - so heißt die Gegend am Fluss Ruhr, die sich dank Kohle und Stahl im 19. Jahrhundert zu Europas wichtigstem Zentrum der Industriealisierung entwickelte. Dortmund wurde schnell zur größten Stadt in der Region. "Allein das Werksgelände auf Phoenix war so groß wie die eigentliche Innenstadt von Dortmund, hier arbeiteten mehr als 10.000 Menschen", sagt Pascal Ledune von der Wirtschaftsförderung in Dortmund.

Doch 2001 war Schluss mit der Stahlproduktion. Die Herstellung in Deutschland war zu teuer geworden, Stahlimporte aus China und Indien machten das Geschäft kaputt. Der Thyssen-Krupp-Konzern entschied sich, die Produktion im benachbarten Duisburg zu konzentrieren. Dortmund traf die Schließung von Phoenix hart, schließlich hatte erst wenige Jahre zuvor die letzte Kohlezeche in der Stadt dichtgemacht. Die Flöze lagen zu tief, die Förderung der Kohle wurde zu teuer. Nun, knapp zehn Jahre später, brach auch die zweite Säule der Wirtschaft zusammen. Und damit nicht genug: Auch die Bierherstellung ging in der einstigen "Bierhauptstadt Europas" dramatisch zurück. Von 74 Brauereien ist heute gerade mal noch eine übrig. Die Bilanz des Niedergangs in den verschiedenen Branchen: Innerhalb weniger Jahrzehnte verlor die Stadt rund 90.000 Industrie-Arbeitsplätze.

Gelungener Strukturwandel

Doch Dortmund gab nicht auf. Bereits 1968 war eine Universität gegründet worden, die heute 25.000 Studenten zählt. In unmittelbarer Nachbarschaft zur Hochschule entstand ein Technologie-Zentrum - zahlreiche Firmen aus den Bereichen Biomedizin und Nanotechnologie haben sich dort angesiedelt. "Mittlerweile sind 8500 Hightech-Jobs entstanden", sagt Wirtschaftsförderer Pascal Ledune.

Das stillgelegte Stahlwerk wurde abgebaut und nach China verkauft. Auf dem Gelände wurde ein riesiges Loch ausgehoben und mit Wasser gefüllt: Der Phoenix-See entstand. Ein Neubaugebiet für Stadtvillen soll nun zahlungskräftige Familien anlocken. Ein weiterer Technologiepark für Hightech-Firmen ist in Planung.

Geblieben ist der Stadt der Fußball - mit dem erfolgreichen Bundesliga-Verein und amtierenden Deutschen Meister "Borussia Dortmund". Auch der hat sich allerdings gewandelt. 1909 als Sportclub für Bergarbeiter gegründet, besitzt der BVB heute mit dem "Signal Iduna Park" eines der größten und modernsten Stadien Europas und ist an der Börse notiert.

Das inzwischen abgerissene Hochofenwerk Phoenix in Dortmund Foto: dpa
Demontierter Hochofen: Das Stahlwerk Phoenix West vor dem AbrissBild: picture-alliance/dpa

Das Hochhaus der früheren Union Brauerei mitten in der Innenstadt, auf dessen Dach weithin sichtbar ein gelbes "U" leuchtet, ist heute ein renommiertes Ausstellungszentrum für Künstler aus aller Welt. Es war eines der Aushängeschilder des Projekts "Ruhr 2010", mit denen sich die ganze Region als Kulturhauptstadt präsentierte, und ist noch immer Wahrzeichen Dortmunds. "Strukturwandel bedeutet auch eine Chance, die man nutzen kann", sagt Pascal Ledune. "Dortmund war nie ein Jammertal, wir haben immer gesagt: Jetzt erst recht!"

Arbeitslosigkeit und Schulden

Doch auch der optimistische Wirtschaftsförderer weiß: Die Stellen für hoch qualifizierte Ingenieure und Mediziner ersetzen nicht die zehntausenden Arbeitsplätze in der Kohle- und Stahlindustrie. "Deswegen liegt die Arbeitslosenquote in Dortmund bei 13,2 Prozent, und das wird auch in Zukunft wohl so bleiben", fürchtet Manfred von Kölln von der Caritas, dem Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche. Zum Vergleich: Im gesamtdeutschen Durchschnitt liegt die Arbeitslosenquote bei 6,5 Prozent.

Doch für umfassende Förderpläne für Geringqualifizierte fehlt der Stadt das Geld. Dortmund hat Im Laufe der Zeit einen gewaltigen Schuldenberg von zwei Milliarden Euro angehäuft. Grund für einen wütenden Appell von Oberbürgermeister Ulli Sierau an Bundeskanzlerin Angela Merkel im März dieses Jahres. In einem viel beachteten Zeitungsinterview verlangte Sierau zusammen mit Kollegen aus dem ganzen Ruhrgebiet das Ende der Solidarzahlungen westdeutscher Kommunen nach Ostdeutschland.

Dortmunds Oberbürgermeister Ulli Sierau (SPD) Foto: (dpa)
Geldsorgen: Oberbürgermeister Ulli SierauBild: picture-alliance/dpa

Die Überweisungen in Milliardenhöhe sollen in den Neuen Bundesländern die Folgen des Strukturwandels nach der Wiedervereinigung abmildern. "Der Solidarpakt ist ein perverses System", wetterte Sierau und lenkte damit wenigstens für kurze Zeit den Blick der deutschen Öffentlichkeit darauf, dass der Strukturwandel auch im Westen noch lange nicht geschafft ist. Doch schon nach wenigen Wochen war das Thema wieder vom Tisch, Dortmund wird den ungeliebten "Soli" noch wie geplant bis 2019 weiter zahlen müssen.